Timo - Kapitel 7

Julchen

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Timo - Kapitel 7

Timo - Kapitel 7

Gero Hard

„Na komm schon her und küss mich endlich wieder. Wir haben uns seit gestern Abend nicht gesehen, da gerate ich ins Defizit.“ Ihr Blick könnte verführerischer nicht sein, als sie meine Hände nimmt und mich an sich heranzieht. Mein Oberkörper liegt jetzt neben ihrem im Krankenbett. Aus dem Kuss wird ein Kuscheln und Schmusen. Sogar ein zaghaftes Streicheln ihrer Hand unterhalb meiner Gürtellinie und ein erregendes Befummeln ihrer wunderschönen Boobies ist drin.„Hör auf, du machst mich schon wieder geil und wir dürfen die nächsten 2 bis 4 Tage kein Sex haben“, verrät sie.

„Kann ich mir vorstellen. Nach der Aktion wird es erst heilen müssen, das ist mir schon klar.“

„Aber ich bin süchtig nach dir, wie soll ich das denn aushalten?“„Was aber ja nicht heißt, dass wir uns nicht gegenseitig verwöhnen können. Und manchmal ist ‚nur schmusen‘ doch viel schöner.“

„Stimmt auch wieder. Ich freue mich jetzt schon drauf. Aber erzähl, wo sind die Kinder?“ „Die habe ich unten bei Julia gelassen. Sie wollte es so, damit wir ein paar Minuten für uns haben.“

„Das ist ja total lieb von ihr. Aber ich sag’s dir gleich, lass ja deine Finger von ihr, das würdest du sonst nicht überleben.“

„Wer ist denn nun Eifersüchtig, du oder ich?“, frage ich erstaunt.

„Wir schenken uns wohl beide nichts.“, zuckt sie grinsend mit den Schultern.Der Rest unserer Unterhaltung eiert so hin und her. Was macht ihr heute noch … ich wäre so gerne dabei … wann kommt Julia raus… wobei mich eher die Fragen interessierten: was sagt der Wehenschreiber … was sagen die Ärzte … wie steht es um das Kind …

Selbstverständlich macht sie ein trauriges Gesicht, als ich mich nach einer halben Stunde von ihr verabschiede, aber ich möchte Julia noch nicht so lange mit den Kindern aus verständlichen Gründen allein lassen.„Du Timo, darf ich dich um einen Gefallen bitten?“

„Alles was du willst mein Engel.“

„Wenn ich wieder zu Hause bin, kannst du dann mit mir zusammen Franjo’s Sachen zu ihm bringen? Ich möchte da ungern alleine hin.“

„Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist. Aber wenn es dir lieber ist, dann machen wir das natürlich.“

„Prima, danke, das ist wirklich lieb.“

Nach einem märchenhaften Kuss und einer zärtlichen Umarmung fällt uns die Trennung nicht unbedingt leicht. Und dennoch zieht es mich sehnsüchtig zurück in die Kardio, zu Julia. Die Freude, sie gleich wiederzusehen, verdrängt den kleinen Trennungsschmerz von Sandra sofort.

Kann man eigentlich zwei Frauen gleichzeitig lieben? Zwei Frauen, die unterschiedlicher kaum sein könnten?

Wenn ich in meinen Körper hineinhöre, kommt es mir so vor. Bei beiden bekomme ich Herzklopfen, wenn ich sie sehe, bei beiden wird mir warm und bei beiden bekomme ich schweißnasse Hände. Beide sehen super aus und sind in ihrer Art sehr liebenswert. Ich schäme mich ein bisschen, dass ich wie ein unreifer Teenager fühle. Das wirklich Schlimme ist, dass ich Julia wählen würde, wenn ich mich zwingend entscheiden müsste. Bedeutet das, ich bin mit der falschen Frau zusammen?

Eigentlich nicht, denn auch mit Sandra ist es mehr als schön, wenn ich mit ihr zusammen bin. Ob es mit Julia wohl noch harmonischer, familiärer wäre, weil sie ausgeglichener und insgesamt ausgetobter ist? Mit ihr und den Kindern Ausflüge zu machen, ist sicher ganz anders, als an Sandras Seite.

Nur eines ist klar, solange ich mit Sandra schlafe, kann ich Julia nur freundschaftlich lieben. Platonisch, oder wie sagt man? Mit beiden ins Bett zu gehen, kommt für mich nicht in Frage.Am Ende werden wahrscheinlich meine Zweifel an Sandra’s Treue dafür verantwortlich sein, wenn sie mich in Julias Arme treibt, wenn sie mich denn wollen würde.

Ich schlendere die Krankenhausflure entlang und nehme andere Personen kaum war. Egal ob sie weiß oder grün gekleidet sind, oder Straßenkleidung tragen. Wie ferngesteuert stehe ich vor Julias Krankenzimmer, die schon seit vorgestern nicht mehr intensivmedizinisch versorgt wird. Schon von draußen höre ich das freudige Kinderlachen.Vorsichtig drücke ich den Türgriff und öffne leise die schwere Tür. Unbemerkt linse ich um die Ecke und sehe die kleine Familie ausgelassen auf dem Bett toben. Mittendrin Julia, die regelrecht aufgeblüht ist. Ihr Lachen ist wunderbar unbeschwert und glockenhell, ganz anders als ihre Sprechstimme.„Mein Retter, schön, dass du auch wieder da bist, komm doch zu uns.“, lacht sie mich an. Die rosa Schleife, mit der man ihr Nachthemd am Kragen schließen könnte, ist offen. Der Schlitz reicht bis fast in das Tal zwischen ihren Brüsten und gibt den Blick auf ihre glatte Haut frei. Dass außerdem ihre dunklen Warzenhöfe durch den Stoff durchschimmern, macht ihr nichts aus. Ich weiß, dass sie es weiß. Ihr Blick ging nämlich kurz nach unten auf ihre Brüste, dann sah sie mich an und lächelte. Kann es sein, dass diese Frau ein Auge auf mich geworfen hat und mich ein wenig aus der Reserve locken möchte? Wenn ich diesen vor mir sitzenden, blonden Engel mit der Frau vergleiche, die ich noch vor wenigen Tagen hier besuchen musste, dann liegen Welten dazwischen. Fast scheint es, als wären es zwei verschiedene Frauen.Mir gefiel die kranke Version schon ausgesprochen gut, aber dieses, wie neu aufgeblühte Wesen, gefällt mir nochx-mal besser. Es ist wie verhext, ich stehe noch keine 2 Minuten an ihrem Bett und schon verschwindet jeder Gedanke an Sandra aus meinem Kopf.

