Viktor kommt

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Viktor kommt

Viktor kommt

Reneé Hawk

Vorsichtig legte ich den Hörer auf das Telefon. Mein Körper zitterte vor Aufregung, heute Abend um einundzwanzig Uhr würde er kommen. Ich freute mich, ich war aufgeregt, ich war glücklich. Mein Lächeln verriet meinem Spiegelbild happyness. Ich sah mich im Spiegel genauer an, meine Haare, oh Gott, wie sahen nur meine Haare aus, ich schrak zusammen, ein Durcheinander wie auf dem Flohmarkt. Ich schaute auf meine Armbanduhr, nein, Zeit hatte ich keine mehr für den Friseur. Ich musste mich selbst herrichten, meiner Frisur einen neuen Touch verleihen. Und mein Kleid, Jesus und Maria, das kann ich so nicht lassen, ich muss mich umziehen, ein Abendkleid, etwas besonders für einen besonderen Besuch an einem besonderen Abend. Und das Wohnzimmer? Ich erschrak wiederum, machte mich auf den Weg ins Wohnzimmer, in der Tür blieb ich stehen und ein Stein fiel mir vom Herzen, das Wohnzimmer war aufgeräumt und sauber. Keine Arbeit für das Wohnzimmer, alles perfekt, selbst die Bar war gefüllt und kleine Schälchen mit Erdnüssen standen auf der Theke. Ein Beben ging durch mich hindurch. Das Lächeln verwandelte sich in ein Lachen und ich ging in Richtung Badezimmer.
Als ich im warmen Schaumbad lag und mir den heutigen Abend genauer in meinen Gedanken ausmalte, schaute ich verträumt in den Kerzenschein und sah, wie sich das Licht in meinem Weinglas brach. Ein leichtes Kribbeln verspürte ich in der Magengrube, als ich mich an das Telefonat von heute Nachmittag erinnerte. Warm und Kalt durchzuckte es meinen Körper, die Füße kribbelten und die Wärme stieg langsam empor, meine Beine, meine Oberschenkel, mein Venushügel, mein Bauch, meine Brust, mein Hals einfach jede einzelne Partie meines Körpers wurde durchflutet von einem Gefühl der Erwartung, der Neugier, der Angst und der Zufriedenheit. Heute Abend wollte ich perfekt sein, für ihn, nur für ihn. Ich dachte wieder an seine Stimme, diese Männlichkeit durchdrang in mir jeden Knochen und ich begann zu zittern. Ich leerte mein Glas und stellte es zur Seite, nahm den Schwamm und begann mich einzuseifen. Erst die Beine, von den Zehen, die mit weißem Schaum des Badezusatzes benetzt waren, über den Spann, hinauf über das Schienbein, dem Knie bis hin zum Oberschenkel. Ich fühlte den weichen, warmen Schaum und stellte mir vor, es wäre die Hand, die Hand von Viktor. Ich konnte es kaum erwarten Viktor in meinen Armen halten zu dürfen. Ich musste mich zusammenreißen, ich durfte mich nicht meinen Gedanken hergeben, ich sollte mich bewahren und diese Neugier aufbewahren – für heute Abend, für Viktor.
Der Spiegel zeigte mich wie ich war, nackt, schön, unerreichbar, glücklich, vollkommen und heiß, heiß wie das Feuer. Ich würde Viktor verbrennen. Seine Stimme entfachte einen Flächenbrand in mir. Mein Körper spiegelte meine Seele, ich sah mich und lächelte geheimnisvoll. Langsam öffnete ich das Handtuch und meine langen Haare kamen zum Vorschein. Rot wie das Feuer und nass tropfte es herunter, auf meiner Schulter bildeten sich kleine Pfützen, die Sekunden später zu einem Rinnsal am Oberarm entlang zu meiner Hand hinunterliefen. Ich war zufrieden, zufrieden mit mir, ich sah toll aus. Viktor würde begeistert sein. Ich war davon überzeugt. Mit dem Fön in der einen und einer Bürste in der anderen Hand versuchte ich, meiner Mähne Herr zu werden. Immer wieder dachte ich an Viktor, diese Stimme, ich war verrückt, doch ich konnte mich kaum mehr beherrschen, ich bekam wieder dieses Kribbeln. Es begann wieder in mir zu lodern, ich wurde heiß beim Gedanken an diese männliche Stimme, diesen Hauch Verführung, diese Eleganz, dieser Charme, diese Ausstrahlung. Gespannt schaute ich auf das Ergebnis meiner Fönarbeit. Ja, das war perfekt, beinahe schon zu perfekt, aber ich war stolz. Einer Wildkatze gleich. Gelungen. Doch was ziehe ich an?
Ich schob die Spiegeltür des Kleiderschrankes zur Seite und erblickte eine Unmenge an Kleidern. Eines schöner als das andere. Es braucht Zeit das Perfekte auszusuchen. Zeit – die hatte ich nicht. Ich war spät dran, das Bad und die Haare hatten mich aufgehalten. Ein flüchtiger Blick fiel auf das kleine schwarze Samtkleid. Ein gewagter Ausschnitt – vorne und hinten. Das ist es, das ist genau richtig für Viktor. Ich nahm es vom Kleiderbügel und strich gemächlich über den Samt. Viktors Hände würden sich wundervoll spüren lassen unter dem Kleid. Seine Hände würde ich spüren, wie sie über den Samt gleiten und jedes einzelne Fleckchen meines Körpers erkunden. Wieder wurde ich nervös, ich brannte, ich bebte, ich war wild, ich wollte Viktor.
