„Das ist Falk, mein Sohn, um deine zweite Frage zu beantworten.“
„Hallo Falk, ich bin Josie.“, grüßte ich den Jungen übertrieben freundlich und überspielte damit meine Überraschung.
Ich versuchte, meine Fassung wiederzubekommen. 'Papa', hatte der kleine Junge gesagt. Ich wusste ja nicht…, zuckersüß der Knirps, der noch immer am Hals seines Vaters hing.
„Ich liebe ihn wie nichts anderes auf der Welt!“, strahlte Chris mich an.
„Das heißt, du bist verheiratet und flirtest trotzdem seit einer Woche mit mir?“, flüsterte ich ihm, um Fassung ringend, zu.
„Das hast du gemerkt? Mist! Und nein, ich bin nicht verheiratet. Bitte, Josie, lass uns …!“
„Papa, ich habe heute ein ganz tolles Bild mit Franzi gemalt. Soll ich das mal holen …?“, und schon war er von Chris' Schoss gesprungen und rannte auf das Haus zu.
„Zum Thema zurück, Josie. Seine Mutter fühlte sich nicht reif genug eine Mutter zu sein und wollte ihn eigentlich abtreiben lassen. Ich konnte das nicht zulassen, keinesfalls mit meinem Gewissen vereinbaren. Er ist ein TroPi-Kind (Trotz Pille), ein Penicillinunfall, wie sie ihn abfälligerweise nannte. Ich versprach, mich um das Kind zu kümmern, sie trug es aus, brachte es zur Welt und verzichtete auf das Sorgerecht. Und nun ist Franzi für ihn das, was sie damals auch für mich war, seine Nanny. So viel zum Thema 'Erfahrungen'.
Weißt du Josie, er tut mir leid, ihm geht es genau wie mir damals! Seine Mutter ist weg und sein Vater hat selten Zeit für ihn. Dabei merke ich doch, wie sehr er eine Familie braucht, wie sehr er das Spielen, Kuscheln und Toben vermisst. Wenn ich am Wochenende mal zuhause bin, dann toben wir stundenlang auf dem Rasen und dann blüht er regelrecht auf. Er ist so lebhaft und steckt voller Bewegungsdrang. Für Franzi ist das oft zuviel, die gute Seele ist ja auch nicht mehr die Jüngste.“
Wir saßen lange zusammen, Franzi erzählte, wie es ihr erst mit Chris ergangen war, und wie sie sich jetzt mit Falk fühlte. Dass sie ihn ebenso wie seinen Vater liebte, war offensichtlich.
Aber auch Falk taute langsam auf und kletterte nach einer Weile unsicher auf meine Oberschenkel. Zögerlich, abwartend, ob denn wohl eine ablehnende Geste von mir käme, die natürlich ausblieb. Kinder sind etwas Wunderbares und wenn das mit Thomas anders gelaufen wäre, hätten wir sicher auch bald welche gehabt.
Es machte mir Spaß, mich mit Falk zu beschäftigen. Wir krabbelten auf dem Rasen herum, wobei ich ihn auf mir reiten ließ, spielten etwas Ball oder Fangen und Verstecken.
Falk kostete jede Sekunde mit seinem Papa aus, weil er ihn doch so selten sah. Der kleine Mann bestand sogar darauf, dass ich ihm einen Gute-Nacht-Kuss gab und auf der Terrasse eine kurze Geschichte vorlas, bevor er dann von Franziska ins Bett gebracht wurde.
„Da hast du dir aber ein kleines Männerherz angelacht.“, lächelte Chris versonnen, als wir alleine waren. „So laut und ausgelassen habe ich ihn lange nicht lachen hören.“
„Der ist doch total süß. Ein tolles Kind. Du kannst stolz auf ihn sein.“
„Das bin ich, glaub mir.“
„Chris, ich will ja nicht drängeln, Aber könntest du mich jetzt zur Firma fahren, damit ich mein Auto holen kann? Es ist spät und es war ein aufregender Tag.“
„Natürlich!“
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Zwei Tage später hatte Chris eine Firma beauftragt, die meine Möbel und meine Klamotten bei meinen Eltern abholten und die Sachen in der neuen Wohnung wieder aufbauten.
