Stoßzeit

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Wulff Triebsch

Eine Autopanne hatte mich hierher in dieses Hotel verschlagen, das mehr einer Baustelle glich als einer gepflegten Unterkunft. Der Weg zum Eingang führte vorbei an Bauschutt, Gipsplatten, Kabeln und Kübeln, die Rezeption bestand lediglich aus einem hohen Holztisch, der Aufzug war außer Betrieb, so stand es auf einem Schild.
Doch gleich um die Ecke lag die Werkstatt, die meinen defekten Wagen reparierte. Die Übernachtung mit Frühstück kostete mich nur symbolische 10 Euro, hatte mir der Hotelmanager zugesagt, auch die Getränke in der Zimmerbar gingen auf Kosten des Hauses. „Sie sind der erste Gast in diesem Zimmer, sozusagen unser Gast auf Probe.“
Er schob mir eine Chipkarte zum Öffnen der Zimmertür über den Tisch. Ich sollte die Türklinke erst drücken, wenn ein grünes Lämpchen aufleuchtete. „Warten Sie! Viviane zeigt Ihnen den Weg zu Ihrem Zimmer! Durch die Baustelle ist er nicht einfach zu finden.“
Er deutete auf eine Frau, die sich uns näherte, mich nicht nur anlächelte, sondern mir auch mehrmals mit den Augen zuzwinkerte, eine eindeutige Geste, dass sie mir nicht nur den Weg in mein Zimmer zeigen wollte, sondern auch bereit war, mich weiter bis ins Bett zu begleiten. Dass dieser Weg bis dahin mit nur wenigen Hindernissen gespickt war, sollte mir unterwegs ihr hautenger Rock zeigen, auf dem sich jede Naht ihres knappen Höschens abbildete, und der tiefe Rückausschnitt ihres Pullovers verriet mir, dass sie keinen BH trug.
„Wie heißen Sie eigentlich?“, fragte sie, als wir vor meinem Zimmer angekommen waren. „Triebsch“, antwortete ich. - „Ich meine deinen Vornamen.“ - „Wulff!“
Vor meiner Zimmertür hielt ich die Chipkarte vor das Türschloss, versuchte es ein zweites und ein drittes Mal, doch nirgendwo entdeckte ich ein grünes Lämpchen und die Klinke drückte ich vergeblich.
Viviane ging ein paar Schritte weiter zu einer Tür auf der anderen Seite des Flurs, klopfte an und wartete, bis ein Mann erschien, mit dem sie kurz ein paar Worte wechselte. Er nickte und kam auf mich zu. „Wieder einer dieser fehlerhaften Chips.“ Kopfschüttelnd zog er aus einer Jackentasche eine Plastikkarte, die er vor das Schloss hielt. Direkt neben der Türklinke leuchtete es sofort grün auf. „Das ist ein Generalchip“, meinte er lächelnd und bat mich einzutreten.
Ich blieb fasziniert gleich am Eingang stehen: Vor mir breitete sich ein großer Raum aus, eine richtige Suite, deren eigentlicher Preis pro Nacht meinen sicherlich um ein Vielfaches überschritt. „Das ist unsere Paradies-Suite“, erklärte der Mann neben mir. „Das WC ist dort separat. Wenn Sie duschen wollen, benutzen Sie bitte eine der Duschen am Whirlpool!“ Er zeigte auf den Whirlpool in der Mitte des Raumes. „Man schaltet ihn über das Display an den Treppenstufen ein. Sie müssen einfach nur mit der Hand darüberstreichen und den Anweisungen folgen.“
Ich bedankte mich bei dem Mann für seine Hilfe. „Zögern Sie nicht, sich bei mir zu melden, wenn irgendetwas nicht funktioniert oder sonst wie schief läuft. Ich leite hier die Renovierungsarbeiten“, erklärte er und reichte mir eine Visitenkarte. Kurt Amroth, las ich, Architekt und Raumausstatter. „Da steht auch meine Handynummer.“

Erst als er den Raum verlassen hatte, bemerkte ich, wie eng Viviane ihre Brüste gegen meine Schultern drängte. „Hier ist wirklich genug Platz für Intimspiele jeder Art. Man kann seiner Fantasie freien Lauf lassen“, hauchte sie mir zu. „Für uns beide hätte ich da einige Ideen, Wulff.“
Ich löste mich von Viviane und gab ihr deutlich zu verstehen, dass ich dazu nicht hierhergekommen war. Sie schien nicht sonderlich enttäuscht zu sein, dass ich von ihren Diensten keinen Gebrauch machen wollte. „Wenn du es dir anders überlegen hast, melde dich einfach! Du findest mich drüben bei Kurt“, meinte sie. „Aber bitte nicht zu den Stoßzeiten morgen, wenn die Handwerker hier auf der Baustelle Pause oder Feierabend machen. Dann wird es eng mit Terminen.“ Sie gab mir einen zärtlichen Kuss auf die Wange und verschwand ebenfalls.
Ich ließ meinen Blick noch einmal durch den großen Raum wandern, vom Doppelbett mit dem großen Spiegel darüber zum Whirlpool in der Mitte mit den Duschen und zur Fensterfront am anderen Ende der Suite. Bis zum Boden reichten hier die Fenster und erlaubten einen herrlichen abendlichen Ausblick auf die Häuser der Altstadt mit ihren beleuchteten Fenstern, auf den Marktplatz mit seinen hellen Laternen und gegenüber schemenhaft auf die Türme der Stadtkirche.

