Dann war da diese Idee gewesen, als er, wie immer, seine Wecken knetete. Wecken bestehen oftmals aus zwei Hälften, die einem Po gar nicht so unähnlich sehen. Der Bäckermeister hatte kurzerhand eine Handvoll Schokoriegel hergestellt und schob diese grinsend zwischen die beiden Weckenpohälften, nachdem er die Brötchen dem Ofen entnommen hatte. Sie waren an Obszönität nicht zu überbieten, aber um die Mägde nicht zu überfordern, die bei ihm einkauften, legte er zwischen die Schokoanalvögelwecken jeweils eine konventionelle, unauffällige Wecke. Ein Blickfang war seine primitive Kreation allemal.
Silke betrat die Bäckerei. Sie war nicht nur Charakterforscherin, sondern auch eine Frau mit einem gewissen Stolz, und sie fand die Anal-Wecken entwürdigend, misogyn gar, obwohl es sich auch um Männerpopos hätte handeln können. „Ich nehme alle“, sagte sie kurz angebunden und zeigte auf die Schaufensterauslage. „Alle Schokostängelwecken.“ Der Bäckermeister war sprachlos. Da stand eine impertinente, außergewöhnlich schöne junge Frau in seinem Laden und wollte sein Schaufenster leerkaufen. Zutiefst verunsichert räumte er seine Kreationen auf ein Holztablett, schob sie in drei Papiertüten und reichte diese Silke über den Tresen. Sie kam sich vor, als hätte sie den Mann in flagranti ertappt und musste sich ein Lachen verbeißen. Sie entnahm der einen Tüte eine Wecke, entfernte den Schokoriegel, bezahlte die Rechnung und warf dem völlig irritierten Bäckermeister den Schokostängel zu. „Schieb ihn Dir selbst rein“, sagte sie in einer für eine Frau des gehobenen Mittelstandes völlig ungebührlichen Sprache und verließ ohne ein weiteres Wort den Laden. In kurzer Zeit verfasste sie bereits die zweite Notiz zu Charakteren, zum archaischen Sein der Menschen in entlegenen Dörfern.
In den nächsten Tagen war Silkes Leben im Bünder Dorf eher ziellos und ungerichtet. Die Dorfbewohnerinnen und -bewohner waren auf den Äckern, in den Ställen und in den Küchen beschäftigt, und Silke fiel, verglichen mit der Stadt, aus der sie kam, nichts Außergewöhnliches auf. Die Menschen standen auch hier im Existenzkampf. Er war vielleicht, mit den ihr vertrauten warmen Schreibstuben, eher rural angelegt. Aber letztlich ging es auch den Menschen im Bündner Dorf darum, Nahrung für ihre Familien heranzuschaffen, ihre Häuser zu wärmen und die Felder zu bewirtschaften, vorausschauend auf schlechtere Zeiten, die da kommen konnten. Dann war da der Tag, an dem Silke sich erkältete. Sie atmete schwer und wurde liebevoll von der Wirtin umsorgt, die gleichsam eine Art Hausmutter für die beherbergten Gäste war.
Silke zuliebe
29 19-30 Minuten 1 Kommentar
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Silke zuliebe
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schöne Geschichte
schreibt alak87@gmx.de