Ich hatte also wieder mein eigenes Reich und meine Selbstständigkeit zurück. Der letzte Schliff musste nach und nach erfolgen, dafür fehlte mir im Augenblick dann doch das Geld. Aber durch die schnelle Hilfe von Chris musste ich meine stille Reserve nicht anbrechen, und bald würde es ja auch schon das erste Gehalt geben. Dann war immer noch Zeit die Dinge zu besorgen, die mir jetzt noch an Nützlichem oder an Deko fehlten.
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Irgendwann hatte ich die ersten drei Wochen hinter mich gebracht. Meine Übersichten zu seinem Privatvermögen waren so weit fertig und die Controlling Tabellen für die Projekte hatte ich so weit vorbereitet, dass sie mit Daten gefüllt werden konnten. Die Höhe der Entnahmen erstaunten mich. Dazu hätte ich dann doch gern noch ein paar Auskünfte gehabt. Aber ging mich das etwas an, was er mit seinem Geld machte?
Ich hatte mir ein Post-It an den Monitor geklebt mit einem Stichwort, das mir unter den Nägeln brannte: 'Monaco?'
Der Ort war mir in seinen Versicherungs- und Bankunterlagen des Öfteren untergekommen. Aber keine Verträge, keine
Notizen, Hinweise … nichts, was mich einen Zusammenhang mit dem Ort knüpfen ließ.
Dieses und noch so manch anderes ließen mich daran zweifeln, ob ich denn alle Unterlagen von ihm bekommen hatte. Ich nahm mir fest vor, mit ihm bei passender Gelegenheit darüber zu reden.
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Meine vierte Woche begann damit, dass ich die Abteilungsleiter der einzelnen Bereiche abklapperte und mich dort über den Fortschritt der einzelnen Entwicklungen schlau machte. Chris hatte alle unmissverständlich angewiesen, mir vorbehaltlos Auskunft zu geben. Ich konnte den Herren ansehen, dass es ihnen nicht immer recht war, aber gegen den Chef kamen sie nicht an. Alle anderen Informationen holte ich mir von den Mädels der Buchhaltung, mit denen ich mich prima verstand. Beide waren etwas älter als ich, beide verheiratet, sogar glücklich, wie sie steif und fest behaupteten, und eine von ihnen hatte zwei Kinder, die schon gut auf sich selbst aufpassen konnten. Des Öfteren
machten wir zusammen Mittag oder trafen uns auch schon mal abends auf einen Absacker in einer Bar.
Ich war müde, schlief manche Nacht nicht, weil ich in Gedanken über den Zahlen brütete. Aber das war nicht meine einzige Baustelle im Kopf. Immer wieder geisterten mir Chris' Worte im Kopf herum, von wegen, er mag mich, mochte mich schon in der Schule, und ich sei die Schönste. Einerseits fühlte ich mich geschmeichelt, dass so ein Erfolgs- und stinkreicher Mann sich für mich interessierte. Mir den Hof machte, mir jeden Wunsch erfüllte, mir einen Traumjob und eine Traumwohnung beschaffte. Ich dachte darüber nach, wie ich mich ihm gegenüber bisher verhalten hatte und wie ich das in Zukunft halten wollte. Musste ich mir ein Fehlverhalten vorwerfen lassen? Bisher nicht, dachte ich, weil ich mich doch bislang immer anständig zurückgehalten hatte.
Andersherum, fühlte ich mich bedrängt und sollte vielleicht besser wieder das Feld räumen? Oder konnte ich sogar viel besser damit leben, als ER dachte. Seine Nähe störte mich nie, früher nicht und jetzt erst recht nicht, auch, wenn er mir so manches Mal ziemlich dicht auf die Pelle rückte.
Selbstverständlich bemerkte ich die Unterschiede, wie er mit mir, oder den anderen Kollegen der Chefetage sprach und fühlte mich entsprechend geschmeichelt.
Auch wenn die Abteilungsleiter ein wenig distanziert blieben, kam ich mit allen gut aus und bekam alle Informationen, die für meine Arbeit wichtig waren. Je mehr ich davon bekam, desto müder wurde ich. Halb 9 bis halb 5 war schon lange nicht mehr mein normaler Arbeitstag. Ok, mich trieb auch nichts nach Hause, aber oft wurden es 10-oder sogar 14-Stunden-Tage.
