Wenn ich so zurückdenke ... manchmal zieht ein außergewöhnliches Erlebnis im Leben vorbei wie eine Sternschnuppe am Nachthimmel, wie ein plötzlich aufzuckendes Blitzlicht, das einem kurz blendet - danach geht man ins Bett und hat am Morgen entweder alles vergessen, oder ... nein, diesen Moment werde ich ganz bestimmt nicht vergessen! Auch den Namen nicht – aber ich will sie jetzt einfach nur Melanie nennen.Ich arbeitete damals in einer Marketingfirma, die sich einen Klotz aus Glas in die Landschaft hatte stellen lassen – ich verglich den Bau immer mit einem Bienenstock. Auch hier arbeiteten, lebten fleißige Bienen. Immer begegnete man zufällig einem Gesicht, dass man noch nie gesehen, und Namen, die man noch nie gehört hatte. Ja, der Bau summte von Früh bis spät, und ich summte mit in einem kleinen Universum, dass umgeben wurde von einem größeren, das Größere von einem noch größeren... Universen, in denen eigentlich weder Platz für Erotik noch für eine Art sinnlicher Leidenschaft ist, nur für bezahlte Nüchternheit.
Und doch, an diesem Abend waren wir beide, Melanie und ich die einzigen, die übrig geblieben waren. Samstag Abend, draußen begann es zu dämmern.
Soweit ich mich erinnere, ging es um einen Großauftrag eines Autokonzerns, der wieder einmal ein neues Modell in die Welt setzen wollte. Und wir sollten diese Geburt in Szene setzen. Werbespots, in erster Linie auf Männerträume zugeschnitten. Und was spricht Männer mehr an, als Erotik, klar. Erotik, nicht zu aufdringlich, aber doch erkennbar ...Exotische Träume, die nie wahr werden. Was später völlig natürlich aussehen sollte, hieß für uns nur harte Arbeit. Hinter der hauchdünnen Schicht Erotik steckten trockene Marktstudien: Wie viel Haut nimmt man wahr, wo sieht man zuerst hin, was nimmt man unbewusst war undundund. Die Gefühlswelt der Männer lag in Tabellen aufgeteilt vor, die Erotik versank in psychologischen Erkenntnissen, dass ich mich schon manchmal selbst fragte, was mich danach noch an einer Frau reizen würde.
Aber bitte, verstehen Sie mich nicht falsch, ich war nie ein Draufgänger, auch damals nicht. Es wäre mir nie – gut, fast nie – in den Sinn gekommen, mich an eine der durchwegs hübschen Bienen in unserem Bau heran zu machen, die mich umschwirrten ... wir Bienen hier im Stock hatten zu arbeiten, zu summen ... Sie wissen ja, wie das ist.
Nun gut, man steckte uns zusammen in einen Pferch und wollte Ergebnisse sehen – und das möglichst rasch, wie immer. Melanie fungierte als Assistentin im Team und ihre Aufgabe bestand darin, unsere Ideen zu sammeln, nüchtern, sachlich.
Ja, deswegen mutet es mir auch heute noch merkwürdig an, was an jenem Abend passierte. Vielleicht lag es an der allgemeinen Anspannung, die sich auf diesem Weg ein Ventil suchte, vielleicht an der Nervosität, je näher der Termin rückte ... vielleicht sprangen Funken der Träume, die wir eigentlich denen draußen vorgaukeln sollten, auf uns beide über ... klebten an uns beiden aufgeladene Partikel, die sich an jenem Abend anzogen und sich mit einem lauten Knall entluden?
