Gerade noch rechtzeitig versteckte sich Ursino hinter einem Holzpfahl. Flurina schreckte auf. „Wieviel Uhr ist es?“, fragte sie Silke, und diese warf einen Blick auf ihre Taschenuhr. „Halb elf, warum?“, fragte sie ahnungslos. „Weil … Ursino … mein Liebhaber … mich immer um zehn Uhr besucht.“
Auch wenn es Silke schwerfiel: Sie zeigte Verständnis und zog sich ihren zerwühlten Rock über. Den Schlüpfer und das Seidenhemd überließ sie der mittellosen Freundin und versprach ihr, in der übernächsten Nacht wiederzukommen. Wie ein Fluidum verschwand sie in den Tiefen des Dachstocks und machte sich mit weichen Knien auf den Weg in ihre Herberge.
Ursino fand eine angewärmte und angefeuchtete Flurina vor. Er spielte den Ahnungslosen, aber als er in Flurina eindrang, sah er vor seinem geistigen Auge immer auch gleich Silke, die fremde Schöne, und es ging ihm nicht aus dem Kopf, was sie mit seiner Flurina angestellt hatte.
Das Erlebte beschäftigte ihn derart, dass er sich einen Tag später Bastian, dem Hausarzt und gleichsam seinem Freund, anvertraute. Bastian wollte jedes Detail erfahren, vor allem auch, was die fremde Frau anging, die ihn ja gerade eben erst in seiner Praxis aufgesucht hatte. „Aus medizinischen Gründen“, sagte er, „aus medizinischen Gründen muss ich einmal dabei sein, Ursino, ich muss ganz genau sehen, wie es zwei Frauen miteinander treiben. So kann ich allenfalls eine Therapie entwickeln.“ Er drückte Ursino fünf solide Gulden in die Hand, diesem fielen fast die Augen aus dem Kopf. „Also, mein Freund“, sagte er. „Wann sehen sich die Frauen das nächste Mal?“ Ursino schluckte leer und äußerte eine Vermutung. In der darauffolgenden Nacht würde sich die geheimnisvolle Silke nicht blicken lassen, aber in der übernächsten Nacht wohl schon, so gegen acht Uhr, vermutete Ursino.
Der bis ins Mark verdorbene Herr Doktor Bastian Carigio, ein wahrhaft verrotteter Charakter, verbreitete die Kunde umgehend. Er besuchte den Bäckermeister, den Dorfpolizisten, den Kaschemmenwirt und sogar Flurinas Hausherr. Er senkte die Stimme, weil das, was er zu berichten hatte, hochvertraulich war. „Frauenliebe“, sagte er nur. „So etwas habt Ihr noch niemals gesehen.“ Als würde er eine neue Zirkusnummer anpreisen, verriet er auch gleich den Zeitpunkt. „Acht Uhr, Donnerstagabend“, sagte er verschwörerisch. „Ursino empfängt uns um sieben Uhr, bringt uns in seine Schlafkammer, und dort warten wir, bis die beiden Frauen übereinander herfallen.“ Er schnalzte mit der Zunge, ging zurück in seine Praxis und konnte sich derart schlecht konzentrieren, dass er einer Herzpatientin beinahe Kalium gespritzt und sie so mit Sicherheit getötet hätte.
Silke zuliebe
29 19-30 Minuten 1 Kommentar
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Silke zuliebe
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schöne Geschichte
schreibt alak87@gmx.de