Superkräfte

Starke Frauen

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Superkräfte

Superkräfte

Svenja Ansbach

Er hatte als kleiner Junge und Heranwachsender immer davon geträumt: Superkräfte zu haben. Unsichtbar sein, fliegen oder durch Wände gehen zu können. In der Pubertät sinnierte er auch darüber, wie ihm das bei den Mädels nutzen würde. Er könnte mit seinen Superkräften angeben oder sie als Unsichtbarer beim Duschen oder Masturbieren „bespannen“. Weitergehende Gedanken dazu verbot er sich. Irgendwann war das Thema dann altersbedingt ganz passe und er konzentrierte sich auf andere Dinge.

Mit 17 hatte er eine recht originelle Geschäftsidee und baute fortan ein Business auf. Das Abitur machte er noch so halbwegs nebenbei, aber für ein Studium war kein Raum mehr, denn inzwischen hatte er in der New Economy erfolgreich Fuß gefasst und sein Unternehmen forderte seine volle Aufmerksamkeit. In den nächsten Jahren arbeitete er hart und viel. Leben fand kaum statt. Mit Anfang 30 verkaufte er sein Unternehmen für einen niedrigen dreistelligen Millionenbetrag und war fortan „Privatier“.

In der Folgezeit, in der er sich zunächst einfach treiben ließ, zum globalen Jetset gehörte, begriff er langsam; er hatte doch eine Superkraft – Geld! Es fehlte ihm an nichts. Er brauchte in einer Bar nur seine Autoschlüssel auf die Theke legen, die ihn als Besitzer eines „Lambo“ auswiesen und schon scharten sich ein paar Frauen um ihn. Es gab immer genügend, die bereit waren für ein bisschen Glamour die Beine breit zu machen. Er war Realist genug, um sie dafür nicht zu verurteilen. Für viele bestand die einzige realistische Chance ihrem öden Leben zu entkommen darin sich hoch zu schlafen. Aber soweit ließ er es nicht kommen – also zu heiraten! Machte sich im Gegenteil immer noch darüber lustig, dass viele Prominente teuer heirateten und sich dann noch viel teurer wieder scheiden ließen.

Irgendwann, nach zwei, drei Jahren war er des völlig planlosen Müßiggangs und der oberflächlichen Begegnungen mit den Jetset-Flittchen überdrüssig und überdachte sein aktuelles, oder wie er es nannte - sein drittes Leben.
Er war zuversichtlich am Beginn seiner neuen Lebensphase jemanden zu finden der ihn um seiner selbst lieben würde und nicht wegen seines Geldes. Als ersten Schritt zu diesem neuen Leben nahm er ein Studium auf. Nein, nicht zielgerichtet und abschlussorientiert, das hatte er nicht nötig, sondern ein „Studium generale“. Er studierte einfach was ihm Spaß machte. Vor allem neuere Geschichte, Politik, Astronomie, Philosophie und Soziologie. Dabei kam er u.a. in den Wirtschaftswissenschaften mit der Spieltheorie in Kontakt und in der Philosophie und Soziologie mit tiefgreifenden Fragen über das menschliche Wesen. Kant definierte die menschliche Würde mit der Fähigkeit zu vernünftigem und moralischem Handeln. Menschen hätten einen „unvergleichlichen Wert“ oder eben eine Würde, im Unterschied zu anderen Lebewesen, die bloß einen Preis haben, so Kant.

Darüber dachte er nach. Hatten Menschen einen Preis? Er beschloss es auszuprobieren … Das was er für ein Spiel hielt, fing recht harmlos an …

