Victoria Hill - Teil 2

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Victoria Hill - Teil 2

Victoria Hill - Teil 2

Yupag Chinasky

Die Probleme mit ihrer Tochter waren gravierend, überaus existent und auch nicht in absehbarer Zeit zu lösen. Die Fakten waren einleuchtend, aber die Gründe, warum diese ganze Scheiße überhaupt entstanden war, verstand Sray überhaupt nicht. Alles war wie ein Blitz über sie gekommen und hatte ihr Leben massiv verändert. Die Tochter, gerade 17 Jahre alt, war mit Freunden unterwegs zu einem Popkonzert, als eine Gruppe von Männern sie auf der Straße anpöbelten. Ihr Baby, ganz offensichtlich eine resolute Person ohne Angst, schoss scharf zurück und beleidigte die Typen. Das hatte geholfen, denn sie wurden in Ruhe gelassen und konnten ihren Weg fortsetzen. Doch auf einmal kam ein Auto angerast und fuhr in die Mädchengruppe. Srays beste Freundin wurde schwer verletzt. Das Auto und damit auch die Person, die den Unfall verursacht hatte, entkam unerkannt und wurde nie ausfindig gemacht. Das Baby war unverletzt geblieben und hatte sich selbstlos, so Srays Worte, darum gekümmert, dass diese Freundin in ein Hospital gebracht wurde, sie habe, so Sray, ihr eigentlich das Leben gerettet. Dann erst hatte sie ihre Mutter angerufen, sie solle kommen und ihr helfen. Die Freundin erholte sich mit der Zeit, aber dann, aus heiterem Himmel, beschuldigte ihre Mutter das Baby, sie habe Unglück über ihre Tochter gebracht. Sie habe mit ihren scharfen Worten die Männer provoziert und einer von ihnen sei zurück gekommen, er sei der Attentäter gewesen und habe sich an den Mädchen für diese Schmach gerächt. Beweise gab es keine, die Polizei hatte nie richtig ermittelt, aber die sei korrupt, das wisse jeder und sie sei von der Mutter der Freundin bestochen worden. Der Grund für dieses Vorgehen war nach Srays Meinung, dass diese Mutter, Geld von Sray erpressen wollte. Sie wusste, dass sie einen europäischen Freund hatte und deswegen reich sein müsse. Es kam wegen des Unfalls zu einer Verhandlung und aus Gründen, die Sray nicht verstand, wurde ihr Baby völlig zu Unrecht, zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt. Sray vermutete, dass auch der Richter korrupt und bestochen worden war. Nun saß also ihr Baby schon seit einem Jahr im Gefängnis und hatte schlechte Aussichten vorzeitig frei zu kommen. Sray hatte einen Kredit aufgenommen und bezahlte viel Geld für einen Anwalt, ihren lawyer, der aber bisher noch nichts bewirken konnte, ihre Hoffnung aber nährt und somit auch selbst weiterhin Geld bekommt. Sray, ohne Ausbildung, ohne Beruf, ohne Perspektive, muss von dem wenigen Geld, das sie irgendwie zusammenkratzt, nicht nur den Kredit abstottern, sondern auch noch ihre Tochter unterstützen, damit sie etwas Richtiges zu essen bekommt und ab und zu ein Kleidungsstück. Im Gefängnis sei es sehr scheußlich, sie sei schon da gewesen, die Bedingungen seien katastrophal, ihre Tochter würde sehr leiden und sei ständig in Gefahr. Sray selbst litt natürlich auch unter dieser Last und ihre ganze Hoffnung lag darin, eines Tages wieder mit ihrem Baby zusammenleben zu können.
Es hätte ein ganz angenehmer, entspannter Tag sein können, aber die Geschichten, die er hörte, trübten ihr Zusammensein. Doch Sray war froh, drei Dinge auf einmal gefunden zu haben, einen Zuhörer, einen Mann und einen Geldbeutel. Sie ließ, im Gegensatz zu Sokuntha, die dankbar das übliche Geschenk für eine Nacht angenommen hatte, keine Zweifel offen, dass sie von ihm mehr Geld erwarte: „help me please, I need your help“. Er war sich nach dieser eindeutigen Bitte nicht mehr so sicher, ob er sich mit Sray weiter einlassen sollte. Er wusste weder, wie viel Hilfe Sray erwartete, fragen wollte er sie nicht und hatte ja auch keine Ahnung, wie es mit ihr weitergehen würde. Er wusste allerdings, dass er Sray trotz oder wegen ihres Schicksals sympathisch fand und dass er Mitleid mit ihr hatte.

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