Es wurde später und später, ein Kollege nach dem anderen verschwand, bis nur noch wir beide übrig waren im Büro. Draußen Nacht und die Lichter, die sich in den dunklen Fensterscheiben wiederspiegelten ... über zwei Tische hinweg Agenturphotos ausgebreitet, die wir in verschiedene Kategorien sortierten: Posen, Haarfarben, Münder, Beine, Oberweiten usw. Ich stand ihr gegenüber und schob ihr ein Photo nach dem anderen zu. Wir diskutierten, waren mal einer Meinung, ein anderes Mal nicht. Zwischendurch betrachtete ich, mehr unbewusst wohl, wenn ich genug von Mündern aller Formen hatte, Melanies Hände. Feine, lange Finger mit dezentem Nagellack, wie sie nach einem Photo griffen, dass ich ihr zuschob ... und blieb manchmal an ihnen hängen, wie eine Fliege auf zähem Leim. Bilder, Bilder, die zu Farbkleksen wurden, je länger man sie betrachtete ... dann waren mir ihre Finger nicht mehr genug, ich begann ihren Mund mit denen der Modelle zu vergleichen ... ihre Brüste, die sich umso deutlicher unter dem eng anliegenden Stoff ihrer Bluse abzeichneten, je weiter sie sich nach vorn beugte. Zuerst war es wie ein Spiel ... dann hörte ich mich selbst plötzlich hier und da eine Bemerkung einflechten, deren Hintergrund allmählich nicht mehr zu überhören war.
Die Krawatte wurde mir zu eng, ich musste sie aufziehen, um mir Luft zu ver- schaffen – doch die Konzentration fiel trotzdem immer schwerer. Das, was ich noch wahrnahm, war das Funkeln in ihren Augen, dass wie Elmsfeuer auf den Zweigen eines Busches saß. Ihre Stimme hörte sich an wie ... ein unpassender Vergleich vielleicht ... wie das erste leise Donnern, mit dem sich ein Gewitter in der Ferne ankündigt ... und ich spürte dieses Gewitter in mir, ich fühlte ein leises Vibrieren ... einen leisen Ton ... ein gewisser Ton ... etwas Verlockendes ...
Ich versuchte, mich an die Art belangloser Scherze zu klammern, die man über den Rand einer Kaffeetasse hinweg dem Kollegen zuwirft, ohne sich in privates zu vertiefen; nicht mehr in ihr zu sehen, als eine mir bis vor kurzem noch Un-bekannte ... die Kluft zwischen Kollegen aufrecht zu erhalten ... doch alles wie weggeblasen ... arbeitete ich überhaupt noch, oder starrte ich sie nur noch an? Spielte ich ein Spiel, das längst über den Punkt hinausging ... über einen Punkt, hinaus, wo man sich nicht mehr bremsen kann ... und will?
So kam es immer öfter vor, dass ich ihr ein Photo zuschob und bewusst darauf wartete, dass mich ihre Hände streiften ... mehr und länger, als es vielleicht un-bedingt nötig gewesen wäre ... ein Spiel mit dem Feuer?
Ich war neugierig, ob der Funke überspringen würde. So spielte ich eine Zeit lang – und je öfter wir uns berührten, desto sicherer war ich mir, dass sie dieses Spiel mitspielte. Ein Spiel, mit welchem Ziel ... mit welchen Regeln ... außer sich dahintreiben zu lassen? Bis es dann irgendwann kein Spiel mehr war, als ich einfach ihre Hände fest- hielt und an nichts Vernünftiges mehr dachte ... nur noch an eines: Ich will sie haben! Also nagelte ich ihre Hände fest und setzte alles auf eine Karte. Wenn sie tatsächlich gewollt hätte, wäre es natürlich kein Problem gewesen, sich aus meinem Griff zu befreien ... mir vielleicht sogar eine Ohrfeige zu geben ... das Zündholz ausblasen ... doch meine Karte zeigte sich als Trumpf-As, sie ließ meine Hände dort auf ihren liegen und sah mich mit einem Lächeln an, dass mir wohl den letzten Verstand raubte. Ich sah nur noch ihre Augen, das Glitzern darin ... ihren Mund ... da gab`s kein Halten mehr!
