Swenja

41 8-13 Minuten 1 Kommentar
Swenja

Swenja

Jürgen Lill

Der Sommer näherte sich langsam seinem Ende. Durch den Verkauf einiger Fotos an einen Verlag war endlich wieder ein wenig Geld in meine Kasse geflossen. Und nachdem meine Freundin und ich uns schon lange keinen richtigen Urlaub mehr hatten leisten können, beschlossen wir, zumindest noch eine Woche zum Zelten ans Meer zu fahren, um einfach mal rauszukommen und Sonne zu tanken. Wir packten also kurz entschlossen unser kleines Zelt, in dem man zu zweit gemütlich nebeneinander liegen kann und dabei noch Platz für ein wenig Gepäck hat, mit ein wenig Proviant und meiner unverzichtbaren Fotoausrüstung ins Auto und fuhren los. Zuerst dachte ich an die Ost- oder Nordseeküste. Aber Selina schlug Holland vor. Und dagegen hatte ich auch gar nichts einzuwenden. Die Entfernung war nicht größer und Holland hatte als Ausland trotzdem den Effekt, dass man mehr das Gefühl hatte, Urlaub zu machen, als das in Deutschland möglich gewesen wäre.
Selina lotste mich bis Lauwersoog. Dort erklärte sie mir, dass wir das Auto stehen lassen müssten. Mit unseren Rucksäcken bepackt bestiegen wir die Fähre nach Schiermonnikoog, der kleinsten der westfriesischen Inseln. Dort wanderten wir an der Nordküste sehr weit nach Osten, wo nur noch wenige sonnenhungrige Nudisten-Touristen den breitesten Strand Europas bevölkerten. Ein wenig abseits vom Strand in den Dünen bauten wir unser Zelt auf. Und als das erledigt war, war das Erste, was wir taten, dass wir uns sofort auszogen und splitterfasernackt ins Meer liefen. Der Spätsommer war noch sehr warm und die Strandwanderung mit dem Gepäck hatte uns beide ins Schwitzen gebracht. Jetzt wirkte das kühle Wasser des Meeres sehr wohltuend und belebend. Ich genoss die Bewegung der Wellen auf meinem Körper und beobachtete Selina, die neben mir schwamm und ausgelassen planschte. Wir umkreisten uns im Wasser, nahmen uns in die Arme und tobten wie verliebte Teenager herum. Es war etwas anderes, Selinas Haut im salzigen und lebendigen Meerwasser auf meiner Haut zu spüren, als zuhause. Ich nahm sie viel bewusster wahr und berauschte mich am Anblick ihrer großen, vollen Brüste, die in der Bewegung des Wassers wogten und im Übermut der ausgelassenen Lebensfreude hüpften. In Selinas Augen konnte ich deutlich sehen, dass sie glücklich war. Sie strahlte mich an, ließ sich fallen und vertraute darauf, dass ich sie auffangen würde. Und das tat ich auch. Ich trug sie auf meinen Armen, beobachtete, wie das Wasser um die Rundungen ihrer Brüste spielte und bedeckte diese mit zarten und leidenschaftlichen Küssen, die nach Salz und Liebe schmeckten. Selina schlang ihre Arme um meinen Hals und flüsterte mir ins Ohr: „Ich liebe Dich!“  
Die Sonne stand schon tief und spiegelte sich in Selinas Augen, während ich in ihnen die Bestätigung dieser Worte las.
„Ich liebe Dich!“ sagte auch ich, nur laut genug, um damit das Gurgeln des Wassers, das unsere nackten und ausgehungerten Körper umspielte, zu übertönen. Ganz langsam näherten sich unsere Lippen einander. Als sie sich trafen, war es ein Gefühl, als wenn es unser erster Kuss gewesen wäre. Es war ein völlig neues Entdecken, eine neu erwachte, zarte Flamme der Neugier, die man nicht mit zu viel Ungestüm ersticken will. Wir ließen all unsere Routine hinter uns; all die Routine, die es im Alltag so schwer macht, sich jeden Tag neu zu entdecken, obwohl jeder neue Tag einen verändert. Erst die äußerliche Veränderung des Urlaubs machte es uns (oder vielleicht auch nur mir – wahrscheinlich nur mir) möglich, auch die innere Veränderung von Selina, von uns und auch von mir selbst wahrzunehmen. In diesem einen Moment, in dem ich Selina nackt auf meinen Armen trug, während das belebende Wasser des Meeres uns umschmeichelte und liebkoste, und