Endlich möchte ich nun über eine Geschichte berichten, die sich im Sommer 2002 zugetragen hat. Sie ist so unglaublich, dass ich mich bisher nicht getraut habe sie niederzuschreiben, ohne als Spinner dazustehen, doch sie ist wirklich so passiert. Damals bin ich sechsunddreißig Jahr alt, arbeite als zweite berufliche Station nach meinem Elektrotechnikstudium, seit eineinhalb Jahren in einer Stadt ein Stück nördlich von Nürnberg, wo ich auch wohne. Aufgewachsen bin ich allerdings ganz im Nordwesten Deutschlands. Als Projektleiter im Anlagenbau, habe ich Baustellen in ganz Bayern zu betreuen, arbeite aber hauptsächlich vom Büro aus. Meine Arbeit mach mir Spaß, ich habe tolle Kollegen, und das Betriebsklima ist mehr als angenehm. Auch sonst bin ich in meiner neuen Heimat angekommen, habe hier und da schon Anschluss gefunden. Trotzdem bin ich eher ein zurückhaltender Mensch, der auch gut mal allein sein kann, beziehungsweise allein etwas unternimmt.
Doch das mit dem Alleinsein hat auch so seine Grenzen. Sehnlichst wünsche ich mir schon seit meiner Scheidung vor sieben Jahren wieder eine Frau, die ihr Leben mit mir teilt. Aber das scheint in meinem Lebensplan irgendwie nicht vorgesehen zu sein. Charmant, ehrlich, bescheiden, zuverlässig, häuslich, so werde ich von Leuten charakterisieren, die mich gut kennen, doch da ist auch noch mein Drang nach Unabhängigkeit. In meinem Beruf als Projektleiter habe ich viele Freiheiten, und dementsprechend auch eine hohe Verantwortung, aber besonders im privaten Bereich brauche ich meine Unabhängigkeit. Lieber sage ich einmal nein, als mich irgendwo unterzuordnen, wenn ich etwas nicht möchte. Das ist vermutlich auch der Hauptgrund dafür, dass ich um keinen Preis der Welt Kinder möchte. Ja, die meisten sind für ein oder zwei Stunden ganz niedlich, aber es ist für mich völlig undenkbar, mich vierundzwanzig Stunden am Tag, an sieben Tagen in der Woche, den Bedürfnissen eines Kindes unterzuordnen. Das ist mir leider erst viel zu spät bewusst geworden, und an eben diesem Kinderwunsch meiner Exfrau, ist schließlich auch unsere Ehe gescheitert.
Es ist einfach mein Dilemma. Mit meinen eben beschriebenen Eigenschaften scheine ich einfach der ideale, grundsolide Partner für Frauen zu sein, die einen Kinderwunsch haben, und mit mir eine Familie gründen wollen. Den anderen Frauen bin ich schnell zu bieder, beziehungsweise zu langweilig, und ehrlich gesagt, dieser Typ Frau ist mir auf Dauer viel zu anstrengend. Da ich kein Mann für Affären bin, gehe ich nun seit längerem leider allein durchs Leben. Fast habe ich schon vergessen, was eine lustvolle, innige Zweisamkeit eigentlich ist. Nur meine Träume und Fantasien bleiben mir derzeit, so wie es wohl auch in den kommenden Tagen sein wird. Die letzten Wochen waren arbeitsreich, und ich freue ich mich auf die vier freien Tage, die mit dem morgigen Himmelfahrtstag beginnen. Geplant habe ich weiter nichts, nur ein wenig Hausarbeit steht an, und am Freitagnachmittag werde ich mich mit einigen Kollegen, beziehungsweise Kolleginnen, im nahegelegenen Biergarten treffen. Soweit sie welche haben, werden auch die Partner und Partnerinnen dabei sein. Mit diesen Gedanken schlafe ich tief entspannt Mittwochabend ein.
