In den billigen Hotels werden selten Zimmer für eine ganze Nacht oder gar für mehrere Tage gebucht. Die Männer, die hierher kommen, brauchen das nicht und die Touristen bleiben lieber in der Nähe der Strände, wo es auch die besseren Hotels gibt. Insofern bildete er eine Ausnahme. Er hatte sich zunächst auch ein Zimmer in einem dieser Strandhotels genommen und verbrachte dort eine schreckliche Nacht. Nicht dass das Hotel selbst schrecklich gewesen wäre oder der Service, nein, das nicht, aber neben dem Hotel war eine Karaoke Bar und der infernalische Lärm, der von dort aus in das Weltall geschickt wurde, endete erst um vier Uhr morgens und das war für ihn nicht akzeptabel. Er war nicht hierher gekommen, um schlaflose Nächte dieser Art zu erleben. Man hatte ihm gesagt, und er konnte es auch durch Augenschein bestätigen, dass fast alle Hotels in der Stadt im Einzugsbereich von solchen Lärmquellen lagen und man gab ihm den Rat, er solle es doch einmal in Victoria Hill versuchen, da gäbe es mehr Ruhe, eine schöne Aussicht, auch einen netten, sauberen Strand am Fuß der Klippe, die Stadtstrände waren alles andere als nett und sauber, und ausreichende Zerstreuung hätte er direkt vor der Haustür. Hinzu käme, dass die Hotels viel billiger seien und es sei wirklich ruhig dort, selbst in der Nacht. Das stimmte alles, wie er sich schon in der ersten Nacht überzeugen konnte. Der kleine Strand am Fuß der Klippe war sehr malerisch, der Auf- und Abstieg nicht sehr beschwerlich. Das Essen im Seaview Restaurant tatsächlich exzellent und am Ende der Victoria Hill Street war es tagsüber sehr ruhig, aber auch nachts beschränkte sich die Musik in den Bars auf Zimmerlautstärke. Es soll wohl noch eine alte Verordnung aus frühen Zeiten geben, als sich noch kein Nachtleben breitgemacht hatte und die Hotels Gäste beherbergten, die Ruhe statt Rotlicht, Erholung statt Aufregung suchten. Das Hotel, in dem er sich einquartierte, „La niche au ciel“ , war nicht schlechter als das in der Stadt, der wesentliche Unterschied war, dass auch nachts ein ständiges Kommen und Gehen herrschte, aber die Gäste mit ihren Ladys machten keinen Lärm. Er hatte, stellte er am nächsten Morgen, bei einem wirklich guten Frühstück, zufrieden fest, eine gute Wahl getroffen.
Er verbrachte den Tag mit ausgedehnten Spaziergängen. Die schmalen Pfade auf den Klippen boten wunderbare Aussichten und der Weg zurück, unterhalb am Strand entlang, war ebenfalls sehr abwechslungsreich. Die Steine am Fuß der Klippen ragten oft bis in das Meer hinein und es war manchmal gar nicht so einfach, sie zu überwinden. An dem kleinen Sandstrand unterhalb des Seaview wäre er gerne geschwommen, hatte aber seine Badehose nicht dabei und beschloss, dies am nächsten Tag ausgiebig nachzuholen. So watete er nur bis zu den Knien in dem warmen, ruhigen Wasser des Ozeans. Dann stieg er die Treppen hoch und genoss auf der Terrasse eine vorzügliche Fischplatte, die er kaum schaffte, dazu gab es trockenen australischen Weißwein. Beides, zusammen mit der kostenlosen Aussicht, ein Gedicht, das ihn freundlich und friedlich stimmte. Gegen Abend ging er zum zweiten Mal in das Seaview, bestellte eine halbe Garnele und noch einmal eine ganze Flasche des australischen Weißweins. Während er aß und so seinen Geschmacks- und Geruchssinn befriedigte, erfreuten sich seine Augen an dem dramatischen Sonnenuntergang, dem Versinken des roten Feuerballs im silbernen Meer, an den Wolken, die sich rosarot einfärbten und den Klippen, die im letzten Licht orange-rot angestrahlt wurden. Es herrschte Ruhe und Harmonie, das Restaurant verzichtete zum Glück auf eine Beschallung mit der üblichen Popmusik und so konnte er Bissen für Bissen, Schluck für Schluck, das Licht und die Ruhe mit allen Sinnen genießen. Dann war es, wie immer in diesen Breiten, sehr rasch sehr dunkel und das Lokal würde bald schließen. Nun war es an der Zeit, das Nachtleben von Victoria Hill zu erkunden.
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