Wer bei dem Titel an das bekannte Lied von Klaus Lage denkt, den muss ich enttäuschen, obwohl Claudia und ich uns schon viele tausend Mal in unserem Leben berührt haben. Von der elften bis zur dreizehnten Klasse gingen wir in den 1980er Jahren zusammen zur Schule, und bald gehörte sie zu meinem Freundeskreis, auch wenn wir kein Paar waren. Nach dem Abitur hat sie dann ihr Medizinstudium begonnen, während ich erst einmal meinen Wehrdienst ableisten musste. Zufällig hatte ich nach einem Jahr mein Elektrotechnikstudium in der gleichen Stadt aufgenommen, in der auch sie studierte. Schnell wurden wir nun ein Paar, waren aber irgendwie noch viel zu unreif, haben nicht gemerkt, oder wahrhaben wollen, wie sich unsere Wünsche und Vorstellungen vom Leben in eine gegensätzliche Richtung entwickelten. Der Trennungsprozess, der mit dem Abschluss unseres Studiums zusammenfiel, war dementsprechend schmerzhaft, trotzdem gingen wir nach den fast sieben Jahren nicht im Streit auseinander, auch wenn der Kontakt erst einmal abriss.
Nach eineinhalb Jahren hatte ich dann wieder durch einen Zufall von ihr gehört. Da war sie gerade dabei, sich mit ihrer zwei Monate alten Tochter von ihrem Freund zu trennen, da er sie mehrmals geschlagen hatte. Für mich war es selbstverständlich, ihr zu helfen und beizustehen, sei es beim Umzug, mit Rat und Tat, oder einfach nur durch Zuhören, zumal das Verhältnis zu ihren Eltern schon immer sehr angespannt war. Seitdem, also seit über zwanzig Jahren, ist der Kontakt nie mehr abgerissen, obwohl wir fast fünfhundert Kilometer voneinander entfernt wohnen. Wir wissen, dass wir nach unseren Erfahrungen in der Studienzeit kein Paar mehr werden, doch eine tiefe Freundschaft ist geblieben. Es ist einfach jemand da, dem man sich anvertrauen kann, der einem aber nie auf die Pelle rückt. Ja, Frauen und Männer können befreundet sein. Mindestens zwei oder drei Mal im Jahr telefonieren wir miteinander, und da sie die ganze Zeit in der Nähe meiner Eltern lebt, besuche ich sie meist ein- oder zweimal im Jahr. Irgendwann hat sie geheiratet, doch auch diese Ehe ist vor fünf Jahren gescheitert. Er war zwar ein netter Kerl, doch konnte er ihr vor allem intellektuell nie das Wasser reichen. Naja, wo die Liebe hinfällt. Und auch in der Situation war ich für sie da.
So einseitig, wie sich das Ganze anhört, ist es aber nicht, denn auch Claudia ist immer auch für mich da, wenn ich jemanden brauche, meist zum Reden oder für einen guten Rat. Geheiratet habe ich nie, nur einige mehr oder weniger lange Beziehungen hatte ich bisher. Scheinbar bin ich nicht der Typ für die Ehe, zumal ich mir noch nie vorstellen konnte, einmal Kinder zu haben. Deshalb gab es auch immer wieder Zeiträume, in denen ich Single war. So ist es auch jetzt, seit fast einem Jahr. Wieder bin ich auf meine Fantasie in Kombination mit Handbetrieb angewiesen, um mir gelegentlich ein wenig Entspannung zu verschaffen, denn der Typ für Affären bin ich nicht. Wie dem auch sei, ich bin alles in allem mehr als glücklich und zufrieden mit meinem Leben, und wer kann das schon von sich behaupten. Aber zurück zu meiner Geschichte. Als ich vor einem halben Jahr zu Weihnachten bei meinen Eltern war, habe ich natürlich auch Claudia besucht. Sie erzählte mir, dass im kommenden Juni für sie eine zweiwöchige Schulung in Leipzig geplant sei.
