Der Schlüsselanhänger

Ein Flash

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Der Schlüsselanhänger

Der Schlüsselanhänger

Nucleus

Ich wurde das Gefühl nicht los, dass mich meine Frau Annette betrog. Meinen Verdacht konnte ich aber nicht begründen, denn sonst hätte ich sie schon längst konfrontiert. Mit einer falschen Anschuldigung würde ich wie ein Idiot dastehen. Mein Bauch wäre beruhigt, aber meine Ehe zerstört. Den Preis wollte ich nicht zahlen. Nur wegen eines vagen Verdachts.

Ich musste überlegen. Mit einer leckeren Hopfenkaltschale zog ich mich in mein Arbeitszimmer zurück. Im Radio lief HR1 Arena mit der Bundesliga Halbzeitkonferenz. Heute gab es aber keine Aufregung. Frankfurt spielte erst am Sonntag gegen Bochum. Nachdem die Jungs die Teilnahme am DFB-Pokal gegen Bayern vergeigt hatten, lagen alle Hoffnungen in dem Sonntagsspiel.
‚Hoffnung, ja die könnte auch ich gut gebrauchen, egal wohin mich der Weg auch führen würde.“

Ich lehnte mich in meinem Ledersessel zurück, schloss meine Augen. Warten auf den Filmvorführer.
‚O.K., erst mal nix. Nur Streifen und Kratzer auf der Leinwand. Wenigstens kam im Kopfkino keine Werbung vor dem Hauptfilm.

Ich versuchte, mir vorzustellen, wie ihr ... Nein, berichtige, ... unser Tag ablief. Wo waren die Besonderheiten, die sich täglich vor meiner Nase abspielten und mir dennoch nicht bewusst wurden.
‚Ah, der Hauptdarsteller küsst seine Frau ...’
‚Moment! Noch mal zurückspulen.’

Ich atmete tief durch. Neues Bild.
‚Na also. Gemeinsames Frühstück.
‚Geht doch’, lobte ich den Filmvorführer.

Trotz unserer unterschiedlichen Arbeitszeiten verzichteten wir nie auf dieses Ritual. Ich sah mich über den Rand der Zeitung schielen. Sie ließ mal wieder ihr halbes Frühstück liegen. Sie hatte sich wie jeden Morgen mit der Zeit verkalkuliert.

‚Schatz, weißt du, wo ich meine Handtasche hingelegt habe?’
Ich stöhnte auf. Mal suchte sie ihren Büroschlüssel, mal ihre Handtasche. Heute war es wieder dieses schwarze Lederungetüm.
Sie stand mit der Zahnbürste im Mund in der Küchentür, stampfte kurz mit dem Fuß auf.
‚Losch, chuch mit, ich much weg.’
Ich wußte nicht, warum sie jeden Tag das ganze Zeugs mit sich herumschleppen musste.
‚Frauen!’

Ich runzelte meine Stirn.
‚Genau, das war es ... Ihre Handtausche. Darin lag die Lösung. Im wahrsten Sinne des Wortes.’
Sie bewahrte jede Menge Krimskrams darin auf, räumte sie nur gelegentlich aus. Vielleicht einmal im Monat.
Das war meine Chance. Erst gestern hatte sie den Inhalt auf den Küchentisch gekippt, weil sie einen Kugelschreiber suchte.

Ich zog die Schublade meines Schreibtisches auf.
‚Jepp, dort lag er. Der Schlüsselanhänger. Seit Weihnachten vor zwei Jahren lag er immer noch eingepackt in einen unförmigen Blister. Ich bekam das Ding von meinem Chef, der meinte, ich müsse meine Besprechungen mit den Baustellenleitern dokumentieren. Ein sprachgesteuerter Voicerecorder. Klein, unauffällig, aber effektiv.
Jetzt konnte er beweisen, was die Werbung versprach und mir die notwendigen Argumente für die Konfrontation liefern. Oder auch nicht. Einen Versuch war es wert.
Am Sonntagabend - Seewolf lief gerade im Fernsehen - befestigte ich das Gerät an einer Lederschlaufe in ihrer Handtasche. Neben dem vielen Krimskrams würde sie ihn nicht bemerken.

