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Samira Samurai

Ich glaube nicht an Vampire. So viel schon mal vorweg. An jenem Nachmittag war ich unterwegs, um mich mit einer e-mail-Bekanntschaft zu treffen, die ich in der Mittagspause im Chatroom gemacht hatte. Während mein Kollege sich virtuell die Karten legte und mal wieder der Gehängte auf seinem Screen erschien, hatte ich es in Nowhere_ city.de versucht. Und Bingo. Ein Typ aus meiner Stadt hatte sich gemeldet. Tangolehrer. Sicher sexy. Wir verabredeten uns vor dem großen Kaufhaus in der Weststraße. Das dreidimensionale Leben als Sachbearbeiterin in einer Behörde für Unfallopfer liefert so wenig Abenteuer, da will ich doch mal sehen, was die virtuelle Welt zu bieten hat. Er kommt zu spät. Düster ragen die Türme der benachbarten gotischen Kathedrale in die Höhe. Wird er mich etwa versetzen der Trottel?
Ein Snob taucht auf. „Hallo“, sage ich schüchtern. Er hört mich nicht, schnieft in sein gepunktetes Taschentuch und geht vorbei. War wohl nix. Ein Satz mit X. Ein schlacksiger Typ im Ringelshirt nähert sich. Stechende Augen fixieren mich. Dolche in mein Herz. Die rinnsteintiefe Falte zwischen seinen Brauen zieht sich zusammen. Er mustert mich. Meinen Busen, meine Haare. Sein Mund ist fest zusammengepresst. Den hohlen Wangen entzieht sich kein Lächeln. Mich schaudert. Das ist er. „Charlotte?“. „Ja“. Nur Feiglinge laufen davon. Ich werde das durchziehen. Denn ich bin tough. Und neugierig aufs Leben. Ich sollte es nicht mehr lange bleiben. „Wollen wir was trinken?“. Oh ja. Ein Bier. Kühl. Doppelte Menge. Wir gehen ins „Schlampenparadies“. Das war seine Idee. In dem Laden hängen allerdings selten Schlampen rum, dafür jede Menge Studienräte und Ökotrophologinnen. Ich bestelle ein großes Pils, er Milch mit Honig. Jedem das seine. Er starrt mich wortlos an. Ich kippe das Bier. Nach einem Schluck ist es halbleer. Jetzt könnte mal jemand was sagen. „Machst Du das oft?“ frage ich ihn. „Auf Chatkontakte antworten und so?“. Gib jedem Menschen die Chance auf eine faire Kommunikation. Er starrt mich weiter an. Lehnt sich zurück. Wortlos. „Nein“, sagt er schließlich. „Ich wusste, dass Du etwas ganz besonderes bist“. Jetzt bin ich es, die still ist. Hat der Typ sie noch alle beisammen? Er kennt mich schließlich nicht. „Ich will Dich mit nach Hause nehmen und durch die Decke vögeln“. Das Bier läuft mir den rechten Mundwinkel hinab. Ganz langsam. Ich wusste schon immer, dass das Internet nur was für Irre ist. „Wie meinst Du das?“. Er lächelt nur. Ich stehe auf. Will weg. Eine Eisenklaue packt mich am Handgelenk. Striemen auf meiner Haut. „Bleib hier“. Er befiehlt nicht. Es klingt eher selbstverständlich. „Wir haben noch einiges zusammen zu erledigen“. „Ich wüsste nicht was“, entgegne ich patzig und will gehen. Da fährt etwas metallisch blitzendes aus seiner Tasche und drückt sich in Sekundenschnelle auf meine Haut. Ein umgekehrtes Dreieck erscheint. Wie von Zauberhand. Ich blute nicht. „Wenn Du mir gehorchst, kann ich Dir zu großem Glück verhelfen“, meint mein Begleiter und das erste Mal sehe ich ihn lächeln. Warum eigentlich nicht? Ich habe mit ihm in der Kneipe gesessen, er hat Milch getrunken, trägt ein Ringel T-Shirt und scheint ein kleiner Zauberkünstler zu sein. Ich brauche wirklich keine Angst zu haben. Was ist nur los mit mir, dass ich plötzlich so misstrauisch bin? „Gut“, sage ich, „laß uns gehen“.
Er wohnt nicht weit entfernt. In einer mit Platanen gesäumten Straße. Irgendwo schreit ein Kind. Ein gelber Kanarienvogel hockt neben den Briefkästen. Entkommen aus einem goldenen Käfig. Wir steigen die Treppe hinauf. Vorbei an schwarzen und grauen Türen. Ein dunkles Haus. Für Menschen, die nicht gerne lächeln. „Wie heisst du eigentlich?“ will ich wissen. „Nenn mich einfach John“, sagt mein seltsamer Begleiter. Also John. Das Zeichen, das er auf meinen linken Unterarm gezeichnet hat, fängt an zu jucken. Oh ja, es ist ganz schön hier. Im Wohnzimmer ist ein Stück der Tapete von den Wänden gerollt. „Das benutze ich als Serviette“, sagt John und bietet mir von einer kardinalroten Suppe an. So eine Suppe habe ich noch nie gesehen. „Aus einem fernen Land“ tut er geheimnisvoll. „Schmeckt kalt am besten“. Ich möchte eigentlich gar nichts essen. „Weshalb hast du mich hergebracht?“. Er sieht mich an. Lange an. Seine Blicke fixieren mich. Dolche in meiner Haut. Blutstau in meinen Venen.
Wir fangen an.

