Stefans Laune ist schlecht, als er die Praxis verlässt. Die nassforsche Art seines Urologen ist und bleibt ihm ein Gräuel. Er hasst Besuche beim sogenannten Männerarzt, vor allem solche, wie heute. Die penetrant gute Laune des Weißkittels, als er ihm seine Beschwerden schildert, ist nur schwer zu ertragen. Stefan ist einer vom alten Schlag, gehört einer Generation an, der es schwer fällt über gewisse Dinge zu reden. Das soll nicht heißen, dass es sich bei ihm um einen altbackenen Menschen handelt. Das Gegenteil stimmt: Stefan war schon als junger Mann offen und tolerant. Homophobie war damals, Ende der Siebziger, weit verbreitet. Stefan fand das zum Kotzen, beurteilte Menschen nicht nach ihrer sexuellen Orientierung. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Dennoch graut ihm vor der anstehenden Untersuchung, die alternativlos sei, wie ihm der Arzt versichert. Allein der Moment, in dem dieser freudig Erregte seine Gummihandschuhe überstülpt, reizt Stefan Gewalt anzuwenden. Es folgt die obligatorische Rektaluntersuchung, die er unwillig über sich ergehen lässt. Er fragt sich selbst, was ihn daran so stört? Die meisten Kerle hassen diese kleine Hafenrundfahrt abgrundtief!
Komischerweise sind sie aber gleich Feuer und Flamme, wenn einer Frau dasselbe Ungemach droht. Solche Widersprüche dominieren die Gesellschaft. Das dazu passende Motto lautet stets: Geben ist seliger denn Nehmen! Jubiliere gefälligst, Weib! Ein gottgleicher Schwanz dringt gönnerhaft in Deine Rosette ein! Stefan war sich schon immer bewusst, dem eigentlichen schwachen Geschlecht anzugehören. Wenn ihn schon ein Finger im Arsch an seine Grenzen bringt, würde er eine Schwangerschaft samt Entbindung kaum überleben. Glücklicherweise dauert diese Prostata –Abtast-Nummer nicht sehr lange. Nachdem der juvenile Mediziner auch den Rest seiner Lendengegend untersucht hat, muss Stefan nochmal ins Wartezimmer. Er setzt sich neben einen jüngeren Mann, der ihm unaufgefordert seine Krankengeschichte schildert. Nach qualvollen Minuten, Stefan wundert sich, wie viel ein Mensch in so kurzer Zeit reden kann, wird er endlich aufgerufen.
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