Als am frühen Morgen das Telefon klingelte und eine mir wohlbekannte Stimme ins Ohr säuselte, ob ich denn in der Mittagspause Zeit hätte, auf einen kleinen Happen vorbei zu kommen, konnte ich nicht anders als mit "Ja" zu antworten. Warum auch nicht? Wenn ich Frau Hermann besuche, erwartet mich meistens eine angenehme Überraschung. Frau Hermann ist eine Witwe im gesetzten Alter und lebt mehr schlecht als recht von einer kärglichen Rente und der bescheidenen Hinterlassenschaft ihres zeitig verstorbenen Gatten. Nach seinem plötzlichen Dahinscheiden begann sie, einige der Zimmer ihrer geräumigen Altbauwohnung an Studenten und Reisende unter zu vermieten. So konnte sie zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: zum einen verdiente sie sich etwas hinzu, auf der anderen Seite hatte sie stets die Gesellschaft von jungen Leuten und entging so elegant der drohenden Großstadt-Vereinsamung. Obwohl mein Studium hinter mir liegt und ich längst meine eigene Bleibe habe, komme ich noch regelmäßig zu Besuch. Das liegt nicht nur daran, dass Frau Hermann eine hervorragende Köchin ist. Die umtriebige Dame bemüht sich quasi seit unserer ersten Begegnung, eine adäquate Lebensgefährtin für mich zu finden. Das behauptet sie jedenfalls. Anfangs verwahrte ich mich noch entschieden gegen die penetranten Kupplungsversuche meiner Wirtin. Ich war und bin ein überzeugter Junggeselle, wenn auch erotischen Abenteuern gegenüber nicht abgeneigt. Aber schon bald merkte ich, dass jeglicher Widerstand zwecklos war. Denn je mehr ich mich sträubte, desto listiger agierte Frau Hermann. Zu meiner Erleichterung stellte sich jedoch heraus, dass Frau Hermann meinen Geschmack in punkto Frauen ziemlich genau zu treffen vermochte. Und als sie zum ersten Mal feststellen durfte, mir mit Erfolg ein Mägdelein zugeführt zu haben, konnte sie ihren Triumph nur schwer verbergen. Auch schien es mir meine Gönnerin nicht übel zu nehmen, dass mein Interesse an der jungen Dame nur von kurzer Dauer war. Im Gegenteil – es hatte den Anschein, als ob ihr einziger Ehrgeiz darin bestand, mir in möglichst rascher Abfolge eine neue Gespielin unter zu jubeln. Man kann sich leicht vorstellen, dass ich fortan Frau Hermanns ungewöhnliche Aktivitäten mit großer Sympathie und fast schon kindlicher Vorfreude begleitete. Heute machte mir meine Ungeduld besonders schwer zu schaffen. Den ganzen Vormittag lang konnte ich mich kaum auf meinen Job konzentrieren, weil ich mir andauernd ausmalte, was mich wohl diesmal erwarten würde. Ich beschloss daher, meine Arbeit ein wenig früher als gewöhnlich zu unterbrechen, um meine Neugierde endlich befriedigen zu können. Unterwegs bewaffnete ich mich noch mit einem Strauß Blumen und stand schließlich vor der mir wohlbekannten Tür aus unbeschwerten Studententagen. Nachdem ich den Klingelknopf gedrückt hatte, schien eine kleine Ewigkeit zu vergehen. Hatte die Dame des Hauses nicht so zeitig mit mir gerechnet? "Ich hätte noch mal kurz anrufen sollen", dachte ich ärgerlich und wollte schon kehrt machen, als ich in der Wohnung deutlich Schritte vernahm. Ich drückte nochmals auf die Klingel, worauf sich die Schritte rasch näherten und die Tür geöffnet wurde. Vor mir stand eine junge Frau um die zwanzig, die sich mit leicht osteuropäischem Akzent als Jana vorstellte. Ich sagte, dass ich mit Frau Hermann verabredet sei und hielt ihr den ausgewickelten Frühlingsstrauß entgegen. Mit einem Lächeln nahm sie ihn entgegen und bat mich, einzutreten. Als ich auf der mir wohlbekannten Couch im Wohnzimmer Platz genommen hatte kam Jana auch schon mit den Blumen, die sie inzwischen mit Wasser und Vase versorgt hatte, und stellte sie auf den Tisch.
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