Timo - Kapitel 10

Das Polarlicht

77 6-10 Minuten 0 Kommentare
Timo - Kapitel 10

Timo - Kapitel 10

Gero Hard

„Immer gern mein Schatz, dieses Album wird einen besonderen Platz bekommen. Und wir werden rechts und links davon eine Kerze aufstellen. Dann hast du sie immer in deiner Nähe und gleichzeitig einen Ort zum Trauern.“„Oh man Timo, das ist eine ganz tolle Idee. Wo warst du bloß so lange, warum habe ich dich nicht schon eher kennengelernt?“

„Schatz, es war einfach noch nicht unsere Zeit. Aber jetzt ist sie da. Nimm es als Zeichen, dass du jetzt das Album gefunden hast und dass du von der Erscheinung deines Mannes träumst. Du hast ja selbst gesagt, dass er losgelassen hat. Ich glaube, das, was jetzt vor uns liegt, das soll so sein. Es ist unser vorbestimmter Weg. Nimm ihn an, wie ich es tue, dann wird alles gut, glaube mir.“

Viel ist nicht mehr zusammengekommen. Vielleicht insgesamt 10 Umzugskartons mit den persönlichen Dingen. Die Kücheneinrichtung zum Beispiel, ist komplett in Julias Wohnung geblieben. Nur Dinge, die sie in meinem Haushalt vermisst, nimmt sie mit. Natürlich die komplette Bekleidung für sich und die Kinder, die restlichen Spielsachen und

sämtliche Hygieneartikel. Das war’s. Vier Mal müssen wir hin- und herfahren, bis alles bei uns im Haus ist.

Dann lasse ich sie allein, damit sie alles so einräumen kann, wie sie möchte. Ich brauche nicht lange, bis ich mit drei neuen Nachschlüsseln für meine Haustür ausgerüstet, wieder nach Hause komme.

Mein Julchen wirkt nachdenklich, ein wenig traurig wohl auch. Verständlich, wenn man bedenkt, dass ein langes Kapitel ihres Lebens mit ziemlicher Sicherheit heute ein Ende gefunden hat.

Ich nehme sie von hinten in meine Arme. Sie liebt das, wie wahrscheinlich jede Frau auf dieser Erde das liebt. Aber für sie ist das immer ein besonders inniger Moment, den sie ausgiebig genießt. Ihre Hände fassen nach meinen und unsere Arme bilden einen unüberwindbaren Schutz um sie herum, in denen sie sich komplett fallen lassen kann. Über ihre Schulter hinweg sieht sie mich an.

„Da sind wir nun. Es ist ein komisches Gefühl, alles hinter mir zu lassen. So neu, alles beginnt von vorn, verstehst du? Es ist, als würde ich ein neues Leben beginnen. Timo, ich habe Angst davor. Wir kennen uns erst ein paar Tage. Und die waren wunderschön, aber was, wenn es uns so geht, wie es dir mit Sandra ergangen ist?“

„Heißt das, du willst mich auch verarschen und dir nebenbei einen anderen suchen, Julia?“

„Niemals, um Himmels Willen, nein, das nicht. Aber was, wenn es doch nicht passt zwischen uns.“

„Schatz, wenn es wirklich so sein sollte, was ich nicht glauben mag, dann werden wir auch dafür eine Lösung finden. In dem Fall wird es wahrscheinlich das Beste sein, wenn du dann in deine Wohnung zurück gehst. Aber ein Gefühl sagt mir, dass das nicht passieren wird.“

„Dann haben wir das gleiche Gefühl. Ich weiß, dass es das Richtige ist, hier mit dir einen Neuanfang zu wagen. Und glaub mir, ich bin da sicher nicht leichtfertig.“

„Dann sei jetzt bitte nicht mehr traurig. Wir lieben uns, die Kinder lieben uns, es ist doch alles in bester Ordnung.“

„Du hast ja recht Liebling.“

Die Kinder sind völlig aus dem Häuschen, sie räumen sogar ganz allein ihre Zimmer auf, das haben sie der Omi versprochen. Und auch Julias Sachen verschwinden in den Schränken und Kommoden.

Völlig erledigt lassen wir uns zusammen auf das Sofa fallen. Wo sich Julia gleich lang ausstreckt, die Augen schließt und sich ihre Hände auf den Bauch legt. „Hast du eigentlich eine Wärmflasche im Haus? Ich habe Unterleibsschmerzen. Geht vermutlich heute noch los mit dem roten Mist.“

„Ja, die hab ich, im Bad, im Schrank unterm Waschbecken.“

„Machst du mir eine, Liebling, bitte?“ Wer zur Hölle könnte diesem Blick widerstehen. Mir könnten nach einem anstrengenden Tag die Füße abfallen und trotzdem würde ich ihr eine Wärmflasche machen. Ich würde ihr meine warme Hand auf den Bauch legen, sie massieren, ihr Schmerztabletten besorgen. Kurz, ich würde alles für sie tun, damit sie keine Schmerzen ertragen müsste.

