Wenn du die Castroper Landstraße stadtauswärts fährst, vorbei am Tanklager, und auch noch über den Kanal, sind die Fassaden der Häuser nur noch aus Backstein. Kaum zu ahnen noch ist das ursprüngliche rot unter 100 Jahren Ruß. Die Kumpel von Auguste Viktoria haben hier gewohnt, aber die gibt’s schon lange nicht mehr. Die Kumpel nicht, und auch nicht die Zeche. Eine Industriebrache ist das jetzt. Eine von vielen. Die Straßenbahnschienen zwischen dem alten Grauwacke Pflaster sind tückisch, besonders bei Regen. Enzo hat es hier schon zweimal gerissen mit seinem Bock. Weiter noch, vorbei an Schacht 2, da wo die eine Stadt aufhört richtig Stadt zu sein, und die nächste noch nicht an die Straße drängt. Dort, hinter einem gammeligen Zaun, der nur noch durch das dichte Buschwerk, daß ihn überwuchert hat, gehalten wird; dort beginnt Lappland. Die Schilder an der Einfahrt: Betriebsgelände, Zutritt verboten, dienen nur zur Verschleierung. Die 3 flachen Ziegelbauten, mit ihren längst glaslosen Fensterhöhlen und dem maroden Gebälk der Dächer, das sich kaum noch wehrt gegen die fortschreitende Entblößung von seinem Pfannenkleid; sie sehen nur aus wie eine verfallene Ziegelei.
Wer wirklich sehen kann, bemerkt sofort, daß es Bahnhof und Flughafen, Herberge und Ausrüstungsladen für Lapplandreisende ist. Enzo und Elise jedenfalls wissen das. Der Kamin ist weit sichtbare Landmarke. Er weist den Wanderern den Weg zurück aus wegloser Landschaft. Jeder Wanderer geht seinen eigenen Weg in Lappland. Gemächlich schlendernd oder zügig ausschreitend, zielstrebig geradeaus oder wechselnden Eingebungen folgend, aber jeder geht auf eigenes Risiko. Ihr wußtet nicht, daß Lappland gleich hinter Herne beginnt?
Enzo ist oft Gast in der Herberge. Er hat seinen Stammplatz dort. Immer ist Elise dabei. Nie würde Enzo ohne sie nach Lappland reisen. „Scheiße, der Bock hat zurückgetreten. Ein geiles Gefühl, wenn der Schmerz nachläßt, sag ich dir“. Wortlos wirft ihm Elise ne Dose Bier rüber. Sie würde den Bock überhaupt nicht angetreten kriegen. Wenn ich mal zu Kohle komme, krieg ich son feines Bike mit E-Starter, dachte Enzo.
Es regnete wieder aus diesem gleichmäßig grauen Himmel. Die Gruppe Weiden dort draußen, einen Steinwurf entfernt von ihrer Terrasse, reckt ihre entlaubten Äste wie Krakenarme, unbeweglich in stille Luft, als lauerten sie auf Nahrung. Was kümmerte sie der Regen. Enzo schaut in das prasselnde Holzfeuer, das zwischen ihnen brennt. Dort draussen, jenseits der Schuttberge und des Mülls, den wucherndes Brombergestrüpp umzingelt und gnädig verdeckt, dort draußen beginnt Lappland. Aber nur mit Elise. Ohne Elise? Was wäre dort wohl ohne Elise?
Vor über einem Jahr war er zum 1. Mal mit ihr hier. Damals suchte er ein ruhiges Plätzchen, um sie flach zu legen. In der Disse war sie ihm zugelaufen. Muß sowas wie Liebe auf den ersten Blick gewesen sein. Er hatte gleich so das Gefühl, daß da was Besonderes abgeht. Dann hatte er sie geküßt, so zum aufwärmen, wie immer. Es war aber nicht wie immer. Da stand sie noch an die Holzstütze gelehnt, da drüben, nur ein paar Meter entfernt. Später hatte er da ein Herz eingeritzt mit ihren Anfangsbuchstaben. In ihre Titten ist er noch immer verliebt. Er konnte garnicht aufhören die zu massieren unter ihrem Pulli. Und sie hielt seinen Kopf fest, damit er nicht aufhört mit küssen. So küßt man nur, wenn´s einen richtig erwischt hat, weiß er heute. Dann war er mit der Hand in ihrem Höschen. Jeans lassen sich leichter öffnen als BH Verschlüsse. Leicht machte sie es ihm nicht. Mit zusammengepreßten Beinen hatte sie da gestanden. Als er sie dann auf ein Lager aus ihren Jacken gelegt hatte, und ihr Jeans und Höschen auszog, schaute sie ihn so seltsam an; ängstlich, wie sie ihm später gestand. Er war der Erste, aber auch das erfuhr er erst viel später. Ihr „Lustschrei“, als er in sie eindrang, war Schmerz. Blöd war das. Viel lieber hätte er die ganze Nacht mit ihr geschmust damals, aber er dachte, sie würde ihn auslachen, wenn er sie nicht fickt.
Es ist ungemütlich geworden in ihrem luftigen Zimmer mit der großen Terrassenöffnung, auf ihrem Lager aus zurückgelassenen Steinen und altem Stroh, in diesen späten Herbsttagen. Zeit das Winterzimmer in einem anderen Flügel der Herberge zu beziehen. Vom Dach her tropft und tröpfelt es. Feine Rinnsale bahnen sich ihren Weg entlang an Mauern und Gebälk. Ping, pling, plitsch, plong, platsch......die Melodie der Soloinstrumente. Das Prasseln des Regens auf dem Dach der Rhythmus.
Die zweite Bierdose landet hinter dem Steinberg, dort, wo das Gebäude seinen Widerstand gegen die nagenden Wetter bereits gänzlich aufgegeben hat, wo sich Dachsteine, Ziegel und Gebälk der ihnen zugedachten Ordnung entzogen haben. Asche zu Asche, zurück zum Chaos. Zerfall ist etwas Beständiges.
„Haste an die Blättchen gedacht?“ Elise nestelt nach dem Klümpchen Silberpapier in ihrer Jackentasche. Im Sonnenschein ist Lappland noch schöner. Nicht weit hinter den Brombeerbüschen, am einsamen, tiefblauen Bergsee, mit der Hütte am Waldrand, und dem kleinen Anlegesteg würde die Sonne scheinen. Nur noch ein paar Züge. „Voll abgedreht der Woody gestern im „Touch“. Mann, wie der die Tische abgeräumt hat. Und bloß, weil die Tusse da am Billard rumgezickt hat“. Enzo schüttelte den Kopf. „Der Woody rafft´s nicht“. Enzo ist froh, daß es Lappland gibt. Elise zieht den Kopf tiefer zwischen ihren Jackenkragen. Der aufkommende Wind bläst schützende Schleier ihrer langen Haare vor traurige Augen in einem irre kichernden Gesicht. Woody und Co würden nie nach Lappland finden, dachte Enzo. Irgendwann werden sie nicht mehr zurückkommen aus Lappland. Vorher würden sie Bahnhof, Herberge und Flughafen sprengen. Voll geil wird das. Scheiß was auf Herne. Er mußte lachen. Genau, scheiß was auf Herne.
Aber jetzt freute er sich erst mal auf ein kaltes Bier auf dem Steg, während er mit den Fischen redete. Und er wollte Elise beim baden zuschaun. Es sah einfach geil aus, wenn sie auf dem Rücken schwamm, und ihre Brustspitzen vom Wasser umspült wurden.
Unterwegs nach Lappland
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