Sie arbeitete in einem Großraumbüro, sodass ich erwarten konnte, viel Geschwätz anhören zu müssen. Ich war auf die Konfrontation vorbereitet.

Ich war früh zu Hause und entschied mich für den direkten Angriff. Aber vorher musste ich mich ausruhen.
Das Geräusch von ihrem Hausschlüssel im Türschloss schreckte mich aus meinem Halbschlaf im Wohnzimmersessel.

„Was machst du schon zu Hause“, rief sie aus dem Flur.
Ich verdrängte die Antwort, die mir auf der Zunge lag:
‚Nein, mein Schatz. Das heißt guten Abend mein Schatz. Ich freue mich, dass du schon so früh zu Hause bist.’

Stattdessen stand ich auf, eröffnete das Spiel mit den Worten:
„Ich mache mir schon den ganzen Tag Gedanken über deine Affäre.“

Natürlich war das eine Lüge. Aber das konnte sie nicht wissen. Sie hatte den ersten Schrecken überwunden und schoss ihre erste Flanke in Frauenmanier:

„Wovon sprichst du? Was lässt dich annehmen, dass ich eine Affäre haben könnte?“

„Hast du ... ?", ließ ich meinen Konter in der Luft stehen.

„Nein. Allein die Tatsache, dass du so einen Schwachsinn behauptest, kränkt mich zutiefst. Ich denke, wir haben hier nur deine Paranoia zu diskutieren. Ihr Gesicht rötete sich. Der "Mount St. Helens der Wetterau" stand kurz vor seinem Ausbruch.

Ich rieb meine Hände. Der Ball war im Spiel und ich fühlte mich nicht danach, ihn zu stoppen. Ich ging zu ihr, schnappte mir ihre Handtasche und noch bevor sie etwas sagen konnte, wedelte ich mit dem Minirecorder vor ihrer Nase herum. Sie blickte mich stumm an. Ihr Mund öffnete sich leicht, als wolle sie fragen:
„Was zur Hölle ist das für ein Gerät?“

Stattdessen öffnete und schloss sie ihren Mund wie ein Fisch. Eine Sprache ohne Worte.

„Das ist ein Recorder, der jedes Gespräch, jedes Geräusch aufzeichnet, wenn man sich in seinem Umkreis befindet. Komm in die Küche, ich hole uns ein Bier und wir hören uns an, was das kleine Ding aufgezeichnet hat.“

Annette stand immer noch mit offenem Mund, als ich mit dem Recorder an ihr vorbei in die Küche ging. Ich wollte nur noch etwas Zeit schinden, um den dramatischen Effekt zu erhöhen. Als ich mit zwei Gläsern Bier zurückkam, war sie verschwunden. Ich hörte Geräusche aus dem Schlafzimmer. Kein Weinen, keine Porzellanvase, die an der Wand zerbrach. Nur Wühlgeräusche und das Zuschnappen von Kofferschlössern. Jetzt wurde ich nervös und war stärker an meinem Bier interessiert, als an meinem Recorder. Endlich kam sie aus dem Schlafzimmer mit zwei kleinen Koffern in der Hand. Es war merkwürdig, aber jetzt fehlten mir die Worte. Langsam stieg sie die Treppe herunter. Ihre Lippen bebten.

„Bernd, ich bitte dich inständig darum, dass du die aufgezeichneten Gespräche für dich behältst. Meine Eltern, meine Familie dürfen davon nichts erfahren. Ich tue auch alles, was du willst. Ich habe meinem Chef einen Blowjob gegeben. Es tut mir sehr leid. Auch die Bemerkungen über deine Leistungen im Bett, die ich ihm gegenüber losgelassen habe. Ich komme Samstag wieder und hole den Rest meiner Sachen.“

Ich beobachtete sie wortlos, als sie die Koffer, Handtasche und den Mantel griff. Sie drehte sich auf dem Weg zur Tür noch einmal um und brachte nur noch ein flehendes „Bitte“ über ihre Lippen. Ich sah Tränen in ihren Augen, als sie das Haus verließ.

Der letzte Schluck meines mittlerweile warmen Bieres schmeckte schal. Ich blickte auf den verdammten Recorder in meiner Hand.

Ich hatte vergessen, neue Batterien einzulegen.

Quote: Life goes on

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