Victoria Hill - Teil 2

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Victoria Hill - Teil 2

Victoria Hill - Teil 2

Yupag Chinasky

Auch am Morgen, gleich nach dem Aufwachen, liebten sie sich, mit derselben Intensität und Hingabe, wie in der Nacht, wenn auch nicht ganz so variantenreich und ausdauernd, aber lange genug, das beide erneut einen Orgasmus erlebten. Eigentlich hätte er nach diesen schönen Erfahrungen nichts dagegen gehabt, auch noch seinen letzten Tag und vor allem die letzte Nacht mit Sray zu verbringen. Aber sie redete zu viel, schon beim Frühstück fing sie wieder mit ihren Problemen an und das würde wohl den ganzen Tag so weiter gehen. Das könnte er nicht aushalten, das würde ihm zu sehr auf die Nerven gehen und auch die Aussicht, noch einmal bezahlen zu müssen, sie hatte ja deutlich gesagt, dass sie dringend Geld brauchte, dass er sie also auch in dieser Hinsicht zufrieden stellen müsste, machte seine Stimmung nicht rosiger. Deshalb teilte er ihr nach dem Frühstück fast beiläufig mit, dass er schon heute abreisen müsse, und bot ihr an, zusammen in die Stadt zu fahren, denn er müsse sich auch noch Geld von der Bank oder von einem Automaten holen. Der einzige Automat, den es hier oben gäbe, sei defekt, dass habe er schon gleich nach seiner Ankunft gemerkt. Sray war traurig, aber einsichtig. Vielleicht hätte sie gerne noch eine weitere Liebesnacht mit ihm verbracht, mit Sicherheit hätte sie aber mehr Geld erwarten können. Wieviel er ihr denn geben wolle, fragte sie. Er meinte 100 Dollar seien angemessen für die schöne Nacht. Sie zeigte sich enttäuscht. Genau heute, jammerte sie, müsse sie mit 100 Dollar den Kredit abbezahlen, den sie wegen des lawyers aufgenommen hatte, und wenn er ihr nur 100 gäbe, bliebe weder etwas für sie noch für ihr Baby übrig und deswegen solle er ihr 150 geben. Er willigte ein, nicht so sehr wegen ihres Jammerns, sondern wegen der Erinnerung an die wirklich wunderbare Liebesnacht.

Sie fuhren mit seinem Tuk-tuk in die Stadt. Der Fahrer stand, wie immer, abrufbereit vor dem Hotel. Er ließ sich zu einer Bank bringen, hob am Automat 200 Dollar ab und gab ihr 150. Sie bedankte sich, weil sie nun einmal scheu war, nur mit einem Küsschen auf die Wange und ging eilig die Straße hinab, ohne den Versuch zu machen, ihn doch noch einmal umzustimmen, denn dass er schon heute abreisen müsse, hatte sie ihm vermutlich nicht abgenommen. Er ließ sich von dem Fahrer ein paar Straßen in der Stadt zeigen, die er noch nicht kannte. Allerdings dauerte das Vergnügen nicht sehr lange, denn das Wetter hatte sich verändert, Regen lag in der Luft. Schon während der Rundfahrt hatte es begonnen zu regnen, und da das Dach des Gefährtes leckte, war er ziemlich nass geworden. Schließlich hatte er dem Fahrer gesagt, er solle ihn zurück in sein Hotel bringen. Vorher hielten sie aber noch an einem Schnellimbiss und er kaufte sich eine Lunchbox und ein paar Dosen Bier. Der Regen hielt auch am Nachmittag an und er hatte natürlich keine Lust zum Strand zu gehen oder gar zu baden, nicht einmal die Klippen reizten ihn. Zum ersten Mal in diesen Tagen war er tagsüber längere Zeit in dem wenig angenehmen Hotelzimmer geblieben und hatte ferngesehen. Es gab, von CNN abgesehen, nur Sender, deren Sprache er nicht verstand und deren Bilder ihn nicht interessierten. Ihm war langweilig und er hatte sogar kurzzeitig erwogen, reuevoll zu Sray zu gehen oder sie holen zu lassen, allerdings wusste er ihre Adresse nicht und hatte auch keine Telefonnummer, zudem hätte er gestehen müssen, dass er sie angelogen hatte und außerdem war er sich sicher, dass sie wieder mit ihren Problemen anfangen würde. Aber da war ja noch Sokuntha, die konnte er in ihrer Bar aufsuchen, aber erst am späten Abend, das hatte sie ihm ja gesagt. Maria und Josef kam auf keinen Fall in Frage, selbst in dieser Situation nicht, dieser Täuscher, nein, der nicht.

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