Mit den beiden Kindern in der Familie wurde Frau Andersson von ihrer Airline über die Weihnachtsfeiertage und auch zwischen den Jahren nicht für irgendwelche Flüge disponiert.
Am Sonntag, Heiligabend, war Olivia auf Claras Wunsch mit ihr zum Grab ihrer Mutter gefahren. Leon musste mit. Das Mädchen tauschte einen Teil der Bilder gegen neue und zündete die auf dem Weihnachtsmarkt erstandene Kerze an. Heute war etwas anders. Denn Clara begann zu schluchzen und steigerte sich relativ schnell in einen Weinkrampf hinein. Leon stand schockiert und hilflos neben seiner Schwester und Livia, die Clara natürlich in den Arm genommen hatte, um ihr Halt zu geben.
„Immer wenn Du an Sie denkst, ist deine Mama bei Dir!“ Olivia versuchte alles, um ihre Adoptivtochter zu beruhigen. Leon zupfte an der Jacke seiner Schwester und fragte, was mit ihr sei.
„Mama kommt nicht wieder…“ stellte das Mädchen schluchzend fest. Die Anderssons hatten gehofft, dass die Trauerphase vorüber sei. Vergebens, wie der heutige Nachmittag zeigte. Eineinhalb Jahre waren seit Martinas Tod vergangen. Eine Psychologin, die Olivia befragt hatte, konnte an Clara keinen übermäßig depressiven Zustand feststellen. „Sie machen alles richtig!“ war das Resümee der Frau vom Fach. „Es kann Jahre dauern…“
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Völlig überraschend standen an Heiligabend abends plötzlich Mareike und Hendrik vor der Tür. