Überall umgeben uns Spuren der Geschichte, dennoch missachten wir die Erfahrung, die sie uns zuflüstern. Wir begehen weiterhin die gleichen Fehler. Jemand sagte einmal zu mir: „Wir können nur aus den Irrtümern der Vergangenheit lernen, wenn wir sie am eigenen Leib erfahren.“ - Das ist ein sehr trauriger Gedanke.
Leonard absolvierte gerade ein erzwungenes Urlaubssemester. Er hatte sich fälschlicherweise nach Abschluss der Regelstudienzeit zu seiner Prüfung anmelden wollen und war dabei auf Unverständnis von Seiten seiner Professoren gestoßen – „Sie wollen nach nur zehn Semestern ihr Diplom machen? Hören Sie, Ich habe vierzehn Semester studiert. Sie sind doch nicht besser als ich, bei mir fallen sie durch.“
Diese Zeit wollte er nun für eine Studienreise nutzen, bevor er seinen Zivildienst antrat. Die geplante Route führte ihn durch Süddeutschland bis in die italienische Schweiz. Die erste Etappe war der Besuch bei jahrelangen Freunden aus Kindertagen – Lyienne und Albert. Mit beiden stand er seit Jahren nur noch telefonisch in Kontakt. Weder wusste er wie sie heute aussahen, noch was sie beruflich machten. Er kannte Albert aus der Zeit, da sie gemeinsam einer sportlichen Leidenschaft nachgingen, aber auch das lag Jahre zurück. Lyienne war eine flüchtige Bekannte, die Albert während eines Familienfestes kennen gelernt hatte. Mittlerweile waren sie fast sechs Jahre liiert. Leonard wusste weder, ob sie sich bereits geehelicht hatten, noch ob sie bereits Nachwuchs heranzogen.
Er hatte sie als leicht untersetze Person in Erinnerung, die über deutliche feminine Attribute verfügte – kräftige Hüften, eine ansehnliche Oberweite, lange braune Haare, mit denen sie häufig aus Langeweile und Verlegenheit spielte, was Albert nicht ausstehen konnte, weil es ihn so sehr an seine Mutter erinnerte. Dabei wickelte sie einzelne Strähnen um die ihre Fingerspitzen, zog daran und wiederholte die Geste immer wieder mit weiteren Haaren.
Das Bild an Albert war verschwommen. Das lag vielleicht daran, dass Männer sich weibliche Reize besser einprägten als maskuline. Sicher gibt es auch hier Ausnahmen. Das war ein Charakterzug, an den Leonard in Bezug auf Albert dachte. Er war etwa einen Kopf kleiner als Leonard, aber stets durchtrainiert, im Gegensatz zu Leonard, der seine gesunde Lebensweise dem Genuss jeglicher Art, zu opfern wusste.
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