„Komm, setz dich doch zu mir aufs Bett.“, bettelt sie und klopft mit ihrer flachen Hand auf die Matratze, „wie geht es Sandra?“„Soweit ganz gut, auf jeden Fall keine Wehen mehr und die Schmerzmittel haben gut angeschlagen.“

„Und wann kann sie wieder raus?“

„Hat sie noch nicht gesagt. Die Ärzte meinten wohl, so zwei oder drei Tage soll sie sich noch Ruhe gönnen.“„Dann sind wir bis dahin allein?“

„Das wird so sein, warum fragst du?“

„Ach nur so, ich wollte mich bei dir ein wenig nützlich machen und nicht in fremden Gehegen wildern.“

„Das machst du schon nicht, keine Sorge. Wann soll ich dich denn abholen?“

„Morgen nach der Visite, so gegen 10, wenn das für dich ok ist.“

„Sehr gern sogar. Ich freue mich auf dich. Und wenn wir uns die Kinder teilen, kannst du prima ausspannen, dich erholen und wieder Kraft tanken.“

„Timo, ich kann dir gar nicht genug danken. Einfach für alles. Erst rettest du mir das Leben, dann opferst du deinen ganzen Urlaub, um eine kranke Frau zu besuchen und ihre Kinder zu hüten und ganz nebenbei nimmst du noch eine blutjunge Frau auf, die mit ihrem Typen nicht klarkommt und auch noch schwanger ist. Ganz ehrlich, einem Menschen wie dir, bin ich vorher noch nie begegnet. Verrate mir nur einen guten Grund, warum du das tust. Nur einen einzigen.

„Weil ich es liebe, Menschen zu helfen. Dafür zu sorgen, dass es ihnen gut geht. Besonders, wenn es Menschen in meiner Nähe sind. Ich liebe Kinder und mir waren bisher noch keine eigenen vergönnt. Und ich mag dich. Sind das Gründe genug?“

Julias Blick klebt förmlich an meinem Mund und an meinen Augen. Wenn ich es richtig beobachte, wechselt es öfter hin und her. Wie, als hätte man ihren Stecker gezogen, starrt sie mich bewegungslos und still an. Ihre Hände liegen auf den Schultern der Kinder, plötzlich regungslos geworden. Ihre Lippen bewegen sich ganz leicht. Ihr Flüstern gleicht einem leisen Windhauch: „Es geht nicht … Sandra.“

„Wie bitte?“, frage ich nach.

„Das darfst du nicht sagen, weil du mit Sandra zusammen bist.“

„Was darf ich nicht sagen?“

„Das du mich magst.“, erklärt Julia.

„Warum nicht? Ich sage immer, was ich denke. Und außerdem hat die Tatsache, dass ich mit Sandra zusammen bin, doch nichts damit zu tun, dass ich dich mag, oder?“

„Doch, irgendwie schon, finde ich.“

„Dann entschuldige ich mich. Ich wollte dich damit nicht … ja was eigentlich, verletzen, verwirren, dir zu nahe treten…“ 

„Bist du nicht. Ich bin es nur nicht gewohnt, dass jemand so direkt ist. Und na ja, was soll ich sagen, du bist ein ungewöhnlicher Mann, Timo Schüttler. Ich weiß nicht, ob man es ‚mögen‘ nennt, aber ich fühle mich auch sehr wohl in deiner Nähe. Das hatte ich lange nicht. Sonst mag ich so enge Nähe, vor allem von Männern, nicht so sehr.“

„Bist du eher … äähhmm…“

„Lesbisch? Nein, das ganz sicher nicht. Aber nach dem Tod meines Mannes konnte ich es einfach nicht zulassen. Es fühlte sich an, als würde ich ihn betrügen.“

„Und was ist passiert, dass du es jetzt als angenehm empfindest?“

„Timo, wenn ich es dir verrate, versprichst du nicht zu lachen?“

„Na klar.“

„Ich habe mich im Gras liegen sehen. Und ich sah, wie eine Person mich beatmet hat und mein Herz gedrückt hat. Es war, als könnte ich von oben zusehen, als hätte ich meinen Körper schon verlassen. Dein Gesicht konnte ich nicht sehen, aber ich fühlte deine Hände auf meiner Brust und deinen Atem in meinen Lungen. Dann plötzlich stand mein Mann neben mir und hat mir gesagt, ich soll wieder zurückgehen und glücklich werden, weil er es sich so sehr für mich wünscht und er mich oft traurig gesehen hat. Als ich wach war, erkannte ich deine Stimme sofort wieder. Und ich hörte Dinge wie: … dir helfen, … für die Kinder da sein, … wir müssen für die Kinder stark sein … 

Und mit jedem Besuch von dir wurde ich mir sicherer, du musst ein Engel sein, der mir vom Himmel geschickt wurde. Erkläre mich für dumm und naiv, aber ich dachte wirklich, du wurdest mir von meinem Mann geschickt. 

Es war eine Nahtoderfahrung, nennt man da so? Und dann tauchst du hier mit Sandra auf und plötzlich war ich mir nicht mehr sicher, denn so kann mein Mann das nicht für mich gewollt haben.“

„Erstens: Würde ich über so etwas niemals lachen, ich glaube nämlich selbst daran. Und zweitens: Es tut mir leid. Ich weiß grad gar nicht …“

„Was du sagen sollst? Dann lass es auch besser. Wir werden sehen, wie es uns geht, wenn ich bei euch wohne. Es ist alles gut so, wie es ist. Mach dir keine Sorgen um mich.“

„Mach ich aber“, sage ich still in mich hinein, nicke aber nur.

„Na nu guck nicht so bedrabbelt, ich mag dich ja auch. Is nun wieder gut?“, boxt sie mich leicht auf den Oberarm und lächelt mich dabei liebevoll an.

