Dann erklomm Silke das knarrende Treppenhaus, das sich in die Höhe wand. Es gab drei Stockwerke, an denen Silke vorbeikam, dann musste sie mehreren Spinnweben ausweichen und erreichte das Dach. Die Tür zu Flurinas Gemach, die Tür, die gleichsam von Ursino benutzt wurde, damit er in sein kleines Zimmer gelangte, war unscheinbar und nicht ganz leicht zu öffnen. Dann stand Silke im Dachstock, der matt vom Mondlicht erhellt wurde. Flurina saß kerzengerade im Bett. Sie trug ein weißes Nachthemd, was ihr ein etwas gespenstisches Aussehen verlieh, das durch ihre wilden Locken noch unterstrichen wurde. „Hier bin ich“, flüsterte Flurina. „Komm, setz Dich zu mir auf einen der Kartoffelsäcke. Mehr kann ich Dir leider nicht bieten. Auch von Flurina ging ein Geruch nach Seife aus, allerdings ohne Beimengung von irgendeinem Blütenaroma. Silke rang um Worte und versuchte, ihre Erschütterung zu verbergen, die sie ergriff, weil die liebenswerte junge Frau derart arm war und nur einige Kartoffelsäcke sowie eine dünne Decke ihr Eigen nannte, wenn überhaupt. Aber Flurina hatte sich den Luxus einer Kerze geleistet, die sie mit etwas flüssigem Wachs am Boden festgeklebt hatte. Die Kerze war dick und würde wohl mehrere Stunden überdauern.
„Erzähl mir einfach aus Deinem Leben, ich notiere mir Deine Geschichten in Stichworten.“ Und da brach es aus Flurina heraus, sie schilderte in vielen Farben ihr ärmliches, arbeitsames Leben, im Wissen, dass Tausende von Frauen ihr Schicksal vermutlich teilten. Als sie etwas in Fahrt gekommen war, verheimlichte sie Silke auch die Erlebnisse mit den Dorfmännern nicht, erzählte ihr, was der Bäckermeister, der Dorfarzt, Matteo, der Hausherr, mit ihr gemacht hatten. „Sie wollen alle nur meinen Körper“, seufzte sie, und Tränen traten in ihre Augen. „Dabei finde ich es eigentlich ganz angenehm, das Liebemachen, und mein Freund Ursino kennt sich damit schon ziemlich gut aus.“
Jetzt lächelte Flurina verschmitzt. Dann fasste sie sich ein Herz und bat Silke zu sich unter die Decke. „Komm doch ein wenig zu mir, dann ist es gemütlicher“, sagte sie einladend. Zuerst zögerte Silke. Flurina war im Grunde eines ihrer Studienobjekte und sie war sich nicht sicher, wie sehr sie sich ihr nähern sollte, um die wissenschaftlich gebotene Objektivität nicht preiszugeben. Aber dann knöpfte sie ihren Rock auf, legte ihn zur Seite, behielt den Schlüpfer und das seidene Unterhemd aber an. So kuschelte sie sich an Flurina, die ihre Hand andächtig über den feinen Stoff gleiten ließ. „Ich wusste, dass es Seide gibt, ich weiß sogar, dass Raupen sie herstellen“, flüsterte sie. „Aber so fein und kühl habe ich mir das Material nicht vorgestellt.“ Sie strich immer wieder über den Stoff und verschaffte Silke damit Gänsehaut. Da war nicht nur die Nähe zur bildschönen Flurina, die sie anmachte. Da war auch die neugierig erkundende, tastende Hand ihrer neuen Freundin. „Ich schenke Dir mein Hemd, wenn es Dir so viel bedeutet“, hörte Silke sich sagen. Sie setzte sich auf und zog sich das olivgrüne Kleidungsstück über den Kopf. Als Flurina Silkes nackte Brüste gewahr wurde, war es um sie geschehen. Schon immer hatte sie sich gefragt, wie sich die Brüste einer fremden Frau wohl anfühlen, und nun hatte sie ein solches nach Lavendel duftendes Prachtspaar vor sich. „Darf ich …“, fragte Flurina scheu. Silke antwortete nicht. Auch für sie war die Situation neu und glitt nun in eine komplett neue Dimension. Sie hatte ja nur etwas über Flurinas Leben und ihre Begegnungen im kleinen Dorf in Erfahrung bringen wollen, sie, die Charakterforscherin.
Silke zuliebe
29 19-30 Minuten 1 Kommentar
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Silke zuliebe
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schöne Geschichte
schreibt alak87@gmx.de