Chris entging das natürlich nicht und überraschte mich, wenn es mal wieder später wurde, mit einer bestellten Pizza, ein paar Nudeln oder etwas Leckerem vom Chinesen. Dann flegelten wir uns zusammen auf die Ledercouch in seinem Büro und benahmen uns wie ein Paar, das sich schon eine Weile kannte. Es fühlte sich gut an, auf eine Weise, wie ich sie seit Thomas nicht mehr kannte. Mir war bis dahin nicht klar, dass ich es überhaupt vermisst hatte. Wie sehr aber doch, wurde mir in solchen Momenten bewusst.
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Ich begann langsam wieder zu leben an. Die Lohnzahlung und die eigene Wohnung ließen mich wieder durchatmen. Traute mich abends wieder raus, traf mich mit alten Freunden und versuchte die, die ich durch meine dumme Aktion mit dem Dreier verloren hatte, wieder für mich zu gewinnen. Bei ein paar wenigen gelang das, bei anderen wieder nicht. 'So what', wer nicht will, der hat schon.
Es war Freitag und ich machte drei Kreuze, als ich meine Bürotür hinter mir zumachen konnte. Die Woche war ok und hatte mich ein gutes Stück weiter nach vorne gebracht.
Kurz vor vier kam Chris rein, um sich ins Wochenende zu verabschieden. Aber auch, um mir für meine Arbeitsergebnisse und meinen Einsatz zu danken. Es sei nicht selbstverständlich, dass seine Mitarbeiter freiwillig Überstunden machen würden, ohne gleich um Geld zu betteln. Er drückte mich kurz an sich und verwöhnte mich mit einem vorsichtigen Küsschen auf die Wange und einem kleinen Sträußchen frischer Blumen.
Ich musste ihn einfach anlächeln und hatte meine Hände auf seine Oberarme gelegt, während ich ihm ein schönes Wochenende wünschte und ihn bat, Falk meine ganz lieben Grüße auszurichten.
„Er fragt jeden Tag nach dir.“, verriet mir Chris.
„Der ist aber auch ein ganz Süßer. Wie alt ist der kleine Mann eigentlich?“
„Fünf, vor drei Monaten geworden.“
„Dann ist er bald schon ein großer Mann.“
„Der Größte, behauptet er immer, wenn man ihm sagt, dass er ja schon bald groß ist.“
„Niedlich, wirklich. Ich mag ihn.“
„Er dich auch, soviel steht fest. Komm uns doch mal wieder besuchen.“
„Ich kann doch nicht einfach so zu euch kommen.“
„Wieso nicht, wo ist das Problem?“
„Das Gerede, Chris! Wenn Franzi sich mal bei den Kollegen verplappert, wie stehen wir dann da?“
„Das interessiert mich einen Scheiss, echt! Das geht nur dich und mich was an. Alle anderen können mich mal da lecken, wo auch tagsüber kein Licht hinscheint.“
„Chris, so kannst du das doch nicht sagen!“
„Kann ich, und mach ich! Und ich sage das jedem direkt ins Gesicht, der es hören will.“
„Wo ist nur der schüchterne, zurückhaltende Christian von früher geblieben?“
„Willst du den lieber?“
„Auf keinen Fall! So gefällst du mir viel besser!“
„Ich gefalle dir?“
„Na klar! Ich habe noch nicht viele Männer wie dich kennengelernt. Auch als Chef bist du sowieso einzigartig. Aber
bitte, können wir das Thema beenden? Es ist mir peinlich. Außerdem muss ich noch einkaufen. Ist das ok, wenn ich jetzt fahre?“
„Natürlich. Hau schon ab!“, grinste er freundlich und gab mir einen kleinen Klaps auf den Po.
Einem unwiderstehlichen Trieb folgend, drückte ich ihm noch ein Küsschen auf die Wange, murmelte ein leises
„Danke“ und schob mich an ihm vorbei, ins wohlverdiente Wochenende.
****
Das dicke Frotteehandtuch hatte ich mir nach der erholsamen Dusche umgelegt und das Ende zwischen meinen Brüsten hinter den Umschlag gestopft. So stand ich vor dem breiten Spiegel, betrachtete prüfend, ob ich erste Falten im Gesicht finden würde und fuhr mit den Fingern durch meine tropfnassen Haare.
Ich erwartete heute niemanden mehr und hatte mir überlegt, auf der Couch einen gemütlichen Abend zu verbringen. Ohne störende Moppelschnalle um meine Möpse oder einengende Unterwäsche, im Zweifel sogar nur mit diesem herrlichen Handtuch um meinen, ansonsten nackten, Körper. Was konnte es Schöneres geben, frei von allen Zwängen zu entspannen?
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