Theo

3 5-9 Minuten 0 Kommentare

I.

Heute werde ich zu Theo gehen. Ich werde am Fensterchen winken und er wird sagen, „hallo, du Schöne, komm doch rein.“ Das sagt er immer, der alte geile Bock. Er sagt, hallo, du Schöne. Obwohl er weiß, dass ich gar nicht schön bin. Schon lange nicht mehr. Mein Haar ist dünn und grau. Ich trage einen Hut wegen der kahlen Stellen. Weniger aus Eitelkeit. Ich friere jetzt immer so auf dem Kopf. Es ist November und es ist das dritte Jahr, in dem ich auf dem Kopf friere. Das hatte ich früher nicht. Aber ich finde mich langsam damit ab, dass ich mich ändere. Pfff. Ändern. Dass ich verfalle. Regelrecht verfalle. Löcher in den Beinen. Im Haarschopf und sonstwo. Darüber reden wir nicht. Zum Glück brauche ich keine Medikamente. Aber wer fragt schon danach, wie es der Alten am Stock geht, wenn die Zicken einen vor dem Aufzug beiseite schieben. Ich gehe zu Theo. Winke am Kioskfensterchen, wo er seine Schätze verkauft, an alle, egal ob alt, jung, hässlich, blöd, erfolgreich, gesund oder sonstwas. Er verkauft Schätze und manchmal guckt er zu, wie sich einer zugrunde richtet. Heute gehe ich da hin und er wird mir winken. Er wird mich hereinbitten in sein zerfallenes Bretterhäuschen mit dem löchrigen Fußboden und heute werde ich mich nicht auf den harten Schemel setzen. Heute setze ich mich auf seinen Schoß und ich werde sagen, „halt mich.“ Er wird mich halten und er wird seine Hände über meine Hände legen, mir den Hut abnehmen. Er wird mein Haar um seine Finger kringeln und er wird sagen, „du bist schön.“ Denn Theo ist weise. Zwischendurch wird er aufstehen und ein Bier oder ein Eis aus der Kühltheke holen. Er wird es durch das Schatzfensterchen in eine wünschende Hand nach draußen reichen und dann wird er lächeln und auf seine Schenkel klopfen, auf die ich wieder gleiten werde. Und er wird genau wissen, was ich mir wünsche. "Seine Augen,." Dann berühre ich seine Augen. Seine Augen, die in dem faltigen Gesicht jünger sind als die von dem Sportstudenten, der sich bei Theo mit Kaugummis eindeckt. Und dann werde ich ihn küssen und er wird wissen, dass es mit mir zu Ende geht, denn sonst hätte ich das nicht getan. Ich bin ein anständiges Mädchen.

II.

