Der Sommer war schon fast vorüber

5 8-13 Minuten 0 Kommentare
Der Sommer war schon fast vorüber

Der Sommer war schon fast vorüber

Herzog

Gleich hinter den Oleanderbüschen führt eine uralte, von Gras und Farn überwucherte Steintreppe ein Stück den Weg hinauf, dann kommt man an die halbzerfallene Gartenmauer heran, wendet sich nach rechts und gelangt im Schutze einer undurchdringlichen Kakteenhecke auf den kleinen Felsvorsprung, unter dem sich das Meer bis zum Horizont erstreckt. Pietro kennt diesen Weg genau, oft genug ist er ihn im vergangenen Jahr hinaufgeschlichen. Es gibt da diesen Baum, und wenn man sich erst einmal in seiner dichten Krone verborgen hat, sieht man das ganze Grundstück vor sich liegen...
*****
Irgendwann Anfang Juni letztes Jahr hatte er die beiden Fremden zum ersten Mal gesehen, das war nachmittags auf der Piazza gewesen: der stattliche Mann mit der kühnen Hakennase, diesen unwahrscheinlich blauen Augen und der hohen Stirn - und die soviel jüngere Frau, so zart und zerbrechlich gebaut, dass man sie für ein halbwüchsiges Kind halten mochte, bis man dann die Üppigkeit ihrer Brüste wahrnahm und diesen irgendwie geheimnisvoll-wissenden Blick in ihren schönen Augen. Es war etwas Ungewöhnliches um diese Fremden, das hatte er gleich gefühlt, und als der Vater ihn dann hinaufschickte zu dem einsam gelegenen Haus, dort oben am Ende der Straße, hatte er gespürt, wie sein Herz ganz unvernünftigerweise heftig zu schlagen begann.
Sie kamen von irgendwoher aus Deutschland, das hatte er in der Bar aufgeschnappt, als er dort einen Karton mit Lebensmitteln ablieferte. Es hieß, sie würden den ganzen Sommer bleiben, in der kleinen versteckten Privatbucht schwimmen, mit dem staubbedeckten Jeep durch die Berge fahren. Die Männer in der Bar tuschelten über die beiden, aber das war nichts Besonderes, so viele Touristen gab es ja nicht in dieser Gegend.
Im Laden selbst hatte er sie nie gesehen. Sie bestellten die Ware über das Telefon, zweimal die Woche, und es waren Dinge darunter, die der Vater extra ihretwegen aus der Stadt kommen ließ. Er bekam gute Laune, der Vater, wenn er den Karton packte, sie waren sehr gute Kunden, die besten, die er jemals hatte, und er, Pietro, musste sich immer ein frisches T-Shirt überziehen, bevor er sich auf den Weg machen durfte.

Klicke auf das Herz, wenn
Dir die Geschichte gefällt
Zugriffe gesamt: 6472

Sie müssen sich anmelden, um Kommentare hinzuzufügen.

Gedichte auf den Leib geschrieben