Als ich noch einmal die Visitenkarte Kurt Amroths betrachtete und darüber nachdachte, wie viele Handwerker Viviane in einer Stoßzeit schaffen würde, hörte ich plötzlich auf dem Flur vor meinem Hotelzimmer laute Geräusche und Stimmen. Eine Frau hämmerte mit ihren Fäusten gegen eine Tür und stieß unüberhörbare Flüche aus, verwünschte einen Mann, den sie ‚Lügner‘ und ‚Betrüger‘ nannte.
„Mit welchem Flittchen treibst du dich hier herum?“
„Beruhige dich, Jana! Gib Ruhe!“ Das war die Stimme eines Mannes.
„Ich will wissen, wer sie ist!“
„Jana, bitte, sei still! Es ist spät. Es gibt schon erste Gäste.“
„Lass mich rein!“ Der Mann schien ihr den Zutritt ins Zimmer zu verwehren.
„Unverschämt, dieser Krach! Wie kann man dabei schlafen?“ Eine zweite weibliche Stimme mischte sich unversehens ein. „Sich wegen so einer Lappalie aufzuregen.“
„Lappalie nennen Sie so etwas? Er ist mein Ehemann.“
Meine Neugier gewann Oberhand. Ich trat auf den Flur, hielt aber die Tür mit einer Hand geöffnet, damit sie nicht zuschlug und ich ausgesperrt auf dem Flur stand, wenn meine Chipkarte wieder versagte.
Etwas weiter entfernt zu meiner Rechten erblickte ich Kurt Amroth, vor ihm eine aufgebrachte Frau mit hochrotem Kopf, vermutlich seine Ehefrau, die ihn zur Rede gestellt hatte. Gegenüber erkannte ich eine alte Frau gestützt auf einen Gehstock. „Wenn sich Ihr Mann hier wirklich mit einer anderen abgibt, dann hat das Gründe“, raunzte sie in forschem Ton die Ehefrau an, kam ihr einen Schritt näher und musterte sie von oben bis unten, als wollte sie herausfinden, warum ihr Mann das Bett lieber mit einer anderen teilte. „Dem eigenen Mann nachspionieren, um ihn dann in flagranti zu erwischen.“ Sie schüttelte verständnislos den Kopf. „Das löst keine Probleme, sondern schafft nur neue.“
Einen Moment herrschte Stille. „Machen Sie es wie Ihr Mann! Suchen Sie sich einen netten Kerl für die Nacht! Sie sind jung genug und an Ihnen finden bestimmt noch viele Männer Gefallen.“ Die Alte lächelte mich an. „Vielleicht sogar gleich hier auf dem Flur.“ Sie deutete mit ihrem Gehstock auf mich „Schauen Sie! Da hält Ihnen sogar schon jemand die Tür auf. Was zögern Sie noch?“
Kurt Amroth schritt auf seine Frau zu. „Jana, du kannst nicht einfach … da hinein ... zu ihm ...“
Doch Jana, die Ehefrau, zuckte nur einmal kurz mit den Mundwinkeln, machte eine Kehrtwende und schritt erhobenen Hauptes an mir vorbei mitten hinein in mein Zimmer, wo sie vor dem Whirlpool stehen blieb.
Ihr Mann folgte ihr. „Du machst dir falsche Gedanken, Jana. Mit Viviane, das ist rein beruflich. In einer Woche ist Eröffnung. Wir machen Überstunden“, meinte er.
„Aha! Viviane heißt sie; und Überstunden nennst du das!“
„Wenn du die Nacht hier bleiben willst … äh“, er zögerte, „... kannst du zu mir in mein Zimmer ziehen und Viviane schläft woanders.“
„Und ich soll in dem Bett schlafen, wo du sie gevögelt hast?“
Jetzt war meine Geduld am Ende. „Hören Sie! Ihre Eheprobleme tragen Sie nicht hier in meinem Zimmer aus. Und wer wo mit wem schläft, klären Sie bitte woanders!“, forderte ich Kurt Amroth auf und drängte ihn aus meinem Zimmer auf den Flur, wo er einmal tief durchatmete und mich nachdenklich anblickte. „Wenn sie diese Nacht tatsächlich bei Ihnen bleiben sollte, werden Sie wenig Freude an dieser frigiden Eisscholle haben!“ Er machte eine abfällige Handbewegung. „Ich habe mir alle Mühe gegeben, mit ihr alles versucht, eine Stellung nach der anderen durchprobiert. Ob oral oder französisch, sie weiß überhaupt nicht, was eine Frau dabei tun soll - oder sie will es nicht wissen.“
Er wandte sich um und eilte in kleinen schlurfenden Schritten zu seiner Zimmertür, wo Viviane ihn bereits erwartete. Sie nickte einmal kurz zu mir herüber.

