Nun aber genug der Sinniererei, wenden wir uns dem Harzingerwald zu, der nicht so heißt, aber so riecht. Ein Wald, so tief wie das Leben, so dunkel wie eine lichtlose Höhle, so reich an Harz- und Farndüften wie sie einst unsere Vorfahren, die Affen, hatten genießen dürfen, bevor es Menschen gab. Im Grunde erstaunt es noch immer, dass gewisse Weltreligionen sich auf ein zweitausendjähriges Dasein etwas einbilden. Jedes Krokodil mit einem Gehirn in der Größe einer Nussschale, mit einer überschaubaren Anzahl Synapsen, könnte jede Weltreligion bedenkenlos an die Wand kleben, oder, noch besser, sie mit seinem kräftigen Maul zerfetzen. Denn Krokodile gibt es seit Jahrmillionen. Somit sind sie, evolutionsbiologisch betrachtet, mehr Wert als alle Juden, Christen und Moslems zusammen.
Im Harzingerwald war es also, wo sich Sebastian, Kahleb und Samira ihren Körperstudien hingaben. Hier wollten Sebastian und Kahleb Samira, genauer gesagt, Samiras Vulva erkunden und mit ihr in Dialog treten. Die kleine Stadt, in der alle drei eine Buchhändlerlehre absolvierten, war nicht allzu weit entfernt, und selbstverständlich mussten sie damit rechnen, innerhalb von Sekunden von einem Dackel oder einem Rottweiler aufgespürt zu werden. Das erhöhte aber den Kick der drei, die sich alle mit pulsierenden Schläfen in den Sortimentsbuchhandel vertieft hatten. Samira arbeitete in der Comic-Abteilung, Sebastian bei den Landkarten und Kahleb im English Bookshop. Es versteht sich von selbst, dass Sebastian derjenige von den drei sein musste, der am meisten ausgehungert war, denn Landkarten geben in sexueller Hinsicht nicht allzu viel her, mit Ausnahme der Schweiz vielleicht, deren Umrisse an einen Panzerknacker auf der Flucht gemahnen.
Samira aber war wirklich scharf drauf, obwohl sie sich das niemals hätte anmerken lassen. Denn auch im Post-Penetrations-Zeitalter gab es Gepflogenheiten und Sitten, an die man sich zu halten hatte. Der letzte Funken Stolz sozusagen, der eine Welt ohne UNO, ohne EU, ohne Schweizerisches Rotes Kreuz, ohne Kinderhilfswerke noch einigermaßen in den Fugen hielt.
Vulva-Dialoge
Vulva-Dialoge - Teil 1
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