Claudia hatte nämlich mit ende Vierzig noch einmal den großen Schritt gewagt, und kurz vorher eine neue Stelle angetreten. Bei ihrem alten Job war das Betriebsklima nach und nach immer schlechter geworden, und auch die Arbeitsbedingungen ließen zu wünschen übrig, zumal sie gesundheitliche Probleme, hauptsächlich mit dem Rücken, hat. Bei ihrer neuen Arbeitsstelle im Gesundheitsamt, die ebenfalls in ihrem Wohnort liegt, ist alles viel besser. „Leipzig hört sich gut an, und nicht nur wegen der Schulung.“ meinte ich nur, denn ich war drei Monate zuvor für eine betriebsinterne Dreitageveranstaltung dort gewesen, und hatte dabei auch eine Stadtführung mitgemacht. Bei meinem nächsten Besuch bei ihr zu Ostern, kam das Thema wieder auf Leipzig. Sie erzählte, dass sie an dem dazwischenliegenden Wochenende dortbleiben wolle, um ein wenig Sightseeing zu machen, schließlich würde die nette Nachbarin gerne in ihrer Wohnung nach dem Rechten sehen, und die vierhundert Kilometer einfache Strecke könnte man sich so auch sparen. Ihre studierende Tochter hätte außerdem längst ihr eigenes Leben, also warum die Gelegenheit nicht nutzen. Etwas Besonderes würde sie aber nicht planen.
Kaum hatte Claudia mir dies erzählt, brauchte ich nicht lange zu überlegen, um ihr vorzuschlagen, sie an dem Wochenende zu besuchen, damit wir gemeinsam die Stadt erobern könnten. Gerne würde ich Leipzig noch einmal ausgiebiger erkunden, doch konnte ich mich alleine bisher nicht dazu aufraffen. Ich wohne nur etwas über eine Stunde Fahrzeit mit dem ICE entfernt, und ein Wochenende mit meiner Freundin verbringen zu können, darauf würde ich mich wirklich freuen. Glücklicherweise war auch Claudia vollauf begeistert, aber ich hätte auch nichts anderes erwartet, schließlich kenne ich sie schon lange genug. An all das muss ich denken, während ich an diesem Samstagmorgen im Zug nach Leipzig sitze. Es sollen zwei ausgesprochen warme Tage werden, an denen man ohne Jacken loskann, und deshalb vor allem die Straßencafés einen unwiderstehlichen Reiz ausüben. Dazu dass alles mit meiner Freundin zusammen. Mein Hotel liegt direkt neben dem Bahnhof, und nach dem Einchecken mache ich mich gleich auf den Weg, zu dem nur wenige hundert Meter entfernten Tagungshotel, in dem Claudia untergebracht ist.
Meine Freundin wartet bereits in der Lobby. Dabei stell ich wieder einmal fest, wie gut es die Zeit mit ihr gemeint hat. Trotz ihrer neunundvierzig Jahre, ist sie immer noch eine verdammt attraktive Frau. Nur ein paar süße Lachfältchen zieren ihre Augen und Mundwinkel, aber sie harmonieren irgendwie wunderbar mit den braunen Augen und den leicht vorstehenden Wangenknochen. Normalerweise wird ihr Gesicht von ihren mehr als schulterlangen, dunkelblonden Haaren eingerahmt, doch heute hat sie diese zu einem Knoten hochgesteckt. Claudia ist mit ihren einssechsundsiebzig etwa einen halben Kopf kleiner als ich. Dabei hat sie eine sportlich-schlanke Figur, mit schmalen Hüften, einem knackigen Hintern, und einer eher kleinen Oberweite. Meine Freundin trägt eine einfarbige, langärmelige Bluse und einen passenden, knielangen Sommerrock, der so weit geschnitten ist, dass er ihre Oberschenkel locker umschmeichelt. Nur die wohlgeformten Unterschenkel mit der hellen Haut zeigt sie, denn sie trägt keine Strümpfe. Der Anblick lässt erahnen, dass ihre Oberschenkel nicht weniger wohlgeformt sind.