Jana Amroth stand immer noch am Whirlpool, als ich in mein Zimmer zurückkehrte. „Mein Mann hat mir von dieser Suite oft erzählt und sich über die Überstunden beklagt, die er dafür machen musste.“ Sie zeigte wütend und zornig auf das Doppelbett. „In Wirklichkeit hat er hier diese Viviane gevögelt!“ Sie ergriff eine kleine Flasche Sekt auf einer Kommode und schenkte sich ein Glas ein. „Erlauben Sie? Oder schmeißen Sie mich auch raus?“
„Sind Sie mit dem Auto hier?“, wollte ich wissen. „Nicht dass Sie gleich auf dem Weg nach Hause in eine Alkoholkontrolle geraten.“
Sie trank das Glas in einem Zug aus und stellte es auf der Kommode ab. „Wer sagt, dass ich nach Hause will?“
„Sie haben gehört, was Ihr Mann gesagt hat: Wenn Sie die Nacht hier verbringen wollen, können Sie zu ihm ziehen.“
„Ich zu ihm? Und wo soll diese Viviane übernachten? Etwa hier bei Ihnen? Das könnte ihr so passen. Erst treibt sie es mit meinem Mann und dann mit Ihnen“, entgegnete sie und blickte mich entschlossen an. „Ich will weder nach Hause fahren noch zu meinem Mann ziehen.“
„Und wo wollen Sie diese Nacht verbringen?“
Jana Amroth schwieg; ihre Blicke wanderten suchend durch mein Zimmer und verharrten zuletzt auf dem Doppelbett. „Erwarten Sie noch jemanden?“
Ich schüttelte den Kopf und erklärte ihr, dass ich allein war und hier im Hotel nur wegen der Reparatur meines Wagens übernachtete. Ein kurzes Lächeln huschte über ihr Gesicht; sie schien erleichtert.
Erst jetzt zog sie ihren Mantel aus, brachte ihn zur Garderobe, wo sie ihn auf einen Kleiderbügel hängte. Lange betrachtete sie sich im Spiegel daneben. Sicher dachte sie dabei an die Worte der alten Dame, dass sie noch jung genug war, um vielen Männern zu gefallen.
Ich hatte meine Zweifel, dass auch ich dazu gehörte. Sie war nicht die Frau, die schon beim ersten Anblick meine spontane Lust auf Sex weckte. Doch ich ertappte mich dabei, nur ihre attraktiven Seiten zu beachten, ihre kurzhaarige Frisur, die ich bei Frauen so liebte, ihre schlanke Taille, ihren Schwanenhals, ihre feinen Hände mit den grazilen Fingern.
Jana Amroth kam direkt auf mich zu, blieb neben mir am Fenster stehen. „Was hat mein Mann vorhin auf dem Flur über mich erzählt?“
Ich überlegte einen Augenblick, was ich sagen sollte. „Er hält Sie für eine frigide Eisscholle!“ Sie atmete tief durch. „War das alles? Dafür steht man nicht so lange auf dem Flur herum.“
„Er hätte mit Ihnen eine Stellung nach der anderen durchprobiert, es auch oral versucht, sogar französisch. Aber Sie wüssten nicht einmal, was eine Frau dabei zu tun hat.“
Jana stieß einen Laut aus, der mich an das Fauchen einer Katze erinnerte. „Mistkerl!“, meinte sie. „Hat er Ihnen auch gesagt, was ich dabei hätte tun sollen?“
Ich schaute sie lange an. „Vermutlich das, was jetzt Viviane tut.“
Sie stieß einen Seufzer aus. „Und was tut diese Viviane?“, wollte sie wissen.
Ich überlegte, was ich darauf antworten sollte, hüllte mich aber in Schweigen und warf immer wieder einen Blick zur Zimmertür, als würde dort gleich Viviane erscheinen und Jana erklären, wie sie ihren Mann erregt.
Ich spürte plötzlich Janas Hände auf meinen Schultern, dann schlang sie sie um meinen Nacken. „Ich will diese Nacht hier verbringen, bei dir und mit dir!“ Sie presste sich eng an mich. „Ich tue alles, was du willst. Aber schick mich bitte nicht fort!“, hauchte sie. Sie schwitzte in meinen Armen vor Aufregung, eine Schweißperle rann sogar von der Stirn über ihre Wange, so viel Überwindung hatten sie diese Sätze gekostet.

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