Das Kleid saß gut. Ich sah mich im Spiegel und drehte mich um die eigene Achse, dabei achtete ich genau auf die Rückenpartie, es war nichts zu sehen. Alles perfekt, keine Unreinheiten im Gesicht, keine Unreinheiten auf dem Dekolletee und keine Unreinheiten auf dem Rücken. Ich lächelte und begab mich noch einmal ins Bad. Ein schneller Blick auf die Uhr verriet mir, dass Viktor bald da sein würde. Noch eine Stunde, langsam wurde ich nervös, die Zeit drängte und mit meinem Gesicht hatte ich noch nicht einmal angefangen. Während ich den Badspiegel vom letzten Beschlag befreite, fummelte ich mit der freien Hand nach meiner Kosmetiktasche. Ich begann penibel genau zu arbeiten. Erst eine Lage Kodierung, dann das Make-up, igitt meine Hände waren beschmiert, ich hasse das Gefühl von Creme an meinen Fingern, so glitschig und schmierig, schnell den Wasserhahn aufgedreht und die Hände gewaschen, dann versuchte ich die Wimperntusche, schwarze natürlich, der Eyeliner auch in schwarz, ich kontrollierte jede einzelne Bewegung genauestens im Spiegel und lächelte zufrieden dabei. Ich suchte nach einem passendem Lippenstift, ich überlegte und nahm den Kirschroten, das war ein guter Kontrast zu den betonten Augen und eine Untermauerung meiner roten Haare. Ja, das war es. Ich drehte mich nochmals um die eigene Achse und spürte bereits, wie Viktors Blicke mich auszogen.
Einundzwanzig Uhr, es läutete an der Tür und ich schnellte aus dem Sofa hoch. Still und unbeweglich saß ich bestimmt fünfzehn Minuten im Sofa und starrte auf die Blumenvase die auf dem Salontisch stand. Ich rückte mein Kleid zurecht während ich in den Flur ging, zupfte noch mal an den Haaren um es noch ein Stück wilder aussehen zu lassen und petzte mir in die Wangen um das Rouge zu betonen, dann öffnete ich die Tür. Viktor stand vor mir.
Ein kleiner Mann, untersetzt und schleimig grinsend reichte mir die Hand. Er war kleiner als ich, ich war entsetzt, ich war geschockt. Mein Bild von Viktor brach in wenigen Minuten zusammen wie ein Kartenhaus, das von einem Windstoß umweht wurde. Da stand er, Viktor, und ich stand da, die Frau, die in wilder Erwartung einen Gigolo erwartete. Aber nur ein kleiner, untersetzter Gartenzwerg stand vor mir. Viktor hielt mir seine Hand entgegen und begrüßte mich, ich wunderte mich und wich einen Schritt zurück, dieser Ekel in der Stimme, ich erschauderte. All diese Mühe, das Baden, die Haare, das Kleid, das Schminken, alles umsonst? Ich konnte es nicht fassen. Am Telefon sagte ich doch eindeutig, dass ich einen Mann wollte und keinen Gartenzwerg. Ein Mann, er sollte mindestens einmeterachtzig groß sein, blondhaarig, muskulös, blauäugig und schmal, er sollte schmal sein. Ich verlangte doch wirklich nicht viel, nur einen Mann. Ich entschuldigte mich für einen Moment und bat Viktor, einen Moment im Flur zu warten. Schnell lief ich ins Wohnzimmer, nahm das Telefon und drückte einfach auf die Wahlwiederholungstaste. Ich wollte mich bei der Agentur beschweren, meine Meinung und eine Beschwerde wollte ich loswerden. Freizeichen, eine Ewigkeit war nur das Freizeichen zu hören. Ich tippelte mit meinen Fingern auf die Tischplatte als plötzlich ein großer, schlanker, dunkelhaariger, gut aussehnender Mann im Wohnzimmer erschien. Unwillkürlich legte ich den Hörer auf das Telefon, wie hypnotisiert stand ich auf, ging zu Viktor und umarmte ihn, küsste ihn und flüsterte ein unmoralisches Angebot in sein Ohr. Ein männliches Lachen und eine wilde Umarmung erreichten mich und ich drückte mich fester an Viktor heran. Ich presste meinen Busen an ihn und sah über seine Schulter hinweg. Der kleine Gartenzwerg lächelte schleimig und sagte:
„Viktor, eine Stunde.“, dann ging er und ich hörte, wie die Tür ins Schloss fiel.
„Fünfhundert und es ist alles dabei. Von vorne, von hinten und lecken, hundert extra und ich mache einen Striptease, zweihundert extra und ich lasse mich schlagen, keinen Kuss auf den Mund.“, sagte ich und drückte mich noch fester an Viktor.

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