Ich glaube nicht an Vampire. So viel schon mal vorweg. An jenem Nachmittag war ich unterwegs, um mich mit einer e-mail-Bekanntschaft zu treffen, die ich in der Mittagspause im Chatroom gemacht hatte. Während mein Kollege sich virtuell die Karten legte und mal wieder der Gehängte auf seinem Screen erschien, hatte ich es in Nowhere_ city.de versucht. Und Bingo. Ein Typ aus meiner Stadt hatte sich gemeldet. Tangolehrer. Sicher sexy. Wir verabredeten uns vor dem großen Kaufhaus in der Weststraße. Das dreidimensionale Leben als Sachbearbeiterin in einer Behörde für Unfallopfer liefert so wenig Abenteuer, da will ich doch mal sehen, was die virtuelle Welt zu bieten hat. Er kommt zu spät. Düster ragen die Türme der benachbarten gotischen Kathedrale in die Höhe. Wird er mich etwa versetzen der Trottel?
Ein Snob taucht auf. „Hallo“, sage ich schüchtern. Er hört mich nicht, schnieft in sein gepunktetes Taschentuch und geht vorbei. War wohl nix. Ein Satz mit X. Ein schlacksiger Typ im Ringelshirt nähert sich. Stechende Augen fixieren mich. Dolche in mein Herz. Die rinnsteintiefe Falte zwischen seinen Brauen zieht sich zusammen. Er mustert mich. Meinen Busen, meine Haare. Sein Mund ist fest zusammengepresst. Den hohlen Wangen entzieht sich kein Lächeln. Mich schaudert. Das ist er. „Charlotte?“. „Ja“. Nur Feiglinge laufen davon. Ich werde das durchziehen. Denn ich bin tough. Und neugierig aufs Leben. Ich sollte es nicht mehr lange bleiben. „Wollen wir was trinken?“. Oh ja. Ein Bier. Kühl. Doppelte Menge. Wir gehen ins „Schlampenparadies“. Das war seine Idee. In dem Laden hängen allerdings selten Schlampen rum, dafür jede Menge Studienräte und Ökotrophologinnen. Ich bestelle ein großes Pils, er Milch mit Honig. Jedem das seine. Er starrt mich wortlos an. Ich kippe das Bier. Nach einem Schluck ist es halbleer. Jetzt könnte mal jemand was sagen. „Machst Du das oft?“ frage ich ihn. „Auf Chatkontakte antworten und so?“. Gib jedem Menschen die Chance auf eine faire Kommunikation. Er starrt mich weiter an. Lehnt sich zurück. Wortlos. „Nein“, sagt er schließlich. „Ich wusste, dass Du etwas ganz besonderes bist“. Jetzt bin ich es, die still ist. Hat der Typ sie noch alle beisammen? Er kennt mich schließlich nicht. „Ich will Dich mit nach Hause nehmen und durch die Decke vögeln“. Das Bier läuft mir den rechten Mundwinkel hinab. Ganz langsam. Ich wusste schon immer, dass das Internet nur was für Irre ist. „Wie meinst Du das?“. Er lächelt nur. Ich stehe auf. Will weg. Eine Eisenklaue packt mich am Handgelenk. Striemen auf meiner Haut. „Bleib hier“. Er befiehlt nicht. Es klingt eher selbstverständlich. „Wir haben noch einiges zusammen zu erledigen“. „Ich wüsste nicht was“, entgegne ich patzig und will gehen. Da fährt etwas metallisch blitzendes aus seiner Tasche und drückt sich in Sekundenschnelle auf meine Haut. Ein umgekehrtes Dreieck erscheint. Wie von Zauberhand. Ich blute nicht. „Wenn Du mir gehorchst, kann ich Dir zu großem Glück verhelfen“, meint mein Begleiter und das erste Mal sehe ich ihn lächeln. Warum eigentlich nicht? Ich habe mit ihm in der Kneipe gesessen, er hat Milch getrunken, trägt ein Ringel T-Shirt und scheint ein kleiner Zauberkünstler zu sein. Ich brauche wirklich keine Angst zu haben. Was ist nur los mit mir, dass ich plötzlich so misstrauisch bin? „Gut“, sage ich, „laß uns gehen“.
Er wohnt nicht weit entfernt. In einer mit Platanen gesäumten Straße. Irgendwo schreit ein Kind. Ein gelber Kanarienvogel hockt neben den Briefkästen. Entkommen aus einem goldenen Käfig. Wir steigen die Treppe hinauf. Vorbei an schwarzen und grauen Türen. Ein dunkles Haus. Für Menschen, die nicht gerne lächeln. „Wie heisst du eigentlich?“ will ich wissen. „Nenn mich einfach John“, sagt mein seltsamer Begleiter. Also John. Das Zeichen, das er auf meinen linken Unterarm gezeichnet hat, fängt an zu jucken. Oh ja, es ist ganz schön hier. Im Wohnzimmer ist ein Stück der Tapete von den Wänden gerollt. „Das benutze ich als Serviette“, sagt John und bietet mir von einer kardinalroten Suppe an. So eine Suppe habe ich noch nie gesehen. „Aus einem fernen Land“ tut er geheimnisvoll. „Schmeckt kalt am besten“. Ich möchte eigentlich gar nichts essen. „Weshalb hast du mich hergebracht?“. Er sieht mich an. Lange an. Seine Blicke fixieren mich. Dolche in meiner Haut. Blutstau in meinen Venen.
Wir fangen an.

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