Wie immer, bin ich auch am Donnerstagmorgen früh wach, obwohl ich nicht zur Arbeit muss, doch die Sonne taucht das Zimmer bereits in ein weiches Licht. Es wird also wohl tatsächlich der versprochene warme, aber nicht zu heiße Tag mit blauem Himmel. Trotzdem werde ich erst noch ein wenig dösen, dann, begleiten von meinen Fantasien, ausgiebig Hand an mich legen, um wirklich entspannt in den Tag zu starten. Plötzlich fällt mir auf, dass die Luft in einem kleinen Bereich zwischen Bett und Kleiderschrank zu flimmern scheint, aber nicht wie bei großer Hitze, sondern irgendwie strukturierter. So als würde Scotty vom Raumschiff Enterprise jemanden hierher beamen, schießt es mir durch den Kopf. Ich zwinkere mehrmals, um der optischen Täuschung Herr zu werden. Doch das gelingt nicht, ganz im Gegenteil, jetzt scheint die Stelle von einem blaugrauen Nebel erfüllt zu werden. Wie, wenn Barbara Eden als bezaubernde Jeannie in der gleichnamigen Serie der 1960er Jahre erscheint, fällt mir wieder etwas aus dem Fernsehen ein. Verwundert richte ich meine Oberkörper halb auf, stütze ihn automatisch auf meinen rechten Unterarm ab.
Die Erscheinung ist immer noch da, und inzwischen bin ich mit Sicherheit wach. Ich atme tief durch die Nase ein, doch gibt es keinen besonderen Geruch, der auf einen Brand oder ähnliches hindeutet. Genauso schnell wie das Ganze entstanden ist, verschwindet es auch wieder, und zurück bleibt … eine Frau, die mich mit einem Lächeln ansieht. Völlig verwirrt bin ich wie gelähmt, einfach nicht in der Lage mich zu rühren, nur Puls und Atmung beschleunigen merklich. Mit weit aufgerissenen Augen starre ich auf das vor mir stehende Wesen. Ich schätze, sie hat etwa mein alter. Ihre Figur ist sportlich schlank, und sie scheint fast so groß gewachsen zu sein wie ich, mit meinen einssechsundachzig. Sie hat lange Beine, schmale Hüften, und auch wenn ich ihn nicht sehe, mit Sicherheit einen knackigen Po. Ihre Brüste sind eher klein, genau so, wie ich sie mag. Das zauberhafte Gesicht, mit den leicht hervortretenden Wangenknochen, wird von mehr als schulterlangen, gewellten, brünetten Haaren umrahmt. Der leicht dunkle Teint ihrer Haut passt perfekt zu den samtbraunen Augen. Ein traumhafter Anblick. Dabei trägt sie ein luftiges, weißes Sommerkleid, das über und über mit einem Blumenmuster bedruckt ist. Das Oberteil ist körperbetont geschnitten, der knielange Rockteil umschmeichelt ihre Beine hingegen locker, in mehreren Falten.
„Wer, … wer … bist du?“ stammle ich schließlich hervor, während mir zig Gedanken, oder besser gesagt Gedankenfetzen, durch den Kopf wirbeln. Das zauberhafte Wesen, das immer noch etwa eineinhalb Meter von mir entfernt steht, stemmt die Hände in die Hüften. „Na, ich dachte, du fragst nie. … Ich bin Eva, die Frau, von der du immer geträumt hast.“ erklärt sie bestimmt, als ob es die normalste Sache der Welt ist, was hier gerade passiert. „WAS bist du.“ platzt es aus mir heraus. „Nicht was, sondern wer.“ lächelt sie mich himmlisch süß an, „Ich bin die Frau, von der du immer geträumt hast.“ „So etwas kann es nicht geben.“ rede ich mehr zu mir selbst als zu ihr, „Entweder ist es ein sonderbarer Traum, in dem ich sogar weiß, dass ich träume, oder ich habe einen unentdeckten Hirntumor, der irgendwie diese Erscheinungen erzeugt, … oder vielleicht hatte ich ja einen Schlaganfall, und dämmere gerade im Koma dahin, während ich hier in dieser Traumwelt bin.“ Kopfschüttelnd versuche ich meine Gedanken in klarere Bahnen zu lenken, doch das ist zwecklos. Das Wesen, das sich Eva nennt, zieht die Stirn kraus.