Ich bin zu Theo gegangen. Ich konnte nicht mehr warten. Eigentlich wollte ich erst noch in Honigmilch baden, die Hornhaut wegreiben, die Fußnägel lackieren und mir mit Rosenöl die Haut glätten. Ich wollte ein Spitzenkleid heraussuchen und an geheime Stellen mein Lieblingsparfum sprühen. Aber ich habe einfach meine verschwitzte ungebügelte Bluse anbehalten, ein Deo aufgetragen, die Haarbürste über den Kopf gezogen und bin in Wanderschuhen los. Ich hab alles stehen lassen. Spülberg, Staubsauger, schmutzige Klamotten, das Frühstück auf dem Tisch, voller Mülleimer. Ich konnte nicht mehr denken und dann saß ich auf dem harten Schemel, trank seinen Kaffee und er schaute mich an. Du siehst heute so anders aus, sagte er. Und dann war alles anders als jemals zuvor. Ich war anders. Vielleicht war ich wie Susanne. Aber ich würde nicht weinen wie sie, wenn er ginge. Ich wäre ja nicht verliebt und voller irrsinniger Träume wie sie. Ich habe das nie verstanden. Wie sie einen Kerl nach dem anderen nach Hause bringen konnte. Susanne immer mit ihrem Lächeln, das so leicht auf ihren Lippen erstarb. Thomas, Martin, Konstantin und wie die alle hießen und hintenrum standen sie dann in der Küche, während Susanne sich in ihrem Bett räkelte. So waren die, aber das wollte sie nicht begreifen. Ich hätte sowas nie gemacht und am Ende stand sie dann doch alleine da. Das Kind von Konstantin am Bein. Da sollte ich ihr dann helfen, das habe ich aber nicht gemacht. Soll sie sehen, wie sie allein klar kommt. Nie hat sie auf mich gehört und heute will sie auch nichts von mir wissen, wo ich nicht laufen kann. Das Testament habe ich geändert. Es ist ja nicht viel übrig. Lieber gebe ich alles aus. Naja, aber alles gibt man dann eben doch nicht aus. Warum soll ich mir nicht ein paar Tage Spanien gönnen. Man gönnt sich ja sonst nichts.
Meine Augen seien schwarze Oliven, hat Theo gesagt. Und dann küsste er mich und seine weiche Hand lag auf meiner Haut unter der Bluse und es war völlig wurscht, dass sie verschwitzt war. Wir schwitzten sowieso. Mein Busen wurde leicht und wieder rund in seiner Hand und ich wickelte meine Zunge um seine. Wir zitterten. Er löschte das Licht. Aber das Wunschfenster stand offen. Das Licht der Straße fiel auf Erdnussflips und Kaugummi. Er öffnete seinen Hosenschlitz und sein rosa tropfender Stempel stand da in voller Frucht. Mir seinen Stempel aufdrücken. Das will er. Er ist alt und ein geiler Bock. Ich will ihn trotzdem und deswegen. Nur Susanne will nicht mehr. Nie mehr einen Mann, wie ich in ihrem Alter. Soll ich ihr sagen, das legt sich wieder, wenn du erst alt bist? Gehört hat sie doch nie auf mich. Aber da war das offene Fenster, das Lallen neben dem Bretterhäuschen und das schmale Licht von der Straße.
Da lauerten Augen hinter dem Wasserhäuschen an der Bretterwand und im Rosengärtchen hockten die Penner, die Wodka und Bier auf Pump einlaufen ließen und die über alles redeten, was ihnen zu reden in den Sinn kam. Eine Stimme rief, Theo packte seinen Stempel ein und zog die lange Strickjacke bis zu den Knien. Mit zitternden Händen erfüllte er Wünsche, nur seinen eigenen verbarg er unter der alten Strickjacke, während ich seinen Po in der Cordjeans betrachtete. Sein Po, der kein bisschen alt aussah und den ich berühren wollte und dann drehte er sich um und lachte. Ich wurde rot, sprang auf, dann winkte ich ihm zu und war schon draußen. Den Hut hatte ich liegen lassen. Ich musste nochmal hin. Erstmal spülte ich das Geschirr, leerte den Mülleimer, räumte auf und dann habe ich viel zu viel Mittagessen gekocht, so als wäre es wieder früher und die Kinder kämen von der Schule. Ich schob den Rest in den Kühlschrank. Ich sah zu, wie Emma von nebenan mit dem Gehwägelchen die Straße hinablief. Sie hielt an jedem Blumenkübel und setzte sich an den Rand. Es kostet sie das Leben, von einem Blumenkübel zum anderen. Zur Haustür. Zum Kiosk. Zurück. An der Seite baumelte die schmutzige Stofftasche vom Supermarkt. Oben guckte der Lauch raus. Und ich dachte an Theo. Nächstes Mal will ich noch mehr. Ich will ihn überall küssen. Ich will eine Spuckespur über sein operiertes Herz legen und über den Bauchnabel und ich will den Stempel ganz nass machen.

III.

