Victoria Hill

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Victoria Hill

Victoria Hill

Yupag Chinasky

Der Gang über die sündige Meile, die natürlich bei weitem keine Meile lang war und auch gar nicht besonders sündig, wäre trotz des relativ reichhaltigen Angebots an Zerstreuung schon nach kurzer Zeit beendet gewesen, wenn er nicht mit einem jungen Mann, einem Landsmann, wie sich gleich herausstellte, ins Gespräch gekommen wäre. Er setzte sich zu ihm und sie tranken zusammen Bier und redeten, tauschten Erfahrungen und Eindrücke aus und er erhielt ein paar Tipps zur Qualität der Bars und der Massagesalons. Der junge Mann wohnte ebenfalls in einem Hotel in Victoria Hill, meinte lakonisch, nun sei er ja nicht mehr der einzige Tagesgast hier und lachte. Ja, es gehöre schon etwas Mut, aber noch mehr Durchhaltevermögen dazu, sich hier ein Zimmer zu nehmen. Aber für ihn sei es geradezu ideal. Er sei Koch auf einem dieser großen Luxusschiffe, die dauernd auf den Weltmeeren kreuzten. Auf See habe er so gut wie keine Freizeit, die habe er dafür am Stück, immer zwei Wochen, und er sei zum ersten Mal hier und es gefalle ihm ganz gut, aber morgen, da müsse er abreisen und wieder seine lange Schicht antreten. Auf See, das sagte er auch noch, hätte man wenig Abwechslung, er wisse doch, zwinkerte er, was er meine. Die Passagiere seien alle im sehr fortgeschrittenen Alter und unter der Crew könnte man auch mit niemandem anbandeln. Die wenigen Frauen seien allesamt frustriert und verklemmt und wollten einen unbedingt heiraten. Mit denen sollte man sich lieber nicht einlassen, schon um Eifersüchteleien oder gar Schlägereien zu vermeiden. Dagegen sei Victoria Hill das reinste Paradies, eine Riesenauswahl an willigen Mädchen, alle seien ok, alle preiswert und die meisten sooooo lieb. Bei diesen Worten schaute der Erzähler verzückt eine kleine, schmalbrüstige, dunkelhaarige Elfe an, die begonnen hatte, den Nacken des Zuhörers zu massieren. Sie redeten noch eine Weile, er bestellte aber kein zweites Bier mehr. Der Bitte der sanften Masseuse, ihr ebenfalls einen Drink zu spendieren, kam er gerne nach und als er die beiden verließ, gab er ihr noch ein paar Dollar Trinkgeld und machte auf diese Weise zumindest einen Menschen in Victoria Hill ganz offensichtlich glücklich.

Nach dem Essen, dem Bier, der Unterhaltung und der Nackenmassage stand ihm auf einmal der Sinn nach einer richtigen Massage, einer Vollkörpermassage mit allem Drum und Dran. Er erinnerte sich an ein Erlebnis aus längst vergangenen Zeiten, als ein schmales, braunes Wesen, weißen Schaum mit ihrem nackten Körper auf seinem nackten Körper verteilte und vor allem an das, was dann geschah, nachdem beide den Schaum abgespült hatten. Ein vergleichbares Erlebnis suchend, schlenderte er wieder durch die Hauptstraße, bog hie und da in eine der Seitengassen ein, schaute sich an, wer da so vor den Salons saß, verglich die Angebote und die Preise, aber das war unnötig, denn alle boten quasi das selbe zu fast identischen Preisen an. Auch die Mädchen, die ihn jubelnd begrüßten, laut los schnatterten, wenn er vorbeiging, sahen sich sehr ähnlich. Alle waren klein und meistens schlank, hatten braune Haut und schwarze Haare, ihre Gesichter waren hübsch, alle schauten ihn freundlich, ja geradezu sehnsüchtig an und versuchten ihre weiblichen Merkmale zur Geltung zu bringen. Doch viel war da oft nicht vorhanden. Die meisten Brüste waren zwar fest, aber klein, die Hintern zwar wohl geformt, aber passten in eine größere Männerhand, die Beine schlank, doch ziemlich kurz. Dennoch wurde eifrig gereckt und gewackelt. Manche Kleider waren aufreizend, manche hatten Netzstrümpfe oder trotz der Wärme Nylons an, die meisten aber waren ganz, normal gekleidet, so wie sich junge Mädchen gerne anziehen. Aber alle waren durch die Bank stark geschminkt, ihre Lippen meist grell rot, die Augen mit künstlichen Wimpern versehen, dick aufgetragenes Puder im Gesicht, die Haare manchmal abenteuerlich gefärbt, die Fingernägel lang und mit Mustern schön verziert. Vor den Massagesalons, die etwas im Abseits lagen, in den Nebenstraßen oder in Hofeinfahrten mussten die Girlies noch intensiver auf sich aufmerksam machen, als an der Victoria Hill Street selbst. Während sie auf der hell erleuchteten Hauptstraße meistens nur ruhig vor den Salons oder Bars saßen, warteten, plauderten, den Männern nachschauten, ihnen zuwinkten und schöne Worte, wie „I love you“, oder eindeutige Aufforderungen, wie „wanna fuck me“, zuriefen, stürzten sie sich in den dunkleren Nebenstraßen regelrecht auf alle männlichen Wesen, die sich hierher verirrt hatten. Sie tätschelten sie ab, zerrten an den Armen und es konnte geschehen, das hatte er sich von dem Landsmann sagen lassen, ihm selbst war es noch nie passiert, dass eine ganz Mutige, nach den Eiern griff. Dies machten jedoch, so der Landsmann, nur die wenigen Älteren, die vermutlich sonst zu keiner Kundschaft mehr kämen.

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