„Sag mal, bist du immer so destruktiv?“ fragt sie nur, scheint aber keine Antwort zu erwarten, denn im gleichen Augenblick kommt sie auf mich zu. Nun erwache auch ich aus meiner Starre, rutsche langsam soweit hoch, dass ich mit unter den Körper gezogenen Beinen, und aufgerichtetem Oberkörper, am Kopfende meines Bettes lehne. „Darf ich?“ fragt Eva auf meine Bettkante deutend. Ich nicke nur, immer noch völlig perplex, während sie sich schon setzt. Erst jetzt wird mir bewusst, wie attraktiv diese Frau tatsächlich ist. Nein, sie ist kein Modeltyp, sondern sie hat eine natürliche Schönheit und besondere Anmut. „Du hast dir doch sehnlichst eine Partnerin gewünscht, … naja, und deine Wünsche wurden eben erhört.“ lächelt sie mich wieder an, „Und ich bin ziemlich real.“ Gleichzeitig kneift sie mir fest in meinen Unterarm. „Auuu!“ schreie ich mehr vor Schreck, als vor Schmerz auf. Irgendwie beginne ich die Situation, so bizarr sie auch ist, erst einmal als gegeben hinzunehmen. „Das merke ich. … Aber sowas kann es nicht geben, ich hab noch nie von sowas gehört.“ bemerke ich nur.
„Ach, und weil du noch nie davon gehört hast, gibt es das nicht?“ fragt Eva zurück, „Vielleicht gibt es das ja sogar oft, nur niemand redet darüber, um nicht in der Klapse zu enden.“ Schweigend überlege ich kurz, welche glücklichen Paare ich kenne. Ob einige auch wohl so etwas erlebt haben wie ich? „Vielleicht.“ gebe ich nachdenklich zurück, „Aber hast du mich erhört, oder welches übernatürliche Wesen war es?“ Die zauberhafte Frau, die auf meiner Bettkante sitzt, lacht auf. „Nein, ich war es ganz bestimmt nicht, … aber ich weiß auch nicht wer mich hierhergeschickt hat.“ Sie erzählt, dass sie nicht weiß, was vor heute Morgen mit ihr war, nur dass ich mir sehnlichst eine Frau für mein Leben wünsche, und eben sie diese Frau ist. Doch trotz, dass sie nicht weiß, was mit ihr vor heute Morgen war, hat sie eine komplette Lebensgeschichte parat: Sie ist ein Jahr jünger als ich, in Göttingen geboren, und dort auch als Einzelkind aufgewachsen. Von Beruf ist sie Stewardess, arbeitet aber seit einem Jahr als Bodenpersonal einer großen Airline am Nürnberger Flughafen. Ihre Eltern, ebenfalls Einzelkinder, starben bei einem Autounfall, als sie zwanzig war, und seid vor zwei Jahren ihre letzte noch lebende Großmutter gestorben ist, hat sie keine lebenden, direkten Verwandten mehr. Sie hat drei gescheiterte Beziehungen hinter sich, lebt deshalb schon seit einiger Zeit mehr oder wenig unfreiwillig allein.
Da bei ihr in der Pubertät eine Zyste festgestellt wurde, musste ihre Gebärmutter entfernt werden, und somit wird sie nie Kinder bekommen können. Dies alles erzählt sie mir ohne Zögern, und trotz der genannten Schicksalsschläge, sei sie ein fröhlicher, lebensbejahender Mensch geblieben, nur ihr Humor sei manchmal etwas direkt und bissig. Schweigend höre ich mir ihre Geschichte an. Auf meine Nachfrage, wo sie denn angeblich leben würde, meint sie, dass sie eine kleine Einzimmerwohnung in Nürnberg hat. So gefangen, wie ich auch von alldem bin, inzwischen ist es nach acht, und ich möchte endlich frühstücken. „Gute Idee.“ lächelt Eva mich an. „Ich hab auch echt Hunger.“ Doch zuerst gehe ich ins Bad, um mich ein wenig frisch zu machen, und den Schlafanzug gegen tagestaugliche Kleidung zu tauschen. Ich atme tief durch, denn der merkwürdige Traum wird nun sicherlich vorbei sein. Schade eigentlich. Doch weit gefehlt. Als ich die Küche betrete, ist Eva bereits dabei, den Frühstückstisch zu decken. „Entschuldige, dass ich deine Schränke durchwühlt habe, aber ich dachte, ich könnte mich zumindest ein bisschen nützlich machen.“ lächelt sie mich einfach an.