„Ja, alles wieder gut.“, sage ich leise.

Die Kinder haben die ganze Zeit nichts gesagt, dass fällt mir jetzt erst auf. Sie sitzen am Bettende und spielen mit sich selbst. Emma sieht uns abwechselnd an. „Omi, war das gerade ein Streit?“ Ihr Blick ist traurig. „ich möchte nämlich nicht, dass ihr euch streitet. Ihr sollt euch lieb haben, du und Onkel Timo.“

„Ich habe vorhin schon aus Versehen Papa zu ihm gesagt.“, verrät Peter.

Jetzt ist es Julia, die ganz still und nachdenklich geworden ist. „Du hast Papa zu ihm gesagt?“ Ungläubig sieht sie erst Peter, dann mich an. „Und?“

„Nichts und“, mische ich mich ein, „ist doch nicht schlimm.“

„Weiß du Timo, die beiden Kinder haben nach dem Unfall wochenlang kein Wort gesprochen. Erst, als wir zusammen einige psychologische Sitzungen hatten, wurde es besser. Und der Vater … er verdient es nicht, so genannt zu werden. Er ist der Erzeuger, mehr aber auch nicht. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich Peter das letzte Mal das Wort ‚Papa‘ habe sagen hören.“ 

Julias Augen sind feucht und glitzern wie funkelnde Edelsteine. Am liebsten würde ich sie jetzt zum Trost in den Arm nehmen und an meine breite Brust drücken. Ich bin unsicher, ob das jetzt eine angemessene Reaktion wäre. Und doch probiere ich es, lehne mich etwas zu ihr hinüber und lege meine Arme um ihre Schultern. Keine Abwehr, kein Wegschieben, keine ablehnenden Worte. Im Gegenteil, sie schiebt ihre Arme unter meinen Achseln entlang um meinen Oberkörper und lehnt ihren Kopf an meine Brust. Wortlos liegt sie in meinen Armen und genießt offensichtlich diesen Moment. „Das ist schön, kannst du dir vorstellen, wie lange ich das nicht mehr hatte?“, flüstert sie in mein Oberhemd hinein.

„Seit dem Tod deines Mannes?“

„Ganz genau. Du bist der Erste, bei dem ich es wieder zulasse und der mich anfassen darf.“

Ihr warmer Körper schmiegt sich an mich, wie ein hilfesuchendes Kätzchen. Ich höre, wie sie meinen Körpergeruch aufsaugt. „Du riechst gut“,sagt sie mir, als sie sich ein wenig von mir löst. Diese Augen, ihr Mund, der liebevolle Gesichtsausdruck, lassen mich sprachlos werden. „Danke, das ist sehr lieb“, ist deshalb das Einzige, was ich herausbekomme.

Meine Gefühle sind völlig andere, die ich ihr viel dringender sagen müsste. Aber gerade jetzt fallen mir die richtigen Worte nicht ein. Sie in den Armen zu halten, löst eine Flut von Emotionen in mir aus. Dieser schlanke Körper, dem im Moment noch die nötige Kraft fehlt und dennoch eine unglaubliche Stärke ausstrahlt.

Julia ist die Ruhe in Person, ein Fels in der Brandung. Sie könnte mir der nötige Ausgleich für meinen nervenaufreibenden Job sein. Ich glaube, mit ihr könnte ich über alles sprechen. Sie ist so reif und denkt rational, geprägt durch die traumatischen Erlebnisse in ihrem Leben und der aufopferungsvollen Fürsorge für ihre Enkel.

Julia ist so ganz anders als Sandra, die noch voller Tatendrang steckt und eben nicht diese wohltuende Ruhe überträgt. Sie muss immer was tun und hat bei jedem passenden oder unpassenden Moment ihre Hand an meinen Eiern.

In meiner Vorstellung reift das Bild eines übermüdetes Mannes, der völlig ausgelaugt von der Arbeit kommt und dann noch den Bewegungsdrang seiner Freundin befriedigen muss. Im Zweifel mehrfach auf der Matratze, wobei ich mir eine Erektion abringen muss, weil es gerade von mir verlangt wird, obwohl mir viel lieber nach schlafen und/oder reden ist.

Irgendwie bekomme ich das Bild von meiner Vorstellung des „Partnerdings“ mit Sandra nicht scharfgestellt. Ja ok, sie wünscht mir einen schönen Tag, wenn sie geht, oder fragt mich, wie mein Tag war, wenn sie abends heimkommt. Aber da ist noch mehr. Was ist mit Diskussionen über ernste Themen, wie gehen wir mit Meinungsverschiedenheiten um, wieviel Verständnis können wir gegenseitig für unsere Berufe aufbringen. Es fällt schwer, mir Sandra als eine Hausfrau vorzustellen, der es eine Freude macht, neben den Kindern auch den Partner zu umsorgen, wenn er es gerade braucht.

Bei Julia habe ich genau dieses Bild vor Augen. Eine Frau, der es Spaß macht, ihrem Mann stolz die neue Frisur oder das neue Kleid vorzuführen, ihn lieb in den Arm zu nehmen, wenn er erschöpft ist, oder ihm die nötige Schulter anzubieten, wenn es in der Woche wieder schlimme Dinge zu bewältigen gab.

Genauso gut kann ich mir Julia nackt, nur mit einer Kittelschürze bekleidet, am Herd vorstellen, verführerisch mit dem Hintern wackelnd. Die Sünde pur.

Das und noch vieles mehr ist, was ich allgemein als das ‚Partnerding‘ bezeichne. Was eine respektvolle Beziehung auf Augenhöhe ausmacht, die geprägt ist, von gegenseitigem Geben und Nehmen.

Sex ist dabei nicht unwichtig, darf aber meiner Meinung nach, nicht die Hauptrolle einnehmen, wie es das bei Sandra

zu sein scheint.

In wenigen Augenblicken halte ich die Bilder in meinem Kopf gegeneinander, vergleiche sie, wäge ab. Ich spüre, wie Julias Augen auf mir ruhen, mich beobachten, erkennend, dass ich mit meinen Gedanken gerade ganz woanders bin.