in dem unsere Lippen sich so sanft und zärtlich berührten, als könnten sie sich gegenseitig weh tun, wenn sie auch nur ein kleines bisschen mehr Druck erzeugen würden, wurde mir klar, dass jeder neue Tag ein Geschenk ist, ein Geschenk, das anzunehmen ich viel zu oft nicht in der Lage gewesen war, weil ich es nicht einmal wahrnehmen konnte. Ich dankte der Sonne, dem Meer, der warmen, salzigen Luft, die die Wellen kräuselte, und einem Gott, von dem ich schon so lange geglaubt hatte, dass er mich verlassen hatte, für diese Erkenntnis, die mich mit so viel neuer Lebenskraft erfüllte, dass ich am liebsten die ganze Welt umarmt hätte.
Ich trug Selina auf meinen Armen, drehte mich mit ihr langsam, gegen den Widerstand des Wassers, um mich selbst und genoss das Gefühl, ihren schlanken, nackten Körper an mich gepresst zu fühlen. Es war wie ein Tanz, ein ganz langsamer Tanz, so wie frisch Verliebte tanzen. Selina schloss die Augen und ließ ihren Kopf nach hinten fallen. Ihre Haare trieben wie ein Schleier im Wasser hinter ihr her und über uns kreisten ein paar Möwen. In Selinas Mundwinkel zeigte sich ein leichtes, glückliches Lächeln, das auch mein Herz mit Glück und Liebe erfüllte. Ganz behutsam beugte ich mich wieder über sie und bedeckte ihre Lippen mit einem erneuten, sanften Kuss, ohne meinen Tanz zu unterbrechen. Es war nur eine flüchtige Berührung unserer Lippen, ein zartes Tasten, das nichts forderte, sondern nur ein Geschenk an sich selbst war. So sanft, wie unsere Lippen sich berührt hatten, so sanft lösten sie sich auch wieder voneinander. Selina begann leise zu summen. Ich glaube, es war ein altes, irisches Liebeslied. Ich erkannte die Melodie, ohne das Lied zu kennen. Das Summen schwang im Rhythmus des leisen Rauschens der Wellen und des Windes und wurde begleitet von den Schreien der Möwen, die am Himmel über uns kreisten.
Das war eine Freiheit, wie ich sie mir nicht mehr hatte vorstellen können. Nur wenige Stunden zuvor, am Morgen desselben Tages, waren wir noch zuhause gewesen, zuhause in dem selbst geschaffenen Exil, um das ich so hohe Mauern errichtet hatte, bis es zu einem Gefängnis geworden war, aus dem zu befreien mir schon fast nicht mehr möglich gewesen wäre.
Und jetzt tanzte ich mit Selina auf meinen Armen nackt im Meer, während die Sonne den Horizont berührte und uns in ihr warmes, goldenes Licht hüllte. Selina öffnete die Augen wieder und gemeinsam beobachteten wir, wie die Sonne langsam ins Meer tauchte. Millionen kleine Lichter tanzten funkelnd auf den Wellen, bis die Sonne schließlich versunken war und ihre Strahlen nur noch den Himmel in ein tiefes Purpur tauchten.
Plötzlich fröstelte Selina und unwillkürlich klammerte sie sich ein wenig fester an mich. Ganz langsam trug ich sie aus dem Wasser. Die Luft war noch lau und auch der Strand strahlte noch die gespeicherte Wärme des Tages ab. Ich legte Selina behutsam in den warmen Sand und kniete mich neben sie. Auf ihrer Haut perlten Wassertropfen und eine Gänsehaut überzog ihren schlanken Körper. Es war ein erregender Anblick.
„Was ist?“ fragte Selina, die in meinen Augen zu lesen versuchte, woran ich dachte. Ich schüttelte den Kopf, weil ich gar keinen bestimmten Gedanken gehabt, sondern nur den Augenblick und ihren Anblick genossen hatte. Bevor ich das aber hätte formulieren können, stellte ich schon die Gegenfrage: „Wann hab ich Dir eigentlich das letzte Mal gesagt, wie schön Du bist?“
Selina antwortete nicht. Sie sah mich nur an und ich bemerkte, wie sich ihre Augen langsam mit Tränen füllten. Ich fürchtete, sie irgendwie verletzt zu haben und setzte deshalb zu einer Entschuldigung an. Aber noch bevor ich auch nur einen Ton hatte sagen können, legte Selina mir schnell die Fingerspitzen ihrer ausgestreckten Hand auf die Lippen und bat mich: „Sag jetzt nichts.“ Es fiel mir schwer, in dieser Situation still zu bleiben. Aber ich gehorchte.
