Träume ich?

Josie

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Träume ich?

Träume ich?

Gero Hard

Hier einen Parkplatz zu finden, war, wie die Nadel im Heuhaufen zu suchen. Zwei Minuten vor halb neun klingelte ich an der Zugangstür, an der mit großen Buchstaben ‚Reichelt Programming‘ geklebt war. Ein Türsummer gab das Schloss frei und meine innere Unruhe fand ihren Höhepunkt, als ich vor dem kleinen Empfangstresen stand. Eine vielleicht 20 Jahre alte Frau saß dahinter. Ein Modepüppchen, lange, blond gelockte Haare. Nicht unbedingt hässlich, aber auch keine Traumfrau. Ihre Bluse stand mindestens 2 Knöpfe zu weit auf, was aber angesichts ihrer überdimensionalen, offensichtlich vor Silikon strotzenden Monstertitten, kein Wunder war. Dazu verströmte sie eine Duftwolke, der selbst die parfumgeschwängerte Luft einer Douglas-Filiale in den Schatten stellte. Ich rümpfte kurz die Nase, weil ich diesen schweren Geruch als unangenehm empfand.
„Guten Morgen, ich bin Josephina Schäfer und möchte zu Herrn Reichelt.“
„Haben Sie einen Termin?“, wurde ich unfreundlich begrüßt.
„Ja, das auch, aber um genau zu sein, arbeite ich ab sofort hier.“
Jetzt war sie es, die die Stirn kraus zog, unwillig zum Telefon griff und mich mit arroganter Stimme bei Chris anmeldete. Nur wenige Momente später kam er aus dem Aufzug, der sich mit einem ‚Pling‘ angekündigt hatte. Noch immer zog er sein Bein nach, aber längst nicht mehr so schlimm wie noch zu unserer Schulzeit.
„Guten Morgen und herzlich willkommen! Schön, dass du da bist!“
Unvermittelt hatte er mich an seine Brust gezogen und zur Begrüßung geherzt. Damit hatte ich nicht gerechnet und eine unangenehme Wärme zog aus meinem Bauch heraus in mein Gesicht, das davon knallrot anlief. Die Blondine war aufgestanden, als Chris auf uns zukam. Ein Zeichen des Respekts den sie ihm entgegenbrachte. Dachte ich jedenfalls! Bis mir als Frau auffiel, wie sehr sie ihn anhimmelte, mit den künstlichen Wimpern klimperte und ihren Wunderbusen noch weiter rausstreckte. Jetzt, nachdem sie aufgestanden war, konnte ich ihren Rock bewundern, der so kurz geraten war, dass er eher einem breiten Gürtel glich. Im Sitzen bot sich jedem, der die Gelegenheit bekam, freier Blick auf ihre Unterwäsche, wenn sie denn überhaupt welche trug.
„Iris, Frau Schäfer bekommt eine Zugangsberechtigung für die Chefetage!“
„Aber Herr Reichelt, damit kann sie auch …!“
„Chefetage Iris, ich war doch deutlich, oder?!“
„Natürlich Herr Reichelt, bitte entschuldigen Sie.“
Obwohl der Ton ihr gegenüber scharf geworden war, grinste mich die Maus überheblich an. Offenbar hatte sie keine Angst vor mir und davor, ich könnte ihr die Beute wegschnappen.
„Man Chris, hier einen Parkplatz zu finden, ist ja wie ein ‚Sechser‘ im Lotto.“
Jetzt änderte sich der Blick der Blondine schlagartig. Wie konnte ich es wagen, ihren Chef beim Vornamen zu nennen, sogar in der Kurzform und dann noch zu duzen. Das brachte mir dann doch einige Gift sprühenden Blicke von ihr ein. Von jetzt an war klar, dass Iris und ich bei einer Firmenfeier nicht zusammensitzen würden.