Den Rest des Tages lassen wir es ruhig angehen. Gemütliches Abendessen, etwas kuscheln, ein bisschen Kartenspielen, bis es Zeit fürs Bett ist.

----

Julia geht es nicht besonders. Ihre Unterleibsschmerzen fallen dieses Mal besonders schlimm aus. Ob das vom Sex nach so langer Zeit kommt oder von den Orgasmen, auf die sie so lange verzichten musste?

Entsprechend unruhig ist ihr Schlaf und wenig erholsam. Müde sieht sie mich an, als ich mich aus dem Bett schäle.

„Ich bring dir gleich noch eine Wärmflasche und eine Tablette. Möchtest du einen Tee, mein Schatz?“

„Ja, das wäre ganz lieb, darf ich noch liegenbleiben?“

„Natürlich, ich kümmere mich um die kleinen Geister. Versuch noch ein bisschen zu schlafen.“ 

Auf dem Flur kommt mir Peter entgegen, der gerade aus dem Bad kommt und nun auf dem Weg in unser Schlafzimmer ist. „Julia geht es nicht gut, wir sollten sie heute länger schlafen lassen.“

„Das Herz?“, fragt er ängstlich.

„Nein, sie hat ziemlich Bauchweh.“

„Ach so, das kenne ich, hat sie jeden Monat. Mach dir keine Sorgen Timo, das wird wieder, ich weiß das“, antwortet er ziemlich altklug und mit einer wegwerfenden Handbewegung, „Wirst sehen, morgen oder übermorgen ist sie wieder ganz die alte“, lacht der Schlauberger.

„Mensch Peter, da bin ich aber froh, dass du dich so gut auskennst. Komm, lass uns Frühstück machen.“ Dabei lege ich ihm freundschaftlich meinen Arm um die Schultern und ziehe ihn mit mir.

Etwas später, die Wärmflasche ist fertig, die Schmerztablette, ein kleines Glas Wasser und der heiße Tee stehen auf einem Tablett. Leise öffne ich die Tür zu unserem Schlafzimmer. Julchen liegt seitlich mit angezogenen Beinen im Bett und schläft. Vorsichtig schiebe ich ihr die wärmende Flasche unter die Bettdecke. Langsam macht sie die Augen auf, lächelt mich liebevoll an und zieht den heißen Gummibeutel vor den Unterleib.

„Rest steht auf dem Nachtisch“, flüstere ich, gebe ihr einen Kuss auf die Stirn und will gerade gehen, als sie meine Hand nimmt: „Timo, danke, ich liebe dich. Und wenn was mit den Kindern ist, weckst du mich ja?“

„Ich liebe dich auch, mein Schatz und wenn was mit den Kindern ist, dann werde ich damit schon zurechtkommen.

Entspann dich.“

Emma will frisch und ausgeruht ins Zimmer stürmen, fast wäre sie mir dabei in die Beine gelaufen. Völlig verblüfft bleibt sie vor mir stehen: „Timo …äähhmm… entschuldige, ich wollte nur …!“

„Ich weiß genau, was du wolltest, mein Spatz, aber die Omi braucht heute etwas Ruhe, sie hat schlimmes Bauchweh.“

Ich kann sehen, dass sie etwas traurig darüber ist, heute mal keine Schmuseeinheiten zu bekommen. Vorsichtig schiebe ich sie aus der Tür, zurück auf den Flur, wo ich sie lieb in den Arm nehme und wo sie selbstverständlich ein dickes Küsschen von mir bekommt. ‚Diese eigene Welt der Frauen, auch du wirst sie noch erleben‘, denke ich, während ich sie auf den Arm nehme und mit nach unten trage.

Der Tag ist heute trübe. Dicke Wolken hängen tief und verkünden einen regnerischen Tag. Nichts mit Pool, Garten oder Ausflügen. Die Geschwister kennen das schon, holen sich ihre Spiel- und Malsachen aus den Zimmern und beschäftigen sich im Wohnzimmer. Ich darf meinen Fitzek weiterlesen.

Dass Julia sich die Treppe runtergequält hat, haben wir alle nicht mitbekommen. Vor Schmerzen gekrümmt, mit einer Hand vorm Bauch, stützt sie sich am Treppengeländer ab. „Es tut so weh, Timo. Kannst du mich zu Frau Dr. Bona fahren? Ich könnte auch selber …, aber die Schmerzen! Außerdem blute ich wie eine abgestochene Sau. Damit möchte ich nicht hinters Lenkrad. Sie ist meine Frauenärztin, schon seit Jahren, zu ihr habe ich Vertrauen.“

„Schatz, natürlich fahre ich dich. Lass uns eben anrufen.“

„Das hab ich eben schon, von oben. Sie hat eigentlich keinen Notdienst an diesem Mittwochnachmittag, aber sie erwartet mich trotzdem in einer Stunde in der Praxis.“ 

Sie schleppt sich wieder die Treppe nach oben. Julia tut mir leid, wie ein Häufchen Elend schiebt sie schwerfällig einen Fuß vor den anderen, kämpft sich ins Bad und verschwindet unter der Dusche.