Auf ihrer Stirn haben sich kleine Fältchen gebildet, weil sie nachdenklich die Haut zusammenzieht.

Es geht nicht, ich kann Julia nicht sagen, wie zerrissen ich innerlich bin, wie sehr ich mich zu ihr hingezogen fühle,

obwohl doch Sandra die Herzdame meiner Wahl ist. Und doch erwische ich mich mehrmals am Tag, dass ich denke, die falsche Entscheidung getroffen zu haben.

„Alles in Ordnung Timo?“ Ihre Frage reißt mich aus meiner Gedankenwelt in die Realität zurück.

„Es ist nichts.“

„Du lügst und das mag ich gar nicht. Du hast kalten Schweiß auf der Stirn“, sieht sie mich mit verärgertem Blick an.

„Es ist nichts, ehrlich.“

„Dein Ernst? Ich bin zwar blond, aber nicht blöd. Mach das bitte nicht Timo, lüg mich nicht an. Mach nicht kaputt, was sich gerade so gut anfühlt. Ach Mist …“

„Ja genau, das ist es ja gerade“, sage ich laut, „…, weil es sich so schön anfühlt“, flüstere ich mit verlegenem Blick auf den Boden.

Wortlos zieht mich die Frau wieder an ihre Brust und umschlingt mich mit ihren Armen. „Dann lass es uns genießen, ok?“, haucht sie mir leise ins Ohr. Am liebsten würde ich sie nicht wieder loslassen und sofort mit nach Hause nehmen. Aber die Ärzte wollen sie noch eine Nacht beobachten.

Ich sehe einer schönen, gemeinsamen Zeit entgegen und freue mich auf sie. „Ich muss dann ein Langzeit-EKG tragen“, verrät sie. „Dachte ich mir schon“, antworte ich träge.

„Ach man Timo, nun hör mal auf mit dem Trübsal blasen. Ok, wenn es dir damit besser geht: Ja, ich mag dich auch gut leiden. Glaube mir, der Herrgott fügt zusammen, was zusammen gehört. Wenn es Sandra ist, die für dich bestimmt ist, dann wird alles gut. Und wenn nicht, dann passt ein anderer Deckel auf deinen Topf, ich weiß das genau.“

„Ich kenne den Deckel schon“, rutscht mir so raus.

„Wie bitte?“

„Nichts!“

„Geht das schon wieder los? Du kommst gleich übers Knie gelegt, mein Lieber“, droht sie mir mit flacher Hand.

„Ja, schon gut. Es ist … in deiner Nähe kann ich nicht klar denken. Deine Geschichte, dein Leid, deine Rettung, die Kinder … deine Art, deine Ruhe, Kraft, Stärke … ich fühle etwas, das kenne ich schon lange nicht mehr. Ein unsichtbares Band.“

„Ist das wahr? Weißt du, es ist komisch, aber seit ich deine Hände auf meinem Herzen gespürt habe, bei der Wiederbelebung, deine Stimme gehört und dich zum ersten Mal gesehen habe, geht es mir genauso. Wenn du die Tür aufmachst, macht mein Herz einen kleinen Hüpfer.“ 

„Und was machen wir jetzt mit diesen Informationen?“

„Damit leben und uns freuen, wenn wir uns sehen. Ich für meinen Teil, werde jede Minute mit dir genießen, so viel ist klar. Mit, aber vor allem ohne Sandra“

„Ja … mit oder ohne Sandra“, wiederhole ich leise, „wir müssen dann auch los, dein Zimmer noch startklar machen.

Wir sind dann morgen pünktlich wieder hier.“

„Das ist schön, ich bin jetzt auch müde. Und Timo? Du sollst wissen, du wirst immer einen besonderen Platz in meinem Herzen haben.“ 

Ich nicke freundlich, mehr geht nicht. „Kommt Kinder, wir müssen los, damit wir das Zimmer eurer Omi noch hübsch machen können.“

Freudig springen sie vom Bett, wo sie doch zunehmend gelangweilt gesessen haben und schlüpfen in ihre Jacken. Eine kurze Umarmung von Julia, dann drängen sie schon Richtung Tür. Und trotzdem lasse ich es mir nicht nehmen, Julia zur Verabschiedung kurz zu knuddeln.

„Mein Held“, flüstert sie und streicht mir mit ihren Fingern sanft über die Wange. Ein letzter Blick, ein kurzes „bis Morgen“, dann sind wir weg. Jetzt ist es an den Kindern, mich von Sandra und Julia abzulenken.

Auf dem Heimweg halte ich noch kurz an einem Geschäft für Bürobedarf. Ich brauche Wachsmalkreide und Schnur, eine Girlande und vielleicht noch ein paar Filzstifte in unterschiedlichen Stärken und Farben.

Mein Plan ist, eine große ‚Herzlich Willkommen-Girlande‘ zu basteln, die von den Kindern hübsch ausgemalt wird. Julia soll sich gleich wie zu Hause fühlen, wenn sie morgen den Flur betritt. Keine Frage, dass Emma und Peter von der Idee begeistert sind.

Peinlich genau achten sie darauf, nicht über die Linien zu malen und suchen sorgfältig die Farben aus. Julia wird sich freuen, denn wenn die beiden so weiter machen, entsteht eine farbenprächtige Willkommensbotschaft. Auf jeden Fall sind sie damit eine ganze Weile beschäftigt, während ich mich um das Gästezimmer kümmere.

Ich werde Sandras Sachen aus dem Zimmer räumen müssen, zumindest ein wenig aufräumen, damit Julia das Bett

nutzen kann. Es ist das letzte freie Zimmer, dann bin ich komplett ausgebucht. Am besten ist, wenn ich Sandra kurz anrufe um sie zu fragen, was sie am dringendsten braucht. Ein Teil ihrer Kleidung passt noch in meinen Schrank, Unterwäsche und etwas Oberbekleidung, aber der Rest muss so gelagert werden, dass sie problemlos drankommt.