Er sprach Damen - keine 18jährigen Gören - sondern Frauen in den 20ern bis 40ern auf der „Mö“ an, der Mönkebergstraße, und unterbreitete ihnen ein ganz spezielles Angebot. Einige gingen kopfschüttelnd weiter bevor er überhaupt ins Detail gehen konnte, andere ließen sich tatsächlich auf einen Kaffee einladen um sich sein Angebot anzuhören. Das Angebot war, sich hier in der Stadt, z.B. auf der Toilette des Gastronomiebetriebs ihres Slips zu entledigen und ihn gegen eine Entschädigungszahlung ihm, dem fremden Mann, zu überlassen. Wenn er sein Angebot gemacht hatte, konnte alles passieren, wie er bald feststellen durfte. Von schnaubend aufstehen und eilig das Café verlassen (in der temperamentvollen Variante verbunden mit einer Ohrfeige) über das direkte Annehmen der großzügigen Offerte, im ersten Ansatz immerhin 200,- Euro, bis hin zu ausgefeilten spielerischen Preisverhandlungen erlebte er alles. Es war dann manchmal so, dass sich der Preis langsam in die Höhe entwickelte, weil die Dame mehrfach ablehnte, während er mehrfach neue, um 50,- Euro steigende, Angebote abgab. Irgendwann nahm er dann einen kleinen Zettel und sagte: „Ich schreibe hier jetzt eine Zahl drauf. Mein Höchstgebot. Gehst Du vorher auf meine Offerte ein, sind wir im Geschäft, überreizt Du, ist die Verhandlung geplatzt“ (er duzte inzwischen sein jeweiliges Gegenüber, alles andere wäre ihm bei so einer intimen Verhandlung merkwürdig deplatziert erschienen). Er liebte es zu beobachten, wie es in den Frauen arbeitete und sie sich behutsam an höhere Summen herantasteten. Hatten sie es überreizt und er erklärte die Verhandlung für gescheitert, waren die wenigsten taff genug Einsicht in seinen Zettel zu verlangen, auf den er sowie immer nur sinnentleerte Kritzeleien gemacht hatte. Kam das Geschäft zustande, überreichte er das Geld und ein kleines Tütchen und entließ sie auf die Toilette. Auch das ein Teil seines Spiels. Nie war dann eine aufgestanden und einfach gegangen, wohl wissend, dass er keinen Skandal gemacht hätte. Nur eine war durch den Hinterausgang verschwunden ohne bei ihm ihr Höschen abzuliefern.

Zuhause stellte er fest, dass er mit den Trophäen selbst nichts anzufangen wusste. Er hatte sie sich durchaus angeschaut, wohl auch mal dran geschnuppert, aber er musste bald einsehen, dass diese Art von Fetisch für ihn nicht von Interesse war, so dass sie schnell im Abfall landeten.

In der nächsten Phase sollte es um viel mehr gehen … und darauf hatte er nach diesen insgesamt ermutigenden Ergebnissen wirklich Lust. Nach all den oberflächlichen Fickgeschichten mit irgendwelchen Partyludern oder wirklich hochklassigen Edelnutten, die sich selbst Escorts nannten, wollte er erkunden, ob ganz normale Frauen auch ihren Preis haben. Dafür hing er wieder in der Stadt ab und schaute sich nach berufstätigen Frauen um. Am einfachsten war das zum Beispiel im Dienstleistungsbereich. Friseurinnen, Verkäuferinnen, Angestellte im Reisebüro oder am Bankschalter, Servicekräfte. Die konnte er an ihrem Arbeitsplatz beobachten und damit sicher sein, authentische Versuchspersonen vor sich zu haben. Sein Vorgehen war auch sonst wie gehabt. Er sprach sie an, erntete naturgemäß mehr Kopfschütteln als bei der Höschen-Frage, auch die eine oder andere Beschimpfung, aber auch hier traten einige der Frauen in die Verhandlungsphase ein. Der Kurs, den er bot war natürlich höher als bei den Schlüppis, was aber kein Problem für ihn darstellte. Er hatte große Teile seines Geldes in neue Investments gesteckt und musste sich schon sehr viel Mühe geben an einem Tag mehr auszugeben als er an Vermögen zulegte. Sein Einstiegsgebot für einmal miteinander schlafen lag bei 1.000 €. Wie bei den Schlübbern sprangen einige entrüstet auf, sehr vereinzelt schlug mal eine direkt ein und viele waren ehrlich zögerlich. Sie schienen nicht zu pokern, sie hatten ganz offensichtlich einen moralischen Kompass, wussten aber auch wie lange sie in ihrem kärglichen Job für diese Summen - steuerfrei!- buckeln mussten. Die, die direkt einwilligten fand er mit einem Hunderter ab. Diese Sorte wollte er nicht, musste befürchten, dass sie auch sonst ein sehr loses Leben führten. An ihnen war er schlicht nicht interessiert. Teil des Gesamtpaketes war der „Ort des Geschehens“. Er lud sie jeweils ins „Vier Jahreszeiten“ am Jungfernstieg ein. Alle Frauen wussten, dass sie dort unter normalen Umständen nie reinkommen würden und das Ambiente prickelte schon irgendwie.