Wir bestellen ein Hotelzimmer. Theo räumt mit rotem Gesicht Zeitungen ein. Er muss Kreise um das Häuschen drehen, um die Läden zu schließen. Und jetzt macht er es tatsächlich. Er kreist und glüht in der Nacht. Augenweiß blitzt aus dem Dunkel und es ist klar, es wird keinen Nachschub mehr geben, heute. Der Zauberer erfüllt sich einen Wunsch. Die kleinen Wünsche müssen warten. Das Holz klackt in die vorgesehenen Furchen und der rostige Schlüssel kratzt. Ich steige in das winzige klapprige Auto. Es stinkt nach altem Zigarettenqualm. Er kurbelt das Fenster herab. Sagt, mir ist heiß, ich bin aufgeregt. Ich sage nichts. Ich bin still. Ich höre das Knistern des Feuers und ich kann nichts sagen, was sich nicht gleichzeitig dumm anhören würde. Es ist peinlich, weil noch nie einer von uns ein Hotelzimmer für sowas gemietet hat. Wir wissen nicht, was wir sagen sollen, wohin gucken. Der Hotelier sagt, von halb sieben bis elf gibt's Frühstück, falls Sie das noch möchten. Und er weiß genau, nach zwei, drei oder vier Stunden geben wir unsere Magnetkarten wieder zurück. Theo hat schon gesagt, er muss wieder nach Hause zu seiner Frau. Ich muss erstmal. Dann stehe ich da. Er muss auch mal. Als er zurückkommt, stehe ich immer noch da. Ich lehne mich an die kalte Wand. Ich weiß nicht, was jetzt weiter, aber ich will nicht dass er merkt, dass ich es nicht weiß. Er zieht einfach seinen Reißverschluss auf. So einfach. Da umfasse ich seinen Po unter der Hose. Endlich den nackten Po. Fühlt sich gut an. Bonobo. Ich mag die Affenmänner. Haare, die einen überall kitzeln. An den Handflächen, am Busen, auf dem Bauch. Im Gesicht. Im Ohr. Überall kitzelt es und ich will nicht mehr warten. Will wissen, wie es ist, seine Dreieckshaare in meinen. Will wissen, wie er kreist, wie stößt, wie er dabei guckt. Ich will alles wissen. Ich schlüpfe unter das frische Hotellaken in das glatte Bett, wie es nur in Hotels glatt ist und er schlüpft auf die andere Seite. Unsere Füße umwickeln sich und es ist uns egal, ob sie schwitzig oder müde von einem langen Tag sind. Sie wickeln sich und von den Zehen her wickeln wir uns langsam nach oben. Er hat so schöne Beine mit dunklen Haaren, es ist noch was vom Sportler dran und er hat einen ganz schwarzen Schoß und in der Mitte steht der rosa Stempel und den will ich jetzt und ich darf ihn mir nehmen und ihn in mich hineinziehen und er fühlt sich so gut an wie sich schon lange nichts mehr gut angefühlt hat und ich stöhne, weil es sich so gut anfühlt, weil Theo jetzt in mir ist und weil er sich bewegt und weil er in mir ist und ich glühe, weil sich schon lange nichts mehr so gut angefühlt hat wie Theo, der in mir ist und ich lache laut und Theo ist rot und lacht und schnell zieht er ihn raus und seufzt, hält ein und da endlich ist er wieder drin. Er beult mich aus und ich fühle mich voll und heiß und wie zu viel Schokolade und da dreht er mich und er zieht meine Beine hoch wie ich es nie bekommen habe. Und Theo ist rot und lacht, zieht meine Beine hoch und da ist schon sein Zucken. Das Zucken, das ich will mit all dem Saft, von dem ich will, dass er meine Beine hinunterläuft und da zuckt es und Theo ist ganz still und ich weiß, er will es einhalten und kann es nicht und da ziehe ich ihn an mich. Ganz nah. Bonobo. Es lässt sich ja doch nicht ändern. Und er sagt, wenn wir es öfter machen, kann ich länger und ich denke darüber nach, ob ich öfter will und kann mich nicht entscheiden. Bonobomann.
Nach zwei Tagen weiß ich, dass ich öfter will und nach zwei Tagen ist jetzt und heute und die zweite Nacht kann ich nicht schlafen, weil ich versuche, mir vorzustellen, wie es noch einmal wäre und weil mir die Bilder entgleiten und ich es mir nicht vorstellen kann und weil ich es ihm nicht gesagt habe. Nach zwei Tagen rufe ich Susanne an, dass ich bald zu Besuch komme und nach zwei Tagen humpele ich zum Kiosk, auf dem Kopf trage ich einen neuen Hut. Theo reicht ein Sahneeis durch das Fensterchen in das Gesicht von Emma, „hier, du Schöne“, höre ich ihn. Emma strahlt. Ich stecke meinen Kopf mit Hut durch das Fenster. „Ich will öfter“, flüstere ich und Theo lacht. Nach zwei Tagen hoffe ich, dass es mit mir noch nicht so bald zu Ende geht.

Klicke auf das Herz, wenn
Dir die Geschichte gefällt
Zugriffe gesamt: 3617

Sie müssen sich anmelden, um Kommentare hinzuzufügen.

Gedichte auf den Leib geschrieben