Walpurgis

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Walpurgis

Walpurgis

Anna Kühne

Die drei jungen Frauen hatten beschlossen, dies eine Hexennacht so recht nach ihren Vorstellungen werden zu lassen. Sie wollten vor allem eines - unheimlich viel Spaß.
Alle drei hatten sie tief in die Trickkiste modischer Herausforderungen gegriffen. Angela mit ihrer langen blonden Mähne machte schwer auf Scheherezade, mit bauchfreiem Top und weiten, golddurchwirkten Pluderhosen, Heike war die coole Rockerbraut mit nietenblitzenden Stiefeln, Ledermini und atemberaubendem Dekolleté, und Nina spielte Vamp schlechthin. Sie kicherten längst, bevor sie sich überhaupt auf den Weg machten, denn gegen eventuell aufkommende Hemmungen hatte jede schon mal ein bißchen ins Glas geguckt. Schließlich waren sie eigentlich eher brave Arbeitnehmerinnen…
Es war recht lau für diese Jahreszeit, aber das störte die drei Hexchen keineswegs, es führte nur dazu, daß bereits der Taxifahrer, von dem sie sich in die City kutschieren ließen, Stielaugen bekam. Er hatte ganz klar Mühe, seine Augen auf die Straße gerichtet zu halten. Immer wieder schielte er in den Rückspiegel. Die drei Grazien kicherten und flüsterten miteinander.
"Na, wohl auf Abenteuer aus heute nacht, wie?" konnte der Kutscher nicht umhin, sich nach dem Offensichtlichen zu erkundigen. Er fühlte sich nicht ganz wohl in ihrer Gegenwart, und das gefiel ihnen, denn genau das hatten sie im Sinn. Sie wollten sehen, wie die Kerle zu beweisen suchten, daß sie mit geballt auftretender Attraktivität umzugehen wußten. Sie wollten sich daran ergötzen, wie die Männer auf die Herausforderung eingingen, gleich, ob sie ihr gewachsen waren oder nicht.
"Ja", antwortete Heike keck, "wir sind alle drei Singles und auf der Suche nach dem Mann fürs Leben!"
"So, so. Einer für alle? Oder alle für einen?" Der Taxifahrer grinste zufrieden über seine Schlagfertigkeit.
"Schaffen Sie denn alle?" fragte Angela zuckersüß.
Er blieb die Antwort nicht schuldig. "Möchten Sie es mal versuchen?"
"Ach, nö…" maulte Nina. "Laßt uns lieber weitersuchen…"
"Gefalle ich Ihnen nicht, junge Frau?"
Nina besah ihn sich skeptisch. Es war überhaupt nichts Aufregendes an ihm. Ein Kerl Anfang Dreißig, unauffällig, wenn auch nicht eben abstoßend. Das großkarierte Hemd war ebenso langweilig wie der vor der hohen Stirn zurückschreckende Haaransatz.
"Es geht so." Sie wollte nicht unhöflich sein. Doch was bildete der sich ein? Daß er in seinem Aufzug ihr in ihrem das Wasser reichen konnte? Sie sah gnädig aus dem Fenster, ihm weitere Peinlichkeiten ersparend.
Als er sie an der gewünschten Diskothek absetzte und sich für das Trinkgeld bedankt hatte, stieg er eilig aus und öffnete wie ein Lakai die Wagentüren. Nina war bereit, das Spiel durchzuziehen. Sie blieb sitzen, bis er auch zu ihrer Seite herüberkam und ihr den Schlag öffnete. Wie eine Diva aus ihrem Rolls Royce stieg sie aus dem hellgelben Benz. Als sich ihre Blicke kurz trafen, vermeinte sie Ironie in seinen Augen zu erkennen. Damit war er für sie erst recht gestorben.
"Hüten Sie sich vor dem Teufel, meine Damen. Er ist unterwegs in einer Nacht wie dieser."
"Klar doch." Heike hauchte ihm ein Küßchen zu.
Täschchen- und hinternschwenkend gingen sie auf die offene Tür der Nachtbar zu. Der Laden hieß "Hexenkessel" und war heute nacht natürlich total überlaufen. Es war in den dünnen Fetzen, die sie anhatten, nun doch ein wenig kühl draußen, und sie schlüpften eilig hinein in die dicke, qualmige Luft der Bar, nachdem sie ihre für teures Geld erstandenen Eintrittskarten vorgezeigt hatten.