So gelang es ihm tatsächlich einige Frauen in Versuchung zu führen und mit ihnen zu schlafen, aber er merkte schnell, dass es ihm keine wirkliche Befriedigung verschaffte. Sie waren zwar nicht so lustlos geschäftsmäßig bei der Sache wie die Nutten, aber es fühlte sich trotzdem genauso falsch an. Besonders gut waren die Ficks im Regelfall auch nicht. Es fehlte die Routine, dass aufeinander eingespielt sein.

Und dann traf er auf Sonja und wusste sehr schnell, dass er einen Fehler gemacht hatte. Sie war ungefähr Ende 20 und eine wirklich süße wie er fand. Hatte ihre blonden Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden. Er hatte sie für eine Reisebüroangestellte gehalten, was sie in gewisser Weise ja auch war, allerdings nur im Nebenjob. Denn sie studierte noch und musste sich ihren Lebensunterhalt verdienen. Sie war auf einen Kaffee mitgegangen und hörte sich seine Offerte ruhig an. Dann pokerte sie ihn genussvoll hoch. Schaffte es den Preis mit einer Mischung aus Witz und Schlagfertigkeit sowie einer Prise Geheimnistuerei und Frechheit in bisher nicht gekannte Höhen zu treiben. Je mehr sie offen ließ, ob das überhaupt jemals was würde desto verrückter wurde er nach ihr. Und dann, sie hatte ihn bei sagenhaften 5.000,- Euro, dann brach die Hölle los. Ihre Augen verengten sich zu Schlitzen und böse funkelte sie ihn an: „Sag mal, geht’s noch, was bist du denn für einer? Kannst mit Geld alles kaufen? Ich habe wenig, muss hart arbeiten, dass ich über die Runden kommen und Studium und Arbeit nebeneinander schaffen kann, aber dass hier … das … das ... habe ich noch nicht erlebt. Habe ja schon viel mitgemacht und hier einiges erwartet, aber dass hier …“ Sie schien wirklich fassungslos, stand aber nicht auf um zu gehen. Sie bebte vor Empörung, ihr gut gefüllter hautenger Pulli verbarg nicht ihre beschleunigte Atmung und Erregtheit.

Sie war so süß in ihrer Empörung und endlich fiel ihm ein, warum sie ihm so ein bisschen bekannt vorkam. Sie war ihm vor längerer Zeit mal in einer Vorlesung in der sozialwissenschaftlichen Fakultät aufgefallen. Verlegen stammelt er etwas von seinen soziologischen Feldstudien, wusste aber genau, dass sie mit diesem Schwachsinn zu Recht nichts anfangen konnte. „Ich sag dir jetzt mal was“, ihr Ton war scharf und schneidend, „das hier war jetzt meine soziologische Feldstudie und merk dir eines: Man kann eben doch nicht alles mit Geld kaufen“. Damit stand sie auf und rauscht ab, kam allerdings noch mal kurz zurück, um 3,- Euro für den Kaffee auf den Tisch zu werfen.

Wie benommen starrte er lange ins Leere, während ihr guter Geruch noch spürbar in der Luft lag. Es war nicht irgendein Parfüm, sondern ein Parfüm an IHR, was diesen Duft ausmachte. Er konnte sie im wahrsten Sinne gut riechen!

Danach schlich er bedröppelt nach Hause an diesem Abend. Nicht eine Sekunde dachte er über einen zweiten Versuch nach, eine Frau rumzubekommen. Und an diesem Abend fasste er einen Entschluss: Zeit für sein „Viertes Leben“ nach Kinder-/Jugendzeit, seiner Zeit als Businessmann und als planlos vor sich hin taumelnden Lebemann.

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