„Aber warum hast du denn nicht im Parkhaus …? Au weia, davon hab ich dir nichts gesagt! Entschuldige Josie! Es gibt unter dem Gebäude ein kleines Parkhaus, dort haben wir Firmenparkplätze. Ich lasse dir ein Kennzeichen prägen. Iris, Frau Schäfer bekommt unten einen Parkplatz. Bitte veranlasse den Zugang und die Reservierung.“
Iris hatte zwischenzeitlich den Firmenausweis in Form eines Anhängers auf den Tresen gelegt. Am oberen Ende gab es eine Art Krokodilklemme, mit der man die Plastikkarte am Kragen oder am Hosenbund festmachen konnte.
„Den musst du immer offen tragen, damit du dich hier im Gebäude bewegen kannst. Du musst wissen, wir haben hier äußerst sensible Bereiche, aus denen dich die Sicherheitsleute sofort, notfalls mit Gewalt, entfernen würden, wenn du dich nicht ausweisen kannst. Aber dazu sage ich dir gleich im Büro noch was. Iris, wie weit ist der Parkplatz?“
„Frau Schäfer, würden Sie mir bitte ihr Kennzeichen verraten?“
„B – JS 1995“
„Danke, dann hab ich alles, Herr Reichelt.“
Chris legte wie selbstverständlich seine Hand auf meinen Rücken und schob mich zum Aufzug. Irgendwie war ich froh, aus der Parfumwolke zu kommen. Viel hätte nicht mehr gefehlt, bis mich ein Würgereiz erwischt hätte. Dazu seine Hand auf meinem Rücken, sanft und doch bestimmend, dicht unter dem Verschluss meines BH’s. Im Aufzug zog er seinen Ausweis durch ein Lesegerät, und erst danach gab die Elektronik die Knöpfe für die Etagen frei.
„Musst du auch so machen, sonst kommst du nicht in dein Büro.“, nickte er mir lächelnd zu. Gleichzeitig musterte er mich verstohlen aus den Augenwinkeln. Ich spürte seinen Blick, der erst auf meinem Gesicht ruhte, um meine Mimik zu analysieren, dann über meinen Oberkörper hinab zu meinen Händen wanderte und dort das Spiel meiner Finger beobachtete.
„Hast du gut geschlafen, Josie?“
„Ging so, die Aufregung.“
„Du bist nervös, ich sehe das.“
„Wundert dich das? Bis gestern wusste ich nicht ein noch aus, und heute stehe ich mit dem Chef eines millionenschweren Unternehmens im Fahrstuhl und bin auf dem Weg in mein neues Büro, wo ich unter anderem, sein privates Vermögen überwachen soll. Würde dich das nicht auch nervös machen?“
„Doch … schon.“
„Und hast du den Blick von Iris gesehen? Den, als ich dich mit ‚Chris‘ angesprochen und geduzt habe?“
„Iris … ja, die ist schon ne Nummer. Die ist schon in mich verknallt, seit sie hier angefangen ist. Sie denkt, ich bemerke ihre Zeichen nicht, dabei ist sie mir einfach nur zu aufdringlich und obszön. Sie macht n’guten Job, aber als Frau … niemals! Da ist sie so gar nicht mein Fall.“
Die Aufzugtür schwebte auf. Sofort umgab mich ein Flair und ein Bild, das mich am liebsten ergriffen auf die Knie fallen lassen würde. Heller, fast weißer Mamorfussboden, im Wartebereich eine Sitzgruppe aus dunklem Teakholz und Nubuk Leder. Dazu ein ebenso dunkler, schwerer Schreibtisch, hinter dem eine gut 50jährige Frau saß und in atemberaubender Geschwindigkeit auf ihrer Computertastatur herumklapperte.

