Violettas Spielzeug

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Violettas Spielzeug

Violettas Spielzeug

Viktoria Tsiffa

Der Rauch brennt in meinen Augen. Der Rauch der Zigarette, den mir Violetta in`s Gesicht haucht. Bevor sie mich auslacht, sie mich sanft auf ein Augenlid küßt und sich dann mit süßer Trägheit aufs Bett zurückfallen läßt.
Und jetzt wird sie mich wieder eine Zigarette lang ignorieren. (Sie raucht oft und gerne und läßt sich viel Zeit dabei) Ich bin nur noch ein Geist während dieser Zeit. Oder ein Gegenstand, der so lange uninteressant scheint, bis er benützt wird.
Jetzt ist mir eine Zigarette lang nichts anderes erlaubt, als Violetta anzustarren. Violetta, eine Fünfunddreißigjährige. Da suhlt und räkelt sie sich in der Selbstverständlichkeit ihres nackten Seins. Da sie aus ihrem flachen Jungmädchen-Körper nicht herausfindet, ist sie gezwungen in diesem Körper zu altern... mit diesem Körper zu altern. Während sie dem Tod entgegenlächelt, vertreibt sie sich mit mir die Zeit.
Violetta liegt auf dem Bett, starrt an die Zimmerdecke und denkt nach. Sie sieht den graublauen Wolken nach, die zwischen ihren dunkelrot geschminkten Lippen vorquillen. Der Zigarettenqualm sieht aus wie ein Gespenst, das zur Zimmerdecke aufsteigt. Die Zigarette steckt in einem silbernen Zigaretten-Halter. Und den hält sie zwischen ihren schlanken Fingern. Finger, die mir so viele, süße Grausamkeiten antun.
Mir schmerzen meine Knie. Kniend ist die einzige, quälende Pose, die mir möglich ist, so dicht neben dem Bett.
Und das Telefonkabel schneidet ein, um meine über kreuz gefesselten Handgelenke, läßt die Adern bläulich unter blasser Haut hervorschimmern.
Einen unbestimmbaren Moment lang sehe ich auf meine schlanken Finger und die langen Fingernägel, die als Waffe nicht taugen. Ich sollte mir meine Krallen härten, anstatt sie durch Klarlack feucht schimmern zu lassen. Ich sollte sie scharf feilen lassen, um das nächste Mal den Hauch einer Chance zu haben.
Als ich den Ehering am Finger sehe, ist mir, als wären das gar nicht meine Hände, die an das Messing-Gestell des Bettes gefesselt sind. In einem winzigen Hotelzimmer, das so antiquiert und düster wirkt, wie aus der Chronologie der Zeit herausgerissen.
So fühle auch ich mich im Moment. Ausserhalb der Zeit in einer Ewigkeit gefangen, aus der ich nicht entkommen kann.
Ich bin nur noch ein Accessoire in diesem Zimmer. Ich werde von Violetta bewohnt, benützt. Und sonst? Schwere, rote Vorhänge vor den Fenstern. Ein glimmend grüner Lampenschirm presst wenig kaltes Licht in diesen kleinen Raum.
Dass ich mit meinem wunden Hintern kniend auf den Stiletto-Absätzen meiner Stiefeletten sitzen muß, macht meine erzwungene Pose nicht einfacher. Und kalt ist mir auch. Aber das graue, knappe Kostüm, das wie geschändet und weggeworfen auf dem Boden liegt, ist ohnehin nicht dazu geschaffen, mich zu wärmen. Ist nur eine zweite Haut, die ich hier leichtfertig abgestreift habe. Kein Kleidungsstück, das wärmt. Nur ein weiteres Accessoire, das dazu geschaffen wurde, Frauen wie mich der Kälte auszusetzen.
Und nicht mal meine Gedanken können diesen Raum verlassen. Der Regen, der draussen an die Fensterscheiben klatscht, als würde dieses Zimmer durch eine Autowaschanlage geschoben... der Regen verwäscht die Welt da draussen, löst sie auf. Und ich schmecke meine Tränen, schmecke bittersüßen Zorn auf meinen Lippen, als mir klar wird, dass es für mich keine Welt mehr gibt, ausserhalb dieses Zimmers.
Was soll ich tun? Ich habe mich in Violettas langen, dunklen Haaren verfangen. Ich habe mich von ihrer dunklen, feuchten Mundhöhle verschlingen lassen.
Ich hätte ihr meine Seele verkauft. Aber die wollte sie gar nicht. Nur meinen Körper. Meine Seele gab`s gratis dazu.
Und während sie ihre Finger überall unter meiner Haut stecken hat, stopft sie mir Geld ins weinende Gesicht, stopft mir damit das Maul. Und dann küßt sie mir Tränen unter die zitternden Augenlider. Und alles wird wieder gut für einen kurzen Moment.
Ich höre meine eigene Stimme. So als wäre der Augenblick ein Standbild und das Gesagte ohne Konsequenzen. Ich höre meine eigene Stimme und kann nicht glauben, dass ich das gesagt habe. "Ich hasse dich! - Ich will hier `raus!"
Violetta scheint zu lächeln. Aber vielleicht sitzt da nur ein Dämon hinter ihrer Haut und zerrt von innen an ihrem Gesicht. (...um aus ihrem Körper auszubrechen?)
Sie schlängelt sich aus dem Bett. Und obwohl ich im Hinterkopf keine Augen habe, sehe ich, wie sich Violetta hinter mich kniet. Ich spüre ihren heißen Atem in meinem Nacken und eine kalte Hand an meiner Brust. Das Letzte, was ich sehe, ist mein Augenpaar im Spiegel kalten Stahls. Und dann spüre ich etwas Kühles an meinem Hals.
Während etwas fließendes meine Brüste wärmt und das Blut aus meinem Kopf abfließt, halluziniere ich oder ich sehe wirklich eine große, glänzende Krähe die nervös durch diesen kleinen Raum flattert.
Sollte man in diesem Moment nicht sein komplettes Leben an sich vorbeiziehen sehen? Im Zeitraffer? In ineinander fließenden Bilder? Cinemascope?
Welches Leben? - Meine sechsundzwanzig Lebensjahre wurden getilgt, durch die sechs Wochen, in denen ich Violettas Spielzeug war. Sechs Wochen. Jeden schmutzigen, verschmierten Nachmittag lang.
Ich wache auf, aus meinem Albtraum. Und wo finde ich mich wieder? In einem kleinen Hotelzimmer, zu Füßen einer Frau gefesselt. Violetta. Die mich eine Zigarette lang mit Nichtbeachtung quält.

(Mein Dank an Hartmut Kraske, für diese Szene aus seinem Drehbuch "GRACE")

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