Selina hatte ihre Fingerspitzen auf meinen Lippen liegenlassen. Schuldig, wie ich mich fühlte, wagte ich nicht einmal, sie zu küssen. Sie aber zeichneten ganz sanft die Konturen meiner Lippen nach und streichelten dann weiter über meine Wange. Als Selina nach ein paar Minuten, in denen die heraufziehende Dunkelheit ihre Tränen bereits zu verbergen begann, dann endlich sprach, war es wie eine Erlösung aus der Ungewissheit.
„Ich bin so glücklich!“ sagte sie ganz leise.
Ich räusperte mich, um die Frage, die mir den Hals zuschnürte, formulieren zu können.
„Warum weinst Du dann?“
Selina lag noch immer im Sand und blickte zu mir auf. Auf ihrem noch feuchten Körper reflektierte sich der Schein eines flackernden Lagerfeuers, das von einer Gruppe Jugendlicher ein Stück weiter am Strand entzündet worden war.
„Vor Glück!“ antwortete sie fast flüsternd. Sie setzte sich auf, schlang ihre Arme um mich und presste ihren schlanken Körper an mich. Auch ich umarmte sie und hielt sie ganz fest. Auf ihrem Rücken klebte der Sand auf ihrer nassen Haut. Behutsam strich ich ihn herunter, bis sie wieder halbwegs davon befreit war.
Plötzlich stand Selina auf, gab mir einen schnellen Kuss und sagte: „Ich bin gleich wieder da.“
Im nächsten Moment war sie schon in die Richtung unseres Zeltes gelaufen.
Ich ließ mich auf die Ellenbogen zurückfallen und blickte über die ruhige, dunkle Fläche des Meeres. Tief sog ich die reine, salzige Luft ein. Auf meinem Bauch lag mein Penis. Ich hatte vorher nicht einmal bemerkt, dass ich eine Erektion hatte. Als ich es jetzt registrierte, warf ich schnell einen prüfenden Blick zu der Gruppe am Lagerfeuer. Sie war Gott sei Dank weit genug weg, als dass jemand von ihnen meinen Zustand hätte bemerken können, vor allem, da ich von ihnen aus gesehen von der heraufziehenden Dunkelheit beschützt wurde. Zumindest glaubte ich das.
Anscheinend handelte es sich bei der Gruppe nur um Mädchen. Sie tanzten nackt ums Feuer, was meinen Blick sofort fesselte. Ich bedauerte in dem Moment, meine Kamera nicht bei mir zu haben. Aber ich wollte meinen Blick auch nicht von den jungen, nackten Tänzerinnen lösen, um die Kamera aus dem Zelt zu holen. Es war ein faszinierender Anblick, wie sich die nackten Körper im flackernden Feuerschein bewegten, entweder hell beleuchtet, oder, wenn sie vor dem Feuer vorbeitanzten, als dunkle Silhouetten. Der Anblick der nackten Mädchen und die Ästhetik des Tanzes übten eine eigenartige Faszination auf mich aus. Die ganze Szene wirkte wie ein Traumgebilde auf mich und ich fürchtete fast, dass es zerplatzen würde, sobald ich meinen Blick auch nur für einen Augenblick abwenden würde. Verstärkt wurde dieser Eindruck noch durch die Ruhe, in der das alles geschah. Trotz der ausgelassenen Lebensfreude, in der dieser Tanz aufgeführt wurde und die sich in ihm widerspiegelte, gab es kein Gekreische nervtötender Teenager. Nur leise tönte eine ruhige, nur ab und zu von silbernem Lachen begleitete Melodie zu mir herüber. Hinter den Tänzerinnen stieg der Mond über den Horizont. Von mir aus gesehen schien er sich direkt aus den Flammen des Feuers zu erheben. Dieser Eindruck wurde nur unterbrochen, wenn eines der Mädchen zwischen Feuer und Mond hindurchtanzte. Trotzdem war es ein magischer Anblick.
Eines der Mädchen blickte während seines Tanzes zu mir herüber und sein Blick blieb trotz der zunehmenden Dunkelheit, die mich einhüllte, auf mir haften. Das Mädchen unterbrach seinen Tanz und für einen Moment schienen unsere Blicke ineinander zu verschmelzen. Ich hatte plötzlich den Eindruck, als ob es keine Distanz mehr zwischen uns gäbe. Das Mädchen schien mir in dem Moment nah zu sein. Ich konnte jedes kleinste Detail seines Gesichtes und Körpers wahrnehmen; die langen, blonden Haare, die leuchtend grünen Augen, in denen die Flammen des Feuers wie kleine Geister tanzten, die kleine, gerade Nase und die vollen, sinnlichen Lippen, und dann dieser jugendliche, eben erst erwachte Körper! Ich wollte mir keine Gedanken darüber machen, wie jung dieses Mädchen noch war.