Es war krachend voll, die Tanzfläche bisher jedoch nur mäßig gefüllt. Es war ja auch noch nicht einmal Mitternacht. Die meisten Gäste saßen oder standen herum und taxierten die anderen. Frauen begutachteten Frauen und schauten sich um, ob einer oder mehrere von den Männern ihnen interessant erscheinen mochten. Und nichts anderes tat auch das soeben eingetroffene Trio, das seinerseits erhebliche Aufmerksamkeit erfuhr. Mit hoch erhobenen Köpfen und sich ihres Schauwertes sehr wohl bewußt erwiderten Angela, Heike und Nina die giftigen Blicke ihrer Konkurrentinnen. Sie waren ganz klar die Königinnen im Hexenkessel. Auch die Männergesichter, deren Ausdruck von betont unbeeindruckt bis fasziniert reichte, bestätigten das.
Heike ging hinüber zum DJ und erkundigte sich, wann es denn hier richtig losginge.
"Wenn Damon da ist."
"Wer ist das?"
"Damon ist Damon. Ihr werdet schon sehen. Dann bricht hier die Hölle los."
"Und wann darf man mit diesem Ereignis rechnen?"
Der DJ schaute lässig auf seine Uhr.
"Viertelstunde oder so."
Heike hauchte auch ihm eines ihrer unvergleichlichen Küßchen zu, von dem sie wußte, er würde sich nicht sicher sein, ob er es albern oder elektrisierend finden sollte.
Sie übermittelte Angela und Nina die vielversprechende Nachricht, und sie bestellten sich drei Martinis.
"Schreib die Drinks auf meine Rechnung, Zille!" ertönte es sonor von rechts.
Angela warf ihre blonden Locken zurück und hob die Augenbrauen. Sie neigte den Kopf ein wenig und schoß einen vielsagenden Blick zu dem Mann, dem die sonore Stimme gehörte. Er sah ausgesprochen gut aus, breitschultrig, südländischer Typ, vermutlich so etwas wie ein Bauarbeiter. Es knisterte zwischen den beiden, jeder konnte es spüren.
Heike und Nina sahen sich an. Sie kicherten leise und prosteten sich kommentarlos zu, denn sie wußten Bescheid. Für Angela war der Abend bereits gelaufen. Auf genau solche Typen fuhr sie ab. Rettungslos.
Heike und Nina sahen sich um, ob auch für sie was dabei war.
"Siehst du den da drüben? Mit den langen blonden Haaren?" Nina sah. Ein Rocker mit muskulösen Beinen in knallengen Lederhosen. "Warte ab, bis er sich umdreht, meine Gute", unkte sie. "Das kann alles ändern."
Während sie noch gespannt warteten, ob der Erspähte nicht endlich sein Gesicht zeigen wollte, entstand Tumult an der Tür.
"Ah, jetzt kommt wohl der Herr der Nacht", spottete Nina. "Punkt Zwölf!"
Doch das maliziöse Lächeln auf ihren Lippen verschwand. Was sie sah, war einfach überwältigend.
Begleitet von einer Traube begeisterter Gäste, schritt da tatsächlich der einher, der der Herr dieser Nacht sein mußte. Großgewachsen und schlank wie ein Tänzer, mit geschmeidigen Bewegungen, die diesen Eindruck noch verstärkten, in Satin-Jeans und feuerrotem, transparentem Rüschenhemd, verschlug sein Erscheinen der gesamten anwesenden Weiblichkeit die Sprache. Bei jedem anderen mit weniger stolzem Auftreten und weniger magischer Anziehungskraft hätte dieses Outfit schlicht lächerlich gewirkt. Aber bei ihm, der im seiner harrenden Hexenkessel erschien wie ein Komet, verstärkte es nur den Bann, in den alle – auch die Männer – nun gerieten.
Wie der Rattenfänger von Hameln zog er zur Tanzfläche, gab dem DJ ein unmerkliches Zeichen und begann zu tanzen. Was bisher noch das Parkett mit im Vergleich unbeholfenen Bewegungen verunziert hatte, verließ selbiges nun fluchtartig. Denn hier produzierte sich jetzt ein Könner, ein Star, ein Künstler! Präzise, kraftvolle Bewegungen, lodernde Blicke aus feurigen Augen, so legte Damon – denn das mußte er sein – einen donnernden Flamenco hin, daß den Frauen die Tränen in die Augen traten.
Als er geendet hatte, tobte ein Orkan von Beifall los, den er lächelnd entgegennahm.
Nina war verloren. Den da wollte sie, und keinen anderen. Aber wie an ihn herankommen? Sie sah verdammt gut aus heute nacht, das wußte sie. Aber reichte das? Gott, was für ein Mann!
Der DJ legte neu auf, einen peitschenden Top-Ten-Hit. Innerhalb von Sekunden war auf der Tanzfläche kein Quadratzentimeter mehr frei, und der Herr der Nacht heizte die Stimmung mit seiner Stimme an, auf einem kleinen Podest im Scheinwerferlicht stehend und über ein Mikrofon Mystisches von sich gebend:
"Willkommen im Hexenkessel, meine Lieben! Heute ist die Nacht der Nächte, die Nacht des Lebens, die Nacht der Lust, die Nacht der Leidenschaft, die Nacht der verlorenen Seelen!"
Seine Augen schienen etwas zu suchen – oder jemanden? Nina starrte zu ihm hinauf, während sie sich wie im Trance nach der Musik bewegte. Er sollte ihren Blick finden, wenn der seine zufällig auf ihr Gesicht fiel. Und dann…
"Reiht euch ein in den Reigen, stampft mit den Füßen, schüttelt euer Haar, laßt eure Körper im Rhythmus tanzen! Fühlt den Rhythmus, nehmt ihn auf in euch, laßt euch treiben! Heute ist die Nacht der Nächte, Walpurgas Nacht. Eure Nacht! Meine Nacht!"
Und so wie er sagte, so taten sie. Das Lokal machte seinem Namen alle Ehre. Die Tanzfläche brodelte im zuckenden Wechsel der Scheinwerferstrahlen, die Dämpfe der schwitzenden Leiber machten die Luft zähflüssig, der Mangel an Sauerstoff ließ die Gehirne fiebrig und träge werden.
Noch einmal kam der Magier von seinem Podest herunter, schwitzend auch er. Erneut hämmerten seine Absätze auf dem Parkett, reckte er die stolze Brust, sprühten Funken aus seinen Augen. Er wirbelte umher in dem engen Kreis, der sich um ihn gebildet hatte. Noch immer schien er zu suchen. Nina stand in der vordersten Reiher derer, die ihn bewundernd umringten.
Und da geschah es endlich – ihr Blick traf den seinen und versank wie in einem bodenlosen Abgrund. Sie wußte nicht, daß sie sich bewegte und sich im Tanz zu ihm gesellte. Alles, was sie sah, waren seine Augen, die sie festhielten, führten, leiteten. Damon‘s glutvoller Blick galt nun ihr, er hatte sie zur Königin auserkoren, zu seiner Königin der Nacht. Und sie gab sich ihm willenlos hin. Sie fühlte sich auf das Podest gehoben, sah seine zwingenden Augen auf sich gerichtet, während die Menge skandierte:
"Ausziehn! Ausziehn! Ausziehn!"
Sie konnte nicht wegschauen von seinem schönen dunklen Gesicht, seinem herausfordernden, temperamentvollen Blick. Ihre Hand hob sich wie von selbst. Er sollte nicht enttäuscht werden von seiner Königin. Sie würde hier einen so affengeilen Strip hinlegen, daß allen der Atem stockte. Sie würde es nur für ihn tun, für diesen wunderschönen Walpurgis-Dämonen, der sie begehrte, auf den sie so lange gewartet hatte. Dies war die Nacht der Nächte, die Nacht ihres Lebens, und sie würde sie nutzen!
Eine Hand ergriff Nina und zerrte sie vom Podium. Ihr wurde schwindlig und schwarz vor Augen. Sie fiel und wurde von Damons starken Armen sicher aufgefangen. Sie fühlte, wie er sie forttrug. Es tat so wohl, von diesen Armen getragen zu werden, daß sie sich nicht wehrte.
Als Nina wieder zu sich kam, lag sie auf einem Sofa, eingekuschelt in eine weiche, warme Decke. Sie roch den Kneipengestank in ihren Haaren, die ihr ins Gesicht fielen, und strich sie angeekelt nach hinten. Ein wenig hob sie den Kopf und blinzelte in ein sonnendurchflutetes Zimmer. Sie versuchte sich zu erinnern, was geschehen war, nachdem dieser… Dämon… sie fortgetragen hatte. Hatte er…? Hatte sie…?
Das Zimmer sah mehr nach Studentenbude aus. Wo, zum Teufel, war sie hier?
Eine Balkontür stand weit offen, zarte Vorhänge bewegten sich leicht im Wind, der von draußen hereinwehte und den Geruch nach frischer Erde mit sich trug. Jemand stand dort auf dem Balkon, die Arme auf die Brüstung gestützt.
Ein Mann.
Damon?
Nina erhob sich und stellte fest, daß sie bis auf ihre mörderischen Absatzschuhe noch alles anhatte, was sie im Hexenkessel getragen hatte. Auch ihren Slip.
Mit unsicheren Schritten ging sie auf den Balkon hinaus.
Der Mann wandte sich um. In seinen Augen war kein Feuer, sondern sanfte Gutmütigkeit.
Sie erblaßte unter ihrer verschmierten Schminke.
Es war der Taxifahrer.
"Hatte ich nicht gesagt, in dieser Nacht ist der Teufel unterwegs?"

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