Dienstag nacht. Großstadt. Rauch auf den Straßen, stickiger Dampf in schmalen Gassen. Rosalinde zieht ihr rosafarbenes Seidenkleid an. Ihre Nacht beginnt. Wie alle Nächte. Mit einem Traum. Langsam schlüpft sie in die schwarzen Pumps, schließt die schmale Silberschnalle. Die Federboa um den Hals geschlungen verlässt sie das Zimmer.
Knut ist fett. Warum auch nicht. Do it your way. Seine Wegmarken sind Fast Food und Alkohol. Viel Alkohol. Seine Meilensteine zum Schafott.
Seit fünf Uhr morgens ist er auf den Beinen. Der Stock hält ihn aufrecht. Richard, den Rentner. Ein Senior, wie man so schön sagt. Pornos sind seine Leidenschaft. Titten wie Luftballons, Storys, die ihn an den Rand des Wahnsinns treiben und jede Menge rosige Haut. Es lohnt sich, das Leben. Auch im Alter. Gerade dann.
Langsam schließt sich das Metallgitter des U-Bahn-Schachtes. Nicht lautlos, auch im 21. Jahrhundert nicht. Es klirrt, als das Gitter den Boden berührt. Schluss für heute. Die Fahrgäste der U 75 finden ihren Weg, rechts aus dem Seiteneingang. Der Tag ist längst gelaufen, jetzt beginnt das Spiel der Nacht.
Sie seufzt. Es ist kalt. Langsam lässt sie sich in den weichen Ledersitz sinken, schlingt die Federboa noch etwas fester um den Hals. Sie spreizt die Beine. Er ist da. Sein Stock wandert ihre Waden herauf. Lange hat er auf diesen Moment gewartet. Den ganzen Tag, seit fünf Uhr früh. Er rückt näher an sie heran. Riecht „Baby Doll“, ihr Parfüm, meint, den Geschmack von Himbeere zu schmecken, als er vorsichtig ihren Mund küsst. Sie zittert. Seine faltigen Hände wollen sie wärmen. Hände, die viel ertastet haben, viel gearbeitet in all den Jahren. Und älter geworden sind. Jetzt liegen sie auf ihrem Busen. So soll es sein. Er stöhnt. Hoffentlich bemerkt sie seinen Mundgeruch nicht.
Knut kotzt. Endlich ist es raus, das ganze Zeug. Mit allem drum und dran. Alle Farbpaletten sind enthalten, kleine Klumpen, große Klumpen, all the life’s a stage. Er richtet sich auf. Das war’s. Sein heutiger Beitrag zum Bruttosozialprodukt. Irgendein blöder Ausländer wird das in einer Scheiß-ABM-Maßnahme wegwischen. Sein Werk ist getan. Wenn bloß die Farbe schwarz nicht wäre. Schwarz ist der Tunnel, in den die Gleise führen. Schwarz sind seine Hose, seine Jacke. Seine Zukunft ist schwarz, sein Haar wie eine schwarze Kappe auf dem Weg zum Untergang. Der Teufel wird ihn holen und er wird froh drum sein. Langsam steigt er die Treppe hinab. Die U 75 steht da wie jeden Dienstag. Einsam und verlassen bis auf den dritten Waggon von hinten. Wo sie es treiben. Die Hure und der Rentner.
Waggon der verlorenen Seelen
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