Bei WhatsApp ist sie schon mal online. Mal wieder, oder immer noch, ich weiß es nicht. Immer mehr wird mir bewußt, dass ich so gut wie nichts von Sandra’s Privatleben weiß. Ihre Schwester kenne ich, aber sonst niemanden aus ihrem Dunstkreis. Niemand anderen aus ihrer Familie, nur den einen Kollegen und Franjo, wobei, den auch nur dem Namen nach. Aber sonst weiß ich nichts, wie groß ist ihr Freundeskreis, mehr Jungs oder mehr Mädchen, hat sie noch viele Kontakte von der Polizeischule?

„Hallo Sandra mein Schatz. Ich muss das Gästezimmer für Julia vorbereiten, ist etwas davon besonders wichtig, wo du schnell dran musst?“

Ich sehe, dass sie online ist. Aber die blauen Haken als Bestätigung, dass sie meine Nachricht gelesen hat, bekomme ich nicht. Wäre ja auch zu schön gewesen, dann eben nicht. Sie wird sich mit meiner Ordnung abfinden müssen, oder es selbst umräumen, wenn sie wieder zu Hause ist. Es ärgert mich, dass sie nicht antwortet. Meine Nachricht muss doch kurz eingeblendet worden sein, so wie es auch bei meinem Handy ist. Der Ärger baut sich langsam aber sicher zu einer Wut auf. „Verdirb es dir nicht mit mir Sandra, du bist kurz davor.“, denke ich, während ich die Kartons in eine leere Ecke räume. Viel scheint nicht verpackt zu sein, denn die Pappschachteln sind leicht. Hat sie keine Bücher? Das bisschen kann längst nicht ihre gesamte Habe sein.

Ganze neun Minuten braucht sie, um mir „Nein, nichts, nur meine Klamotten.“, zu schicken. Kein „Hallo“, kein „lieb, dass du fragst“, kein „ich liebe dich“. Komisch. Nur das „Nein, nichts …“, was mich nur noch wütender macht.

Na gut, dann gibt es heute keinen Anruf mehr, um eine gute Nacht zu wünschen. Ich bin ziemlich sauer auf Sandra und wirklich vermissen, tue ich sie auch nicht.

Im Grunde bin ich sogar froh, dass meine Hoden heute Pause haben. Wäre sie hier, müsste ich mindestens einmal am Tag mit ihr schlafen. Wie war das noch, ‚wenigstens einmal in der Woche?‘. War es nicht das, was sie von Franjo erwartet hatte? Dass ich nicht lache, mir jedenfalls scheint sie unersättlich zu sein und hängt mir ständig an den Eiern.

Na ja, sie ist eben eine junge Frau mit Bedürfnissen, die gestillt werden wollen. Als ich noch jünger war, konnte ich auch nicht genug Sex bekommen. Und neben den Freundinnen musste noch PornHub mit seinen kleinen Filmchen herhalten, um auch noch den letzten Rest Saft ins Handtuch zu befördern, bevor der Trieb gestillt war.

Natürlich törnt mich ihr Körper an, natürlich poliert es mein Ego, dass mich so eine junge, verdammt hübsche Frau begehrt, aber etwas ruhiger wäre auch nicht schlecht.

So, noch schnell das Laken etwas strammer gezogen, die Decke hübsch zurechtgelegt und ein Ferrero Küsschen auf das Kopfkissen. Fertig, Julia kann kommen ...

Die Kinder sind es auch, mit der Girlande meine ich. Sie haben sich wirklich Mühe gegeben. Die Buchstaben hübsch ausgemalt und mit kleinen Blümchen verziert. Die Geschwister krabbeln um das Gemälde herum und finden immer neue Stellen, wo noch Kleinigkeiten verbessert werden müssen.

Ich knie mich neben sie und betrachte das Werk. Ehrlich gesagt, bin ich ziemlich überwältigt davon, mit wie viel Geschick sie aus dem Papier eine wirklich schöne Sache gezaubert haben. Emma kommt zu mir, strahlt süß wie ein Honigkuchenpferd über alle Wangen. Sie wedelt mit einem Blatt vor meiner Nase herum. „Sieh mal“, sagt sie, „hab ich für Omi gemalt.“

Es ist die unvollkommene, aber künstlerisch wertvolle Arbeit eines kleinen Mädchens, dass mit den Stiften ihre Wünsche ausgedrückt hat. Es ist sehr abstrakt, aber ich erkenne sofort ein Haus, einen Garten mit einem Pool, einem Mann, einer Frau und zwei Kindern. Ich brauche nicht mal sehr viel Fantasie dazu.

„Das ist ja wunderschön Engelchen, was hast du denn da tolles gemalt?“

„Das ist dein Haus und dein Pool, das ist Omi, das sind Peter und ich und du natürlich. Erkennst du das denn nicht?“ 

Fragt sie mich enttäuscht.

„Doch natürlich erkenne ich das. Ich wollte es nur noch mal von dir bestätigt haben, dass ich mich auch nicht verguckt habe. Das hast du prima gemacht, da wird Omi sich aber freuen. Hast du denn auch was gemalt Peter?“

Nein“, sagt er enttäuscht, „ich wollte auch Familie malen, aber das hat Emma ja nun schon gemacht.“

„Das macht nichts, dann kaufen wir morgen früh noch ein paar hübsche Blumen und die kannst du ihr dann geben, ist das ok?“

Sofort hellt sich auch seine Miene wieder auf. „Danke Onkel Timo, das wird eine super Überraschung.“

„Dann helft mir mal, eure tolle Girlande in den Flur zu hängen.“ 

Ein paar Minuten später ist der Flur fertig. Das breite Banner, mit den bunten Buchstaben, ist nicht zu übersehen. Julia wird sich ein wenig bücken müssen, um darunter hindurchzukommen. Wenn sie ist, wie ich sie einschätze, wird sie zu Tränen gerührt sein.

Den Abend runden wir mit ein paar schnell gekochten Spaghetti und einer kurzen Session vor dem Fernseher ab, bis es dann für die Mäuse in die Federn geht.

Später, ich liege auch schon im Bett, vibriert mein Handy. Julia. Gedankenübertragung? Ich war auch drauf und dran, sie anzurufen, weil ich sehr gern ihre Stimme vor dem Einschlafen gehört hätte.