„Karo, darf ich dir Josephina Schäfer vorstellen? Sie ist ab sofort Mitglied der Chefetage und übernimmt das Controlling.“
„Cherzlich Wiellkommen, Frau Schäferr. Freue iech miech auf gute Zusammenarbeit.“, hörte ich ihren russischen Akzent klar durch, sie rollte das ‚R‘ und aus dem weichen ‘H‘ ließ sie ein scharfes ‚CH‘ werden.
„Machst du uns bitte einen Kaffee, Karo? Und dann möchte ich eine Weile nicht gestört werden, ich habe viel mit Frau Schäfer zu besprechen.“
„Natürrliech Chries, kommt sofort. Wie trrienken Sie ihren Kaffää, Frau Schäferr?“
„Am liebsten stark, mit einem Schuss Milch und einem Stück Süßstoff, wenn es keine Umstände macht.“
„Macht es niiecht. Ich brringe gleich.“
Chris hielt seinen Daumen gegen einen Sensor. Das trübe Milchglas wurde augenblicklich glasklar und die Tür klickte aus dem Schloss.
„Außer mir gibt es nur noch zwei Menschen in dieser Firma, die das Recht bekommen haben, diese Tür mit ihrem Daumen zu öffnen. Das sind Karo und du. Deinen Fingerabdruck brauche ich dann gleich noch, damit ich den Sensor entsprechend programmieren kann.“, kommentierte er meinen staunenden Blick.
Nur Minuten später saßen wir uns auf einer edlen Sitzgarnitur gegenüber. Das Leder war irre weich und fühlte sich unglaublich an. Chris hatte sich in einen der Sessel fallen lassen und beobachtete mich mit übereinandergeschlagenen Beinen und wippendem Fuß. Eine qualmende Zigarre hätte jetzt zu seinem Gesamtbild gepasst, aber es war gut, dass er sich in meiner Gegenwart keine ansteckte. Ich hasste Qualm schon immer. Mein Rock rutschte ein klein wenig höher und ich versuchte heimlich, ihn in seine korrekte Lage zurückzuziehen. Es wäre mir peinlich und vor allem unangemessen gewesen, wenn er mir unter den Stoff hätte gucken können. Wobei es dort sicher nichts zu sehen gab, was er nicht schon von anderen Frauen kannte. Und dennoch … es gehörte sich einfach nicht.
„Zu Beginn erstmal ein paar Grundinformationen zu meiner Firma: Wir programmieren drei Teilbereiche: Waffentechnik und Rüstung, Biomechanik und Robotersteuerung, und zuletzt PC- und Konsolenspiele. Hier oben in der Chefetage sitzen ab sofort nur acht Menschen. Du, Karo, die drei Abteilungsleiter, die Buchhaltung mit zwei Frauen und ich. Unter uns sitzen die Entwickler und Programmierer mit den dazugehörigen Bürokauffrauen. Im ersten Obergeschoss dann die Tester. Ganz unten dann der Empfang, wo die Telefonannahme, der Posteingang und die Security zusammenkommen. Du kannst dir vorstellen, dass es eine Menge Leute aus der Wirtschaft gibt, die unseren Programmstand und unsere Software haben wollen würden. Deswegen ist alles durch Sensoren, Kameras und Zugangsberechtigungen geschützt. Alles ist hier Top-Secret und wird rund um die Uhr scharf bewacht.Unsere Hauptarbeitszeit ist von 9 bis halb 5, inklusive einer halben Stunde Mittagspause. Kostenlose Getränke findest du in der Personalküche im zweiten Stock. Dort ist auch der Pausenraum und der Meetingraum. Hast du für’s Erste noch Fragen?“
„Zwei hätte ich dann doch. Wo ist die Toilette und wo darf ich arbeiten?“
Nachdem auch das geklärt war, führte er mich in das Büro direkt neben seinem, genau gegenüber der Buchhaltung. Auch hier gab es einen Fingerabdrucksensor, der das Milchglas klar werden ließ und die Tür freigab.
„Sieh dich in Ruhe um, ich lasse dich jetzt für einen Moment alleine. Gib mir eine halbe Stunde, dann hole ich dich ab und zeige dir die Firma. Bis dahin erkunde deinen PC. Ach ja, dein Passwort lautet: ChriFaJoS22#*! Bis gleich.“
Ich startete den Mac. Natürlich Mac, Apple wohin man sah. Bisher auf jedem Schreibtisch, der mir unter die Augen kam. Komisches Passwort, dachte ich und versuchte hinter die Bedeutung des kryptischen Kürzels zu kommen. 'Chri' war klar. 'JoS' auch. Die '22‘ deutete auf das aktuelle Jahr hin. Und was bedeutete 'Fa'? Ich lehnte mich in meinem Bürostuhl zurück und schloss die Augen. Noch nie saß ich in einem derart schönen Büro und das auch noch alleine. Sonst immer zu zweit oder sogar zu dritt. Hier war alles edel, der Fußboden, die Wände, die Möbel und nicht zuletzt der PC. Ich zog die schweren Schubladen des Schreibtischs auf, die trotz ihres Gewichts federleicht auf den Schienen glitten. Im Stiftefach ein Kugelschreiber und ein Federhalter von ‚Montblanc‘, dazu die übliche Grundausstattung, die ich auf der Schreibtischplatte sinnvoll neben der blendfreien Messingleuchte platzierte. Nur eine Rechenmaschine fehlte. Mehr als zufrieden betrachtete ich den Gesamteindruck und lächelte glücklich.

****

Und dann traten sie in mein Leben: Lydia, Manuela, Karo natürlich, Fred, Marko und Wilfried aus der Chefetage, alle sehr nett. In jedem Büro wurde ich freundlich empfangen und mir sofort klargemacht, dass hier im allgemeinen Umgangston das ‚Du‘ selbstverständlich war. Nur der Chef wurde von jedem gesiezt. Die meisten der Entwickler sahen nur kurz von ihrem Rechner auf und hörten kaum zu, als Chris mich ihnen vorstellte, Die Namen konnte ich mir sowieso nicht merken, deshalb machte ich mir gar nicht erst die Mühe. Aber auch dort wurde ich sofort geduzt. Nach einer Stunde saßen wir wieder bei Chris im Büro.

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