Tröpfchen

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Tröpfchen

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Richard Hebstreit

Ich sitz grübelnd mit mir allein am Abend im Büro meiner Einmann-Werbeagentur in der kleinen Stadt und sinniere über den vergangenen Tag. Was hat er gebracht? Nix hat er gebracht. Ich bekam einen Auftrag für 1000 Visitenkarten, wozu ich eine halbe Stunde mit dem Kunden palavern mußte, eine geschlagene Stunde hab ich am PC verbracht, damit die Visitenkarten so etwas von toll werden, daß ich von dem Kunden späterhin auch mal fettere Aufträge bekomme. Fünfundzwanzig Kilometer bin ich deswegen in die Druckerei gefahren. Da waren wieder drei Stunden weg. Zwei Stunden Fahrt durch die Rhön und eine Stunde Quatschen mit dem Drucker über die schlechten Geschäfte. Am späten Nachmittag eine Präsentation für ein Hackfleischdosenetikett mit nochmals drei Stunden Zeitverschwendung in einem Dorf. Mein Etikett hat dem Fleischer in der Wurzel nicht gefallen, hat er gesagt. Nicht gesagt hat er mir, daß ich ihm zu teuer bin, und seine Tochter nun die Etiketten selber am Computer fertigt.
Alles in allem war dieser Tag für die Katz. Ich werfe mir eine grüne Jacke über, schnappe meinen rabenschwarzen Dackel-Spaniel-Mischlingshund Schnuffi und lauf den halben Kilometer zur einer Kneipe. "Ein Bier ein Korn", sag ich zur Elli, und Elli sagt, "es gibt jetzt wieder Rhöntropfen". Rhöntropfen war ein süßer Kräuterlikör aus Meiningen. Der war zu DDR-Zeit Bückware. Nach der Wende dauerte es ganze drei Jahre, bis die Rhöntröpfchen wieder in dieser Kneipe den angestammten Platz im Schnapsregal fanden.
"Gut", sage ich, "trinke ich auch noch einen Rhöntropfen". Elli meint, "die Rhöntropfen werden jetzt wieder ganz toll getrunken". Ich nicke und sehe, in der Flasche steht der Flüssigkeitsstand noch hoch über den Etikett. Denke, ich bin der Zweite, der Rhöntropfen wieder nach drei Jahren kostet. Der Koster oder wie es heute heißt, die Kosterin vor mir, war Elli.
Schnuffi wedelt freundlich mit dem Schwanz, als ich die Rhöntröpfchen schlürfe. Schnuffi freut sich, wenn ich ihn mit in die Kneipe nehme. Elli kommt sicher gleich mit Essenresten oder Keksen. Das weiß der Schnuffi schon. Der zieht immer an der Leine, wenn es Richtung Kneipe geht. Seine Wege lohnen sich für ihn, immer gibt es irgendwo was. Einen Wurstzipfel, Kekse, ein paar Nudeln mit Soße.

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