„Ich freue mich so riesig auf euch.“, schreibt sie, „endlich aus dem blöden Bett raus, weg aus dem sterilen Zimmer. Ich bin gespannt wie ein Flitzebogen auf dein Haus und den Garten.“ 

„Noch einmal schlafen, dann hast du‘s ja geschafft. Wir freuen uns auch auf dich. Es ist alles vorbereitet und wartet nur auf dich. Nun schlaf gut und träum was Schönes.“, schreibe ich zurück.

„Am liebsten von dir, gute Nacht.“, antwortet sie mit einem ‚Kuss Emoji‘ geschmückt.

Meine Nachricht an Sandra fällt etwas nüchterner aus: „Na Süße, fertig geschrieben? Du warst ja schwer beschäftigt. Werde schnell wieder gesund. Küsschen.“

Dann lege ich das Telefon weg, drehe mich auf die Seite und entschwinde langsam in eine Traumwelt, in der ich immer wieder Bilder von Julia und vom Tag sehe. Sie hat einen tiefen, bleibenden Eindruck hinterlassen.

VIII. Die Nacht war ‚traumhaft‘ schön. Ich hatte Sex mit Julia, wunderschönen, gefühlvollen, intensiven Sex. Sinnlich und hocherotisch, so wie ich ihn mir wünsche. Leider bin ich aufgewacht, natürlich viel zu früh, als mein Betthäschen einen Orgasmus erlebt hatte und mich von ihrem Lustschrei aufschrecken ließ.

Nun ist es beileibe nicht das erste Mal, dass ich mit einer starken Morgenlatte aufwache. Aber was zwischen meinen Beinen steht, ist weder eine ‚normale‘ Morgenlatte, wie sie wohl jeder Mann kennt, noch ist es eine Wasserlatte.

Nein, ich bin hochgradig erregt, geil, wie man so schön sagt. Nur bin ich aus dem Alter raus, in dem man sich einfach einen runterholt, damit der Druck weggeht. Im Gegenteil, ich genieße das süße Gefühl in meinen Hoden, das starke Pulsieren meines Blutes, das meine Schwellkörper fast schmerzhaft zu einem langen, imposanten Schwanz aufbläht und meine pralle Eichel dunkelrot färbt.

Kann mir mal jemand erklären, warum Julias Anziehungskraft dermaßen stark auf mich wirkt? Ich sehne mich nach jedem Kontakt, ihrer Nähe, nach jedem Wort, dem Klang ihrer Stimme, jeder Berührung von ihr und sogar nach ihrem Geruch. Nicht nur jetzt, weil ich mit einem mordsmäßigem Ständer zu kämpfen habe, sondern eigentlich oft. Viel zu oft, weil ich doch mit Sandra zusammen bin. Aber bin ich das wirklich? Ja ok, wir haben uns gesagt, dass wir uns lieben und gehen miteinander ins Bett. Aber reicht das aus, um aus uns ein Paar zu machen?

Und Julia? Wir sind definitiv kein Paar und trotzdem habe ich das Gefühl, mich verbindet mehr mit ihr, als mit Sandra. Ich muss ins Bad, duschen, am besten ziemlich kalt, damit dieser beinharte Knochen hoffentlich bald in sich zusammenfällt. Erfahrungsgemäß helfen dabei kaltes Wasser und ein paar abschweifende Gedanken.

Mit wippendem Schwert muss ich warten, bis sich die Wassertemperatur eingeregelt hat, bevor ich gut gelaunt unter das seicht rieselnde Wasser gehen kann. Mein Plan für heute Morgen steht mindestens genauso fest, wie mein Freudenspender von mir ab.

Jeans, ein leichtes Sommerhemd, ein paar Sneakers und ein leckerer Herrenduft sind der perfekte Tagesstart. Ich muss mich beeilen. Bevor die Kinder aufwachen, möchte ich schon mal frische Brötchen und Croissants holen, den Tisch decken. Die Frühstückseier mache ich dann, wenn Julia an unserem Tisch sitzt. Der Plan geht schon mal auf.

Dann, zwei Nachrichten auf dem Handy. Eine von Sandra, dass sie mich vermisst und ihr das Krankenhaus auf die Nerven geht. Wenigstens hat sie zwei supersüße Emojis angefügt. Eigentlich fehlt ihr ja nichts, deswegen leuchtet mir voll ein, dass ihr das Rumliegen gegen den Strich geht. „Ich besuche dich heute Nachmittag“, schreibe ich zurück, „ich vermisse dich auch.“

Die zweite Nachricht ist von Julia. Sie kann es kaum noch erwarten, ist schon ganz aufgeregt und, dass es bei etwa 10 Uhr bleibt.

„Ich bin mindestens so aufgeregt wie du und schon sehr gespannt, wie es dir bei mir gefällt. Wir können nachher gemütlich frühstücken. Ich bin pünktlich.“

„Frühstücken? Super, den Mist hier kann ich nicht mehr sehen. Ich trinke übrigens gern schwarzen Tee. Bis nachher.“

Gut, dass ich noch keinen Kaffee gekocht habe, dass wäre gründlich schief gegangen. Ich werd’s mir auf jeden Fall merken.

Völlig verschlafen, mit noch ganz kleinen Knopfaugen, kommen Peter und Emma in die Küche. Emma trägt ein knielanges Nachthemd und Peter einen leichten Pyjama. Ganz niedlich, wie sie sich an den Händchen halten.

Emma gähnt mit weit aufgerissenem Mund und streckt ihren freien Arm dabei weit nach hinten. Ich hocke mich hin und strecke ihnen meine Arme entgegen. Ein paar schnelle Schritte reichen, bis sie mir freudig um den Hals fallen.

„Dann schnell ins Bad mit euch und anziehen. Wir frühstücken nachher, wenn wir Julia aus dem Krankenhaus abgeholt haben, ok?“

Der Satz war, als hätte man bei den Zwergen eine Rakete gezündet. Ihre nackten Füße klatschen über die Fliesen, die Treppe hinauf. Ich stehe einen Moment verträumt am Türrahmen und lausche den beiden hinterher. Fröhliches Gekicher und melodisches Wassergurgeln kommt von oben, was mir ein verzücktes Lächeln auf die Lippen zwingt.

