Vom Leben kosten

Margot – Eine Geschichte unter vielen in ihrer Zeit – Teil 1

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Vom Leben kosten

Vom Leben kosten

Svenja Ansbach

Als ich seine Finger auf meine Scham legte und er die Nässe spürte, zuckte er erschrocken zurück. Ich schaute in weit aufgerissene Augen. „Alles in Ordnung, Karl, mach weiter.“
Es war sein erstes Mal und ebenso mein erstes Mal nach einer langen, langen Dürreperiode. Und dann verschmolzen wir zu einem Körper und Karl wurde zum Mann.

Nach Mitternacht schrie der Säugling im Stubenwagen vor dem Bett. Ich holte ihn zu mir und legte ihn an. Karl war auch aufgewacht und schaute mir nun ganz selbstverständlich zu, wie ich ihn anlegte. Er schien beglückt: „Ist das ein schönes Bild, … ihr beiden.“

Eine Stunde vor dem Sonnenaufgang liebten wir uns erneut. Diesmal wusste Karl mehr anzufangen mit sich und mir. Ein neues Universum hatte sich für ihn eröffnet.
Rechtzeitig bevor der Zeitpunkt des befohlenen Antreten näherkam, lösten wir uns voneinander.

Als er das Haus verließ, drehte er sich zu mir um, wollte etwas sagen. Ich legte ihm einen Finger auf die Lippen: „Sch ... sch...! Sag nichts!“ Ich schaute in seine Augen und er akzeptierte das. Drehte sich folgsam um und trottete die Straße hinunter. Reihte sich in die Schar seiner Kameraden ein, die aus verschiedenen Quartieren kamen und nun alle dem Sammelplatz entgegenstrebten.
Kurze Zeit später stand er auf dem Dorfanger in den Reihen seiner Kompanie. Ein winziger grauer Punkt unter vielen winzigen grauen Punkten, für mich aus der Entfernung in der Masse nicht mehr auszumachen.
Dann marschierten sie ab. Ich war froh, dass sie dabei nicht an meinem Haus vorbeikamen. Ich hätte nicht gewusst, was ich hätte tun sollen, wie ich ihn hätte anschauen sollen.
Die Marschtritte und Kommandos waren längst verhallt, als ich immer noch vor dem Haus stand. Ich hatte diese Episode genossen. Mein Körper hatte sich geholt, was ihm so lange vorenthalten worden war.

Aber was war mit Karl? Würde ihn das stärken? Würde ihn das in seinem Willen bestärken wiederzukommen, diesen Krieg zu überleben? Jetzt, wo er vom Leben gekostet hatte?
Oder hatte ich ihm Ideen und Erfahrungen eingepflanzt, die ihm das Leben da draußen noch unerträglicher machen würden?
Ich wusste es nicht. Am Horizont verschwand der graue Wurm der Marschierenden hinter einem Wäldchen.
Auf der Koppel gegenüber schnaubte einer der Trakehner. Über dem Gras hing der Bodennebel. Es würde ein schöner Tag werden.

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