Der Traum geht also weiter. „Fühl die wie zuhause.“ lächle ich zurück, und beginne ihr beim Frühstückmachen zu helfen. Während des Frühstücks, und auch danach, erzähle ich ihr ohne Zögern von meinem Leben, von meinen Wünschen und Sehnsüchten. Es ist tatsächlich so vertraut, als würde ich mit einer lieben Freundin reden, die ich schon mein ganzes Leben kenne. Immer wieder berühre ich sie. Ist es anfangs nur zufällig, suche ich bald den Kontakt mit ihrer Hand oder ihrem Arm. Offiziell, um mich einfach davon zu überzeugen, dass sie real ist, aber ehrlich gesagt, löst die Berührung nicht nur jedes Mal ein wohliges Kribbeln aus, sondern es sind regelrechte Glücksgefühle, die mich erfassen. Auch Eva scheinen die Berührungen zu gefallen, denn stets zögert sie das Loslassen etwas länger heraus. Egal ob real, oder nur ein Traum, egal ob ich noch normal bin, oder gerade dabei bin den Verstand zu verlieren: Ich genieße die Gegenwart dieses zauberhaften Wesens, wo immer sie auch hergekommen ist. Wie lange durfte ich so etwas nicht mehr erleben. „Sag mal, bin ich denn eigentlich dein Traummann?“ frage ich meine Gegenüber irgendwann.
Eva schaut mich nachdenklich an: „Das musst du ja wohl sein, sonst wäre ich wohl kaum hier. … Auf jeden Fall glaube ich, dass ich einen richtig guten Fang mit dir gemacht habe.“ Wieder einmal muss ich aufpassen, nicht im tiefen Blick ihrer wunderbaren, braunen Augen zu versinken. Was ist nur mit mir los? Ich kenne mich kaum wieder, bin tatsächlich wie verzaubert. Zu Mittag machen wir gemeinsam eine Pizza. Ich habe einen Fertigteich im Kühlschrank, den wir reichhaltig frisch belegen. Dabei kommen wir uns immer wieder nahe, sodass ich ihren Duft tief einatmen kann. Eva trägt kein Parfum, sondern es ist ihr eigener, wunderbarer Duft. Das herrliche Kribbeln geht gar nicht mehr weg aus meinem Bauch, sondern rutscht sogar noch eine Etage tiefer, direkt zwischen meine Beine. Schade, gefühlt viel zu schnell ist die Pizza fertig, und wir sitzen uns wieder am Esstisch gegenüber, warten, dass der Backofen seine Arbeit erledigt hat. Der Gesprächsstoff geht uns aber nicht aus, und schließlich können wir das köstliche Mahl genießen, zumal ich noch eine Flasche fruchtigen Weißwein im Kühlschrank gefunden habe. „Kann eigentlich nur ich dich sehen, oder können andere Menschen das auch?“ frage ich, nachdem ich das letzte Stück Pizza heruntergeschluckt habe.
Eva grinst mich breit an: „Natürlich können auch andere Meschen mich sehen, … schließlich heiße ich nicht Harvey, … und sehe hoffentlich auch nicht aus, wie ein großer weißer Hase.“ Es dauert ein wenig, dann erst fällt mir ein, dass sie auf den Film mit James Steward anspielt, wo er den gutmütigen Elwood Dowd gibt, dessen ständiger Begleiter ein zwei Meter großer, für jeden außer ihn unsichtbarer weißer Hase ist. Ich muss herzlich lachen, während ich sie von oben bis unten ansehe: „Nein, wie ein Häschen sieht du wirklich nicht aus, … naja, und der Rest wird sich irgendwann sicherlich zeigen.“ Irgendwie bin ich immer noch nicht davon überzeugt, dass das alles nicht nur ein wunderschöner, aber verrückter Traum ist. Sollte sie real sein? Egal. Erst einmal räumen wir den Tisch ab. Da ich keine Spülmaschine habe, waschen wir anschließend gemeinsam ab. Wieder sind wir uns nahe, und ich habe fast das Gefühl, dass die lustvolle Spannung, die unbewusst längst zwischen uns entstanden ist, fast schon zu greifen ist. Auch Eva scheint es ähnlich zu gehen, denn immer mehr sucht sie geradezu meine Nähe.
Schreck am Morgen
Meine Traumfrau
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