Wenn ich könnte, wie ich wollte, ich würde sie niemals wieder hergeben. Aber, es sind nun mal nicht meine Kinder.

Emma und Peter sind Paradebeispiele für gut erzogene Kinder. Ich höre sie selten streiten, sie sind immer freundlich, besonders zu fremden Menschen und fast immer brav. Eigentlich so gar nicht kindgerecht-typisch für ihr Alter. Wenn ich mir welche backen könnte, ich würde sie 1:1 genauso machen.

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Der Frühstückstisch ist fertig und der Blumenstrauß für Julia ist ein frisch-duftendes Potpourri bunter Frühlingsblumen mit einer einzigen roten Rose mittendrin.

Viel zu früh stehen wir vor dem Krankenzimmer von Julia. Wir müssen noch draußen bleiben, weil die Visite gerade noch läuft und danach das Langzeit-EKG bei ihr angelegt wird. Es gebietet schon der Anstand und der Respekt ihrer Privatsphäre, dass wir nicht im Zimmer sind. Vom Arztgeheimnis ganz zu schweigen.

Dann endlich geht die Tür auf und eine Horde von Weißkitteln strömt auf den Flur. Einer der Ärzte kommt auf mich zu: „Herr Schüttler? Passen Sie gut auf sie auf. Sie gehört jetzt Ihnen.“ Damit verschwindet er wieder in der Gruppe und im nächsten Krankenzimmer. „… Sie gehört Ihnen… schön wärs.“

Langsam schiebe ich die Kinder vor mir ins Zimmer. Julia steht vorm Bett und strahlt uns an. Die Jeans umschmeichelt ihren Po und die Bluse legt sich zart um ihre schmale Hüfte. Ich wage mir gar nicht auszumalen, wie es wohl darunter aussieht.

Sie kniet sich auf den kalten Linoleumboden, zerrt die Kinder an sich und übersäht ihre Gesichter mit Küsschen.

„Guten Morgen meine Schätze“, höre ich sie flüstern. Dann steht sie auf, kommt auf mich zu und bleibt dicht vor mir stehen. „Guten Morgen mein Held.“ Dann drückt sie sich auf die Zehenspitzen und küsst mich auf den Mund.

Völlig überrumpelt sehe ich sie an. Meine Lippen formen lautlose Worte. Dann lege ich zwei Fingerspitzen auf die Stelle, auf der eben noch ihre Lippen gewesen sind. Als würde ich dort etwas ertasten können, was dieses schöne Gefühl auf den Lippen auslöst. Mit weit offenen Augen sehe ich sie an. Sehe, wie sie langsam rot wird. Eine erwachsene Frau, wie süß.

„Bitte entschuldige, da sind vor Freude wohl die Pferde mit mir durchgegangen.“ Verschämt sieht sie wie ein kleines

unschuldiges Mädchen auf den Boden vor sich.Nur einen halben Schritt brauche ich, um wieder ganz dicht vor ihr zu stehen. Noch dichter als eben. Klammheimlich schleicht sich meine Hand hinter ihren Nacken und die andere legt sich unter ihr Kinn. Ich zwinge sie mich anzusehen.

Mit einem Zeigefinger unter ihrem Kinn und meinem Daumen auf ihrer Kinnspitze, ziehe ich ihren Mund zu mir. Endlos langsam, ich spüre ihren warmen Atem, der nach frischem Pfefferminz riecht.

Sie will zurückweichen, doch meine Hand verhindert das und legt sich sanft an ihren Hinterkopf. Mit seichtem Druck bildet sie nun eine unüberwindbare Hürde und schiebt ihren Kopf wieder zu mir, bis sich unsere Nasenspitzen berühren. Ich bekomme Gänsehaut. Sie ist verwirrt, das spüre ich, unschlüssig, ob sie mich wegstoßen soll. Ihr Körper ist steif, beugt sich leicht zurück aber mein Mund folgt ihr.

Als ich meine Lippen fest auf ihre lege, drücken ihre Hände gegen meine Schultern. Zumindest möchte sie den Schein eines Widerstandes wahren. Schließlich ist sie nicht so eine.

Unser Kuss ist sanft und unsere Lippen öffnen sich. Erst nur ein ganz klein wenig. Die Zungenspitzen berühren sich und kleine Stromstöße jagen durch meinen Kiefer.

Ihre Hände streichen an meinen Seiten entlang und bleiben auf meinen Hüften liegen. Meine Finger fahren über die kleinen Knochen ihrer Wirbelsäule und finden kurz über ihrem Po etwas Halt.

Sie fügt sich ihrem unausweichlichen Schicksal, der Körper verliert die Spannung, wird locker und schmiegt sich weich an mich, genießt den Moment, den ich fast mit zärtlichem Nachdruck erzwungen habe. Schon als ich vor ihr stand, war uns beiden klar, dass das passieren würde. Aber, dass es so unvergleichlich sein könnte, hätte ich nie gedacht.

„Du bist gemein, eine herzkranke Frau so schön zu küssen“, flüstert sie, als wir uns voneinander gelöst haben.

„Das war die Rache für den Kuss zur Begrüßung.“

„Das war keine Rache, das war ein Mordversuch. Mein Gott Timo, wo lernt man denn so unglaublich zu küssen? Jetzt kann ich Sandra verstehen.“

„Du hast damit angefangen. Aber jetzt laß uns fahren, wir haben einen Bärenhunger.“

„Ja mein Retter, bring die Beute in deine Höhle.“, lacht sie.

Selbstverständlich trage ich ihre Reisetasche. Sie sieht mich von der Seite an und lächelt, hakt sich unter meinen Arm, den ich ihr anbiete. Zusammen gehen wir aus dem Zimmer, ein letzter Blick zurück. Sie hat feuchte Augen, zu viele Erinnerungen hängen an diesem Raum. Dramatische am Anfang und schöne zum Schluß. Kurz lehnt sie ihren Kopf an meine Schulter, dann schiebe ich sie an der Hüfte hinaus auf den Krankenhausflur.

Fast verplappern sich die Kleinen auf der Rückfahrt, von wegen Überraschung und so. Über die Blumen hat sie sich schon sichtlich gefreut, was wird das erst, wenn ich ihr meinen Schlüssel für die Haustür überreiche und sie vor der selbstgemachten Girlande steht.