Claudia begrüßt mich mit einer herzlichen Umarmung. „Ich freu mich so, dass es geklappt hat.“ flüstert sie mir zu. „Und ich mich erst.“ ergänze ich nur, während ich ihren Duft einatme, denn sie trägt wie immer kein Parfum. So machen wir uns auf, die Stadt zu entdecken. Doch nicht nur kulturelles steht auf dem Programm, sondern auch die ein oder andere Einkaufspassage machen wir unsicher. Zwischendurch genießen wir natürlich die kleinen Pausen in den verschiedenen Straßencafés, und zum Mittagessen lasse ich mich gerne einladen. Am späten Nachmittag besuchen wir dann ein Orgelkonzert im Gewandhaus. Ein tolles Erlebnis, zumal Claudia selber ein wenig spielt, und auch ich der Musik zugetan bin. Den ganzen Tag schon besteht zwischen uns eine große Nähe, so dass wir manchmal sogar Arm in Arm durch die Straßen schlendern. Dabei lachen und scherzen wir bei jeder Gelegenheit miteinander. Es ist einfach ein schöner Tag, der nicht nur mich glücklich macht. Zum Abendessen lade ich Claudia deshalb nur zu gerne ein. Als wir danach noch gemütlich in einer Bar sitzen, kommen wir tatsächlich noch über unser Leben ins Philosophieren.
„Weißt du“, bemerke ich irgendwann nachdenklich, „es gibt wohl keine Handvoll Dinge, die mir in meinem Leben wirklich leidtun, aber dass ich dich während unserer Beziehung und bei unserer Trennung so verletzt habe, dass tut mit immer noch weh. … Umso glücklicher bin ich, dass wir trotz allem so gut miteinander befreundet sind.“ „Oder vielleicht ja gerade deswegen.“ wendet Claudia ein, „Zum Paar haben wir wohl nicht getaugt, aber dafür habe ich einen wunderbaren Freund gewonnen. … Und mach dir nicht zu viele Gedanken, ich war damals schließlich auch viel zu naiv und dumm, um die Katastrophe zu erkennen.“ Wieder einmal besteht ein Einvernehmen zwischen uns, ohne dass es vieler Worte bedarf. So wenden wir uns schöneren Themen zu. Kurz nach neun sind unsere Gläser geleert, doch wir bestellen nichts mehr. „Du weiß ja, ich bin immer noch kein Nachtmensch, und der Tag heute war doch schon sehr ereignisreich. … Ehrlich gesagt, ich bin ein bisschen müde, und morgen ist ja auch noch ein Tag.“ Dem kann ich nur zustimmen, denn mir geht es ähnlich, auch wenn ich natürlich noch gerne ein wenig Zeit mit ihr verbringen würde.
Dabei nehme ich unbewusst die ganze Zeit, seit wir in der Bar sind, schon wahr, dass Claudia etwas unruhiger ist als sonst, doch ich denke mir nichts dabei. Selbstverständlich lasse ich es mir nicht nehmen, Claudia noch zum Hotel zu bringen, bevor ich meines aufsuche. Mit der gleichen innigen Umarmung, mit der sie mich heute Morgen begrüßt hat, verabschiedet sie sich nun auch von mir. Dabei habe ich fast den Eindruck, als würde sie mir ein kleines Küsschen auf die Wange hauchen, aber das kann nur Einbildung sein. Schon entschwindet sie in Richtung Fahrstuhl. Gedankenverloren schaue ich ihr nach, oder besser gesagt, starre ich auf ihren knackigen Po. Auf halbem Weg bleibt Claudia stehen, dreht sich zögernd um, lächelt mich an, und kommt wieder auf mich zu. „In der Minibar in meinem Zimmer steht ein Piccolo. … Wollen wir den, nach dem schönen Tag, nicht zusammen als Absacker, oder besser gesagt als Schlummertrunk, zusammen trinken?“ fragt sie mich schließlich mit leiser Stimme. „Du willst die Minibar plündern?“ frage ich erstraunt, denn das ist sonst gar nicht so ihre Art. Claudia lächelt mich an: „Nicht die Minibar plündern, … nur ein Gläschen Sekt.“ „Nichts dagegen.“ antworte ich nur, schon hakt sich meine Freundin bei mir unter, und führt mich zum Fahrstuhl.
Tausend Mal berührt
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Tausend Mal berührt
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