Wenn eine Beziehung von einem Tag zum anderen böse zu Ende geht, schlägt die Einsamkeit zu, gleichgültig und gnadenlos. So war es Claudia ergangen. Bernd hatte seine Sachen in einen Koffer gepackt, einen verkümmerten Kaktus auf der Fensterbank hatte er vergessen, dann waren alle Spuren von drei Jahren verschwunden gewesen. Die ersten Wochen und Monate hatte sie immer wieder in das Waschbecken gesehen. Aber da waren keine schwarzen Haare, über die sich hätte aufregen können. Die Handtücher hingen ordentlich am Haken. Es war einfach grauenhaft. Nur die Arbeit gab ihr Halt.
"Clodinchen, du solltest Urlaub machen", sagte eines Tages Wolfgang, ihr engster Freund. "Du siehst entsetzlich aus. Du solltest die Männer nicht so ernst nehmen." Es klang beinahe liebevoll. "Auf jeden Fall brauchst du Ablenkung. Geh doch mal ins Internet. Surfe und quatsche mit anderen Menschen. Das macht Spaß."
Natürlich wusste Claudia, was das war. An einem Computer ging nun mal kein Weg vorbei, doch zu Hause benützte sie ihn nur, um Entwürfe für ihre Arbeit vorzubereiten. Nach einer Woche, dank Wolfgangs Hilfe, war sie zu einem "User" geworden, der sich einem "Provider" auslieferte, und nach einer weiteren Woche war sie süchtig.
Anfangs schüchtern, tastete sie sich durch die verschiedenen Möglichkeiten, bis sie sich jeden Abend mutig bei den Klatsch- und Flirträumen anmeldete und anfing, mit wildfremden Menschen zu reden. Natürlich war es nicht mit einem persönlichen Gespräch zu vergleichen. Da wurden Telegramme unter den merkwürdigsten Namen verschickt, sie selbst hatte sich Roselady genannt, und mit einem Mal erhielt sie Post. Es kamen neugierige Reaktionen, manchmal auch peinliche oder fast obszöne. Aber es war aufregend, und so ein Abend verging sehr schnell, bis Claudia müde wurde und mit einem letzten Gedanken an Bernd einschlief.
"Hast du ein Pic", hatte sie eines Tags in ihrer "Mail box". Allmählich lernte sie die neue Sprache. Das war ein Foto, dass man herunterladen musste. Was sie sah, war toll. Ein Segelschiff mit einem braun gebrannten Mann darauf, der sie bat, zu antworten. Auch mit Bild. Wieder war ihr Wolfgang behilflich, der ihr sagte, was sie tun müsse, um auch im Internet ihr eigenes Foto verschicken zu können. Sie probierte es aus, und sie erhielt immer mehr Bilder und Telegramme. Manchmal kam sich Claudia wie ein Voyeurin vor, die fremde Männer in einer Galerie vereinigte, ansah und sich Träume ausmalte. Dann war da plötzlich ein Gesicht, schmal mit markanten Wangenknochen. Dieser Mann hieß Bernd. Und von Männern dieses Namens hatte sie genug. Sie schaltete den Rechner aus. Doch als sie nicht einschlafen konnte, lud sie sich nochmals das Bild, und es gefiel ihr immer besser. Etwas lenkte sie, was nicht sie selbst war, sie steckte die Diskette in das Laufwerk und schickte diesem "Verve", wie er sich nannte, ihr eigenes Foto.
Via Internet ins Bett
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