Überhaupt ist es die erste Situation, in der ich die Geschwister als kleine Quälgeister erlebe. Sie fragen und reden durcheinander und bombardieren ihre Omi: …geht es dir wieder richtig gut … musst du wieder ins Krankenhaus … bleiben wir jetzt immer bei Onkel Timo … wird Onkel Timo jetzt unser neuer Papa … und, und, und.

Julia behält ausgeglichen ihre stoische Ruhe. Sie sieht kurz zu mir rüber und murmelt etwas wie „lass sie“. Dabei legt sie beruhigend ihre Hand auf meinen Unterarm.

Dann dreht sie sich zu Emma und Peter um und sagt: „Nun beruhigt euch mal wieder. Mir geht es gut und wenn ihr mich nicht so dolle ärgert, bleibt das auch so. Wir können nur nicht mehr so wild toben, wie wir es sonst getan haben.

Jetzt machen wir erstmal Urlaub bei Timo und dann sehen wir weiter.“

Sie sagt das mit einer unfassbaren Ruhe in der Stimme. Und trotzdem erkennen die Geschwister den Ernst in ihrer Ansage und sind augenblicklich ruhiger. Es muss ihre Körperhaltung und die Betonung ihrer Worte sein, die das bewirken. Von dieser Frau geht eine unglaubliche Faszination aus. Ich fasse einen Entschluss …!

Schon beim Aussteigen aus dem Auto sieht sich Julia aufmerksam um. Lächelt und nickt zufrieden. „Hübsch“, sagt sie leise, als sie die wenigen Schritte zur Eingangstür geht. Ich spüre ihre Aufregung, die sich von den Kindern auf sie übertragen hat. Schon ganz hibbelig hüpfen sie auf einer Stelle herum und klatschen in die Hände.

Julia, dieser stolzen Frau, überreiche ich symbolisch den Schlüssel zum Eingang in ihr neues Reich, zumindest für die nächste Zeit. Sie sieht mich lieb an, streicht kurz über meine Wange und dreht vorsichtig den Schlüssel, der die

Sperrriegel bereitwillig freigibt.

Mit leichtem Schwung gleitet die Tür auf und gibt den Blick auf den Flur frei. Überwältigt reißt Julia die Augen auf und

schlägt die Hände vor den Mund. Weinend dreht sie sich zu mir und lehnt sich an meine Brust.

Danke, auch für die Blumen“, flüstert sie. Dann hockt sie sich vor das Geschwisterpaar und nimmt sie lange in den Arm. „Ihr zwei seit die wunderbarsten Geschöpfe, die der liebe Gott mir geschenkt hat. Das habt ihr ganz toll gemacht. Vielen Dank, ich liebe euch beide.“ 

Omi Berger muss sich tatsächlich leicht bücken, um die schmückende Barriere zu überwinden. Glücklich ziehen Emma und Peter die Frau mit sich, führen sie in ihre Zimmer und zeigen voller Stolz die neuen Spielzeuge und Anziehsachen.

Dann geht’s im Galopp in den Garten, raus auf die überdachte Terrasse, mit dem herrlichen Blick auf das satte Grün des Rasens und der hübsch angelegten Anlage. Raus zum Pool und zur Liegefläche mit den hölzernen Sonnenliegen.

Allein für die äußerst geschmackvolle Komposition aus Blumenbeeten, Büschen und Bäumen, muss ich Ulrike ewig dankbar sein.

Ulrike, die längst keinen festen Platz mehr in meinem Leben hat, mit der ich aber vor etwa drei Wochen zuletzt wilden Sex hatte. Wenn ich da schon gewusst hätte, dass es vermutlich das letzte Mal gewesen wäre, dann hätte ich es noch wilder mit ihr getrieben. Aber auch so war es wieder wie eine Gefühlsexplosion.

Julia lässt sich mit einem entspannten Seufzer auf eine der Liegen fallen. „Mein Gott ist das schön hier“, sagt sie, „wenn ich hier nicht entspannen und gesund werden kann, dann weiß ich es auch nicht mehr. Kein Vergleich zu dem Muff in meiner kleinen Bude.“

‚Du könntest für immer hier sein‘, denke ich so für mich und lege ihr eine Hand auf das Schlüsselbein, nach der sie sofort greift. Ihr Blick schweift über den Garten und eine einzelne Träne rollt ihre Wange herunter.

Ich hocke mich schräg hinter sie und wische mit meinem Daumen ihre Wange trocken. „Entspann dich Julia, alles wird gut. Ich bin für euch da. Und nun lass uns frühstücken, damit du groß und stark wirst.“

Ein tiefes Schluchzen erfasst ihren Körper. „Das bin ich schon, aber ich komme trotzdem gern mit.“, strahlt sie.

Habe ich schon mal geschrieben, wie ich mir ein harmonisches Familienleben vorstelle? Nein? Dann mache ich das jetzt auch nicht. Aber das, was ich am Frühstückstisch erleben durfte, kommt dem schon sehr nahe. Mit Sandra hier zu sitzen, zusammen mit den Kindern, war schon toll.

Aber jetzt hier mit Julia und den Kindern, ist nochmal eine ganze Klasse besser. Julia, Emma und Peter, sind ein eingespieltes, fröhliches Team, das merkt man sofort. Und jetzt, wo sie wieder alle zusammen sein können, erst recht.

Ich bin stolz darauf, in diese eingeschworene Gemeinschaft aufgenommen worden zu sein. Von den Kindern sowieso schon längst akzeptiert und lieb gewonnen, aber auch Julia fühlt sich sichtlich wohl. Die Küche ist erfüllt mit hellem Lachen und mit kleinen, gegenseitigen Stichelleien.

Anschließend ist Julia müde und legt sich zurück auf die Liege unter dem schützenden Dach, wo die Sonne für wohlige Wärme sorgt. Und trotzdem lege ich ihr eine weiche Wolldecke über die Beine und ihre Hüfte. Leicht eingedreht hat sie sich auf die Seite gelegt und ist unter meinen Blicken in wenigen Sekunden eingeschlafen.

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Gedichte auf den Leib geschrieben