Überraschung in Berlin 

22 35-54 Minuten 0 Kommentare
Überraschung in Berlin 

Überraschung in Berlin 

Anita Isiris

Ich bin so was von aufgeregt. Sabrina ist meine langjährige Brieffreundin aus Köln. Wir haben nicht nur via Mails korrespondiert, sondern auch, wie es sich für richtige Brieffreundinnen gehört, auch mit echten, handgeschriebenen Briefen. Nur gesehen hatten wir uns bislang noch nie. Ich habe von Sabrina nie ein Foto verlangt. So konnte ich meine Fantasie besser spielen lassen. Von ihr wusste ich lediglich, dass sie 169 cm gross war und gelocktes braunes Haar hatte, das sie schulterlang trug. Sabrina hatte braune Augen. Auch das hat sie mir in einem ihrer Briefe verraten. Jetzt stehe ich am Berliner Hauptbahnhof und hoffe, dass Sabrina in Berlin Spandau umgestiegen ist und den Zug hierhin erwischt hat.  

Da sehe ich sie schon. Ich bin wie vom Donner gerührt. Es ist ja nicht so, dass ich grundsätzlich auf Frauen stehe. Die Frau, die aber dort am Bahnsteig steht, mit einem Rollkoffer an ihrer Seite, strahlt aber etwas derart Liebenswertes aus, dass ich meinen Schritt beschleunige. Sie trägt einen lindgrünen, knielangen Rock, der ihr prima ins Gesicht steht. Ihre braunen Locken umspielen ihren Hals, und Sabrina wirkt wie eine Frau, die eigentlich keine Ahnung hat, wie begehrenswert sie ist. Ihr Aussehen hatte ich mir so ähnlich vorgestellt, es muss sich also eindeutig um Sabrina handeln – sie sticht aus den Dutzenden von Reisenden und Angehörigen heraus, die den Gehsteig entlang strömen.

Wie soll ich sie denn begrüssen? Ein Händedruck scheint mir etwas formell – wir haben uns ja in unseren Briefen auch sehr persönliche Dinge anvertraut. Eine Umarmung würde sie bestimmt als übergriffig empfinden – aber als sie mich ebenfalls erkennt, eilt sie auf mich zu und wir liegen uns tatsächlich in den Armen, bevor ich noch weiter nachdenken kann.

Freudig begrüsst sie mich, und ich werde mein Versprechen, das ich ihr im letzten Brief gegeben habe, einhalten: Ich werde Sabrina in Berlin nach Strich und Faden verwöhnen, sie soll die Stadt kennenlernen, so gut das in drei Tagen eben möglich ist. Länger hat sie nicht frei nehmen können- da ist ja noch ihr kleiner Sohn, und auch ihren viel beschäftigen Mann will sie nicht zu lange alleine lassen. Ich weiss, dass die beiden sich im Lauf ihrer Ehe körperlich entfremdet haben – aber sie liebt ihn nach wie vor und hat einen ausgeprägten Sinn für ihre Familie. Diesen Sinn soll Sabrina behalten, klar. Aber ich hoffe, dass sie hier in Berlin, weit weg von ihren Lieben, auch ein wenig die Abenteuerlust packt.

Klicke auf das Herz, wenn
Dir die Geschichte gefällt
Zugriffe gesamt: 17497

Sie müssen sich anmelden, um Kommentare hinzuzufügen.

Gedichte auf den Leib geschrieben