Als die Tage kürzer, der Herbstwind von See her über die Hügel brauste, an Bäumen zerrte, Gräser bog, die Haare der Menschen zerzauste, sich in die Haut der Gesichter schnitt, sie prickeln ließ, durch die dicken Wolljacken drang, die Körper zum Frösteln brachte, da war das Haus gemütlich warm. Ordentlich aufgeräumt, hell gestrichen, das Torffeuer im Kamin spendete herrliche Wärme. Draußen das Brüllen des Sturmwindes, innen das bleckende Züngel und Zischen der Flammen an den Torfstücken, gewaltige musikalische Kompositionen der Meisterin Natur, audiovisuelle Symphoniesätze in fortissimo und adagio.
Su und Friedrich tranken Tee, spielten Karten oder Mensch ärgere dich nicht. Manchmal las er ihr vor. Oder sie, die junge Streunerin, die er vor Wochen an einem Regentag unter seinem Vordach traf, ins Haus zum Aufwärmen einlud, erzählte ihm von den erlebten Wichtigkeiten des endenden Tages.
Wenn er dann alleine im Bett lag, den Tag reflektierte, verstieg er sich manchmal in den Gedanken, daß ihr Zusammenleben dem von Sokrates und Platon gleichen würde. Er, Friedrich-Sokrates, fünfzig, der Lehrer, sie, Su-Platon, siebzehn, die Schülerin. In ihr wird sein Gedankengut über ihn hinaus weiter leben, träumte er schwärmerisch. Von einer Xanthippe - entschuldige Corinna, dachte er dazwischen - war er geschieden. Einem Prozeß wegen angeblicher Einführung neuer Götter konnte er gelassen entgegensehen, er war absolut schuldlos. Der Schierlingsbecher würde an ihm vorüber gehen. Auch hatte er die Jugend nicht verführt, eher sie ihn.
Su hatte sich angewöhnt, beim Vorlesen auf Friedrichs Schoß zu sitzen, ihren Arm um ihn zu legen oder ihren Kopf auf seiner Schulter auszuruhen. An einem Oktoberabend, der Kamin heizte dermaßen, daß sie beide ihre Pullover ausgezogen hatten, nur im T-Shirt dasaßen, die sich ständig bewegenden, immer wieder andere Formen annehmenden gelblich rötlichen Abbilder der Flammen sich auf dem weißen Stoff und in ihren Gesichtern spiegelten. Es sah aus, als wären sie im Feuer, der Stuhl der Scheiterhaufen und die Flammen würden an ihnen züngeln, sie verbrennen. Sie tranken einen kräftigen Teepuntsch, ihre Köpfe waren hitzig.
Su, siebzehn
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