15 Minuten später steht sie wieder unten bei uns, mit einem leichten Sommerkleid und flachen Riemchensandalen. Ihre Haare frisch gestylt, dennoch sieht sie müde aus, irgendwie abgekämpft, obwohl das sicher der falsche Ausdruck für ihre Erscheinung ist. Sie setzt sich zu mir auf die Couch, lässt sich aber sofort an mich fallen. Sanft ziehe ich sie in meinen Arm.

„So dolle hatte ich das schon ewig nicht mehr. Es tut so weh, verdammt.“

„Frau Doktor wird schon feststellen, was da los ist.“

„Hoffentlich ist es nichts Schlimmes. Erst das Herz, jetzt auch noch sowas.“

„Mach dich nicht verrückt Liebes. Wart’s doch erstmal ab.“

Wir haben noch etwas Zeit, bis es losgehen muss. Die Adresse von Frau Doktor habe ich schon gegoogelt, als Julchen unter der Dusche stand. Mit dem Auto ist es quasi um die Ecke, ein Katzensprung sozusagen.

Sie drückt sich ängstlich an mich. „Ich bin so froh, dass du da bist, es tut so gut, dich an meiner Seite zu wissen. Aber Schatz, zu der Ärztin geh ich allein rein, ja?“

„Na klar, ich muss doch die Rasselbande im Auto beruhigen.“

Das ist wieder einer der Momente, wo ich mächtig stolz auf die Geschwister bin. Sie sitzen brav auf dem Rücksitz, Peter spielt mit einem alten Gameboy und Emma führt tiefgründige Gespräche mit Nicole, ihrer Plastikfeundin. Ich bin aufgeregt und muss mich zwingen, nach außen genug Ruhe auszustrahlen, um die Kinder nicht unnötig zu beunruhigen.

Dabei trommle ich selbst nervös mit den Fingerkuppen auf dem Lenkrad herum, unpassend, denn mit dem Rhythmus der Musik hat das rein gar nichts zu tun. Wie schrecklich falsch sich das anhört. Und doch beruhigt es irgendwie die Neven, auf eine sehr eigentümliche Art zwar, aber es beruhigt. Bis ...

… bis mein Engel den schmalen Weg von der Eingangstür entlangkommt. Immer noch leicht gekrümmt vor Schmerzen, aber lange nicht mehr so schlimm wie noch vor einer halben Stunde. Vorsichtig lässt sie sich in den Autositz gleiten, beugt sich zu mir rüber und flüstert: „Kein Grund zur Sorge, die Innenseite der Vagina ist etwas gereizt, aber sonst ist alles in Ordnung. Sie meint, der eine oder andere Orgasmus könnte krampflösend wirken.“

„Na siehst du Schatz, alles ist gut. Du legst dich einfach viel hin und dann wird das schon.“

„Du Omi, was ist ein Orgasmus?“ Emma, mit ihren spitzen Ohren kriegt aber auch alles mit. Julchen und ich sehen uns an und müssen lachen. „Siehst du Schatz, es geht schon los mit der Aufklärung“, lächle ich meinen Engel an.

„Mein Spatz, das ist ein sehr schönes Gefühl, wenn sich zwei Menschen ganz doll lieb haben und sich ein bisschen streicheln, bis dieses Gefühl in einem aufsteigt. Dann kribbelt und kitzelt es überall in deinem Bauch. Manchmal wird einem sogar ein bisschen schwindelig, aber auf eine ganz schöne Art.“

„Kann ich das auch haben Omi?“

„Nein mein Spatz, dazu musst du noch ein paar Jahre warten. Du wirst ganz allein merken, wenn es soweit ist.“

„Ach so, schade.“

Zu Hause angekommen, hat sich Julia gleich ein kuscheliges Nest auf dem Sofa gebaut und es sich richtig schön

gemütlich gemacht. Mit einem etwas stärkeren Schmerzmittel, speziell für Frauenleiden, weiteren Wärmflaschen und einer liebevollen Fürsorge meinerseits, beruhigt sich ihr Unterleib einigermaßen schnell. Sie spielt sogar zeitweise wieder mit den Kindern auf dem Fußboden, kuschelt sich an mich und so wird der Tag dann trotz des schlechten

Wetters einigermaßen kurzweilig.

Klicke auf das Herz, wenn
Dir die Geschichte gefällt
Zugriffe gesamt: 3420

Sie müssen sich anmelden, um Kommentare hinzuzufügen.

Gedichte auf den Leib geschrieben