Und schon war Flurinas Neugier geweckt. Silke mit ihren Kringellocken schien ihr alles andere als bedrohlich, und Silkes Stimme, ihr Blick, ihre Lachfältchen waren herzerwärmend. Flurina blickte um sich, weil ihr bewusst war, dass sie ständig von jemandem beobachtet wurde. Aber die Straße war menschenleer, auch hinter den blinden Fensterscheiben über ihnen schien die beiden Frauen niemand zu kontrollieren. Ein Moment der Ruhe. „Wir können hier nicht lange reden“, sagte Flurina hastig. „Aber wenn Du etwas über die Menschen hier, wenn Du etwas über mich erfahren willst, dann kommst Du am besten heute Abend um acht Uhr direkt in meine Schlafkammer.“ Sie hüstelte verlegen, wissend, dass es sehr ungewöhnlich war, eine wildfremde Frau direkt zu sich in die Kammer einzuladen. Aber die komplett mittellose Flurina hatte keine anderen Möglichkeiten.
Silke lächelte ihr aufmunternd zu und versicherte ihr, am Abend Vorsicht walten zu lassen. Flurina deutete mit dem Kopf zum Treppenhaus, das sich zwischen zwei Türen in die Höhe wand. „Dort oben ist es“, sagte sie. „Dort schlafe ich.“ Unwillkürlich schlug bei beiden Frauen das Herz etwas schneller. Bei Flurina, weil sie sich auf etwas Neues einließ, bei Silke, weil sie Flurina gefunden hatte, die ihr bestimmt Einblick in die zum Teil verhärmten Charaktere der Dorfbewohnerinnen und -bewohner gewähren würde.
Den Rest des Tages verbrachte Silke in ihrem kleinen Zimmer im Gasthof, wo sie ihre bisherigen Notizen überarbeitete. Der Text umfasste bereits beachtliche zwanzig Seiten. Die Berufung zur Charakterforscherin brachte Silke zwar nichts ein, dessen war sie sich bewusst. Ihre Leidenschaft konnte sie nur ausleben, weil sie auf keinen Erwerb angewiesen war und einen großzügigen Vater hatte, der sie über alles liebte.
Als es dämmerte, machte Silke sich auf den Weg, nicht, ohne im Innenhof nach Alena, ihrer Stute, zu sehen, die friedlich an ein paar Heuhalmen knabberte. Dann ging sie zum Brunnen, entkleidete ihren Oberkörper, nachdem sie sich umgesehen hatte, und betrieb eine Katzenwäsche. Schließlich ging sie zu einer Frau zu Besuch, und Schweißgeruch würde ihr nicht gut anstehen. Dann schob sie ihren Rock hoch, zog den Schlüpfer nach unten und wusch auch ihre Vulva. „Pariser Hurenwäsche“, sagten ihre Freundinnen zu Hause spöttisch zu dieser flüchtigen und dennoch zwischendurch notwendigen Art der Körperhygiene. Die Kernseife, die Silke nutzte, roch gar nicht mal so schlecht, und sie konnte noch knapp das Wort „Lavendel“ entziffern. Die Schankwirtin gönnte sich somit den Luxus, aromatisierte Kernseife zu benutzen. „Sei’s drum“, sagte Silke leise zu sich und machte sich auf den Weg zu Flurina. Der Abendwind erfrischte sie zusätzlich, und sie freute sich, dem Leben etwas Positives abgewinnen zu können. Je näher sie Flurinas Behausung kam, desto vorsichtiger wurde sie und drängte sich den Häuserwänden entlang. Dies nicht zuletzt auch deshalb, weil sie nicht Gefahr laufen wollte, vom Inhalt eines Nachttopfs getroffen zu werden. Auch sie schüttete ja ihren Nachttopf, wie von der Gastwirtin empfohlen, achtlos aus dem Fenster.
Silke zuliebe
29 19-30 Minuten 1 Kommentar
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Silke zuliebe
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schöne Geschichte
schreibt alak87@gmx.de