Plötzlich wurde ich mir wieder meiner anhaltenden Erektion bewusst und setzte mich schnell auf, um sie vor den Blicken des Mädchens zu verbergen. Das Mädchen lud mich mit einer Geste zu sich und seinen Freundinnen an das Feuer ein. Aber ich winkte dankend und verstört ab. Das Mädchen lächelte mich an, winkte noch einmal zurück und tanzte wieder weiter. Damit war der Bann gebrochen, mit dem es mich in seinem Blick gefangen gehalten hatte.
Hinter mir hörte ich ein leises Geräusch. Ich drehte mich um und sah Selina wieder auf mich zukommen. Sie war noch immer nackt und hatte den Picknickkorb in der einen Hand und eine zusammengerollte Decke unter den anderen Arm geklemmt. Sofort stand ich auf und nahm ihr die Decke ab. Selina blieb stehen und blickte fasziniert zu den ums Feuer tanzenden Mädchen, über denen der volle Mond hell und klar, wie ein Lampion am Himmel hing.
„Was für ein Anblick“, meinte sie nach ein paar Sekunden, während denen sie dem Schauspiel staunend zugesehen hatte. „Das hat etwas Magisches.“
„Das hat es!“ bestätigte ich und dachte an das intensive Grün der Augen des einen Mädchens, das mich aus schätzungsweise fünfunddreißig bis vierzig Metern Entfernung angesehen hatte. Jetzt hätte ich beim besten Willen keine solchen Details bei den Mädchen ausmachen können.
„Das hat es wirklich“, sagte ich noch einmal in diese Gedanken vertieft zu mir selbst. Aber Selina hatte es natürlich gehört. Sie sah mich fragend an. Ich hatte zwar keine Geheimnisse vor ihr. Aber der Eindruck dieses eigenartigen Erlebnisses war zu tief und noch zu frisch, als dass ich in dem Moment schon darüber hätte sprechen können.
Selina blickte lächelnd auf meinen erigierten Penis. Aber ihre Kombination war falsch. Und deshalb verteidigte ich mich schnell mit den Worten: „Der ist schon so aus dem Wasser gekommen, mein Schatz!“
Selina strahlte mich verliebt an und erwiderte: „Ich weiß, mein Schatz!“
Nach einem Blick von den nackten Tänzerinnen zu meiner Erektion und wieder zurück zu den Tänzerinnen meinte sie dann lakonisch: „Ist ja kein Wunder, dass die so ausflippen, bei dem Anblick!“
Ich musste über diese absurde Idee lachen und gab noch immer lachend zurück: „Was glaubst Du denn, können die da drüben aus der Entfernung …“
Weiter kam ich nicht. Ich spürte wieder den Blick des blonden Mädchens auf mich gerichtet. Seine grünen Augen brannten auf meinem Körper und allein durch diesen auf ihn gerichteten Blick schwoll mein Penis weiter an. Schnell wandte ich mich ab, breitete die Decke in den weichen Sand und setzte mich. Selina stand noch da und blickte staunend auf mich herab. Schweigend setzte sie sich neben mich.
„Ich hab sie gespürt!“ flüsterte sie nach einigen Sekunden geheimnisvoll. Ich sah Selina fragend an und sie erklärte, noch immer flüsternd: „Die Magie! Ich hab sie gespürt.“
Ich wollte so etwas wie ‘Unsinn’ erwidern, weil ich an reale Magie nicht wirklich glaube. Aber da sah ich das Mädchen auf uns zukommen und schwieg. Das Mädchen kam so nackt, wie es getanzt hatte, blieb vor uns stehen und sagte errötend: „Entschuldigen Sie bitte. Ich wollte nicht aufdringlich sein und Sie so anstarren.“

Klicke auf das Herz, wenn
Dir die Geschichte gefällt
Zugriffe gesamt: 6731

Weitere Geschichten aus dem Zyklus:

Sie müssen sich anmelden, um Kommentare hinzuzufügen.

Telepathie

schreibt SvenSolge

Eine zu Herzen gehende Geschichte. Wer weiß schon, welche Fähigkeiten in uns Menschen steckt?

Gedichte auf den Leib geschrieben