Wirklich merkwürdig, wie sich Sekunden scheinbar zu Stunden dehnen können ... einer Ewigkeit, man vergisst alles ... ich kam ihr näher, ihr Mund wurde größer und größer ... wurde schließlich zu dem einzigen, was ich in diesem Augenblick haben wollte ... Oh ja, dieser Mund ... ich stellte ihn mir weich und warm vor – und er fühlte sich tatsächlich weich und warm an. Ich stellte ihn mir verlockend vor – und er gab tatsächlich alles, als ich ihn küsste ... küsste ... nicht aufhören konnte, ihn zu küssen. Dieser süße, verlockende Mund mit den warmen Lippen überließ sich mir ... ganz ... überließ mir auch die Zunge zum Spielen, während sich unsere Lippen aufeinander pressten ... einen Tunnel formten, in dem unsere Zungen hin und her wanderten und miteinander spielten. Alle Gedanken schienen in mir in diesem Augenblick nur auf ihre Lippen, ihre Zunge zu konzentrieren – dabei war es nur das Vorspiel zu dem, was sich danach noch abspielte.
Wir wollten uns einfach haben an diesem Abend, auch wenn es die Arbeit von vielen Stunden vorher vernichtete. Die Photos, vorher fein säuberlich getrennt, gerieten durcheinander, wurden von uns erst an den Rand, dann ganz vom Tisch gestoßen und rundherum auf dem Boden verteilt wie welkes Herbstlaub. Ja, irgendwie kam es mir das alles vor wie Herbst: man freut sich zwar über die vielen bunten Blätter, aber man weiß doch, dass bald danach die Kälte kommt ... suchte ich deshalb die Berührung mit ihrem Körper? Fühlte sich ihr Körper deshalb an, als habe er einen Sommer lang Wärme gespeichert ... aufgeheizt, um diese Hitze jetzt nach und nach an mich abzugeben? Ich fühlte und genoss diese Wärme, diese Hitze bei jeder Berührung ihrer nackten Haut – und kann mich kaum erinnern, dass wir unsere Kleider inzwischen abgeworfen hatten, wie lästigen Ballast ... wie Ballast von einem Heißluftballon, den man abwirft, um höher hinauf steigen zu können ... höher, über die Wolkenschicht, die wie eine graue Decke über dem Alltag liegt.
Herbst ... unsere Körper zitterten wie kahle, nackte Bäume ... ich jedenfalls zitterte bei der Berührung ihrer Hände, ihrer Fingernägel, die über meine Haut fuhren ... mich sozusagen aufkratzten ... Sturm, Leidenschaft ... war es das, worauf Melanie wartete? Auf den Anprall eines Sturmes ... auf den Sturm, der wie ein Mund über ihren Körper fahren sollte ... warten auf eine Zunge, die ihren zitternden Körper-Baum von der Krone bis hinab zum Wurzelwerk erkunden und reizen sollte? Ein Sturm, der mit seinen Böen mal an ihren Brüsten saugt, mal ihren Bauchnabel umkreist ... an ihrem Ohr knabbert, an ihren Hüften, an den weichen Innenseiten ihrer Schenkel forscht ... schließlich mit solcher Macht weht, dass sich ihr Körper wie ein Baumstamm biegt ... zurückbiegt ... weiter ... immer weiter zurück, bis sich das Wurzelwerk aus dem Boden hebt ... wie ein Baum ächzt ... ihr Unterleib hob sich mir entgegen, ihr Körper zitterte und warf sich hin und her ... und ich, mit meiner Zunge vorsichtig, zärtlich über ihren Lippen dort zwischen den Wurzeln ... das weiche Moos erkunden ... schließlich eine warme, feuchte Höhle ... meine Zunge fuhr dort hinein, um sich wie ein aufgeschrecktes Tier dort zu verstecken ... vor dem Sturm, den Melanie sichtlich genoss.
Und der Sturm tobte unablässig weiter um uns beide, drängte uns aneinander, als suchten wir in dieser gegenseitigen Umklammerung Schutz vor ihm. Ihr Stöhnen, mein Stöhnen, alles klang fern wie Hilferufe ... Rufe, die aber trotzdem nicht nach Hilfe rufen ... denn ... als wir uns gegenseitig genug erkundet hatten, genug gestreichelt ... angestachelt ... genug gesehen hatten von unseren Körpern, genug von den verzückt geschlossenen Augen, genug von dem was wir voneinander hörten ... da brauchten wir keine Hilfe mehr, um uns zu treffen, zu vereinen ... wir fanden uns ganz von selbst ... dort, wo vorhin meine Zunge eine feuchte Spur hinterlassen hatte ... dort, wo ... wo ... meine ... Wünschelrute eine Ader fand, dort, wo sie ausschlug und den Boden berührte ... dort, wo die Quelle die Rute dermaßen anzog, dass sie wie von selbst in die Höhle eindrang ... vordrang ... vorstieß ... immer tiefer ... tiefer ... die feuchten Höhlenwände umklammerten meine Rute, als saugten sie wie ein Kind an einem Lutscher ... den Lutscher erst ganz tief in die Mundhöhle saugen, dann wieder ganz nach vorn an den Lippenrand schieben, mit der Zunge die Spitze des Lutschers umkreisen .... wir keuchten und spielten, ich schob meine Rute hinein, holte sie wieder heraus, um an ihren Lippen zu spielen ... wir spielten ... wir arbeiteten ... verzückt .... weggetreten...
Ich musste an einen Zug denken, an eine Dampflok ... stampfende Kolben, zischend und fauchend ... ich, als Heizer auf der Plattform, Schaufel um Schaufel Kohlen in ein fast glühendes, rundes Loch werfend, mein Gesicht rot überzogen von der Hitze, die mir entgegenstrahlt ... mein Unterleib wie ein Dampfkessel, in dem es brodelt ... kocht ... heißer Dampf, der durch Rohrleitungen schießt ... keuchend wie ein Zylinder ... Steigungen hinauf... dann wieder langsam in Täler hinunter ... und wo blieb währenddessen die Zeit? Wo blieben Sekunden, Minuten, vielleicht sogar Stunden? Die Zeit löste sich auf in einen fortwährenden Rhythmus ... in Dampf und Schweißperlen, die wie unsere Lust aus allen Poren kroch und tropfte. Die Zeit erschien wie eine ferne Illusion, die einem vorgaukelt, dass es immer so weiter geht ... weiter ... weiter ... das die Bewegung nie aufhört, und wie man es sich wünscht, dass es nie aufhören möge...
Doch leider muss es irgendwann aufhören, muss jeder Zug wohl ein Ziel er-
reichen. Und dieses Ziel kam in Sicht auf jenem Teil der Strecke, auf der es am meisten holperte und rüttelte ... dann, wenn man sich ganz und gar selbst vergessen hat ... eine letzte Umdrehung der Räder, eine letzte Bewegung der Pleuel, die sich bis zum Anschlag in die Zylinder hineinschieben ... der letzte Rest des Lutschers oben auf dem Stiel ... die letzte erschöpfte Bewegung des Heizers auf der Plattform ... dann nur noch ein gleichzeitiges Aufstöhnen, Aufschreien wie das Kreischen der Bremsen ... das zischende Geräusch des überschüssigen Dampfes, der aus dem Kessel entweicht ... Endstation, das Ziel!
Und danach wieder Herbst ... wir lagen da auf der harten, nüchternen Schreib-tischplatte wie vom Sturm gefällt Bäume, die Arme wie Äste ineinander verschlungen ... matt, ausgepumpt, befriedigt, erlöst ... irgendwie auch glücklich ... ohne Bedauern. Vielleicht fragten wir uns im Stillen – jeder für sich – wie es eigentlich dazu gekommen war.
So lagen wir eine Weile, von einer langen Reise zurückgekehrt und spürten, wie das Zittern und Beben in uns allmählich verebbte und die vergessene Zeit langsam aus allen Winkeln des Büros wieder auf uns zukroch ... ich hörte mich selbst, meine Atemzüge, ihre Atemzüge, den Hauch ihres Atems, der über meine Brust strich ... und langsam, langsam kehrten wir zurück ... ich sah meiner Hand zu, die selbstvergessen in ihrem Haar spielte ... Ja ... merkwürdig, wirklich merkwürdig, wie das hatte passieren können ...
Was für ein merkwürdiger Abend, wie viele Details, die sich einfach nicht in Worte fassen lassen ... Details, die man einfach nicht mehr vergisst ... die sich so - leider - auch nie mehr wiederholen ... unvergesslicher Augenblick ... wie eine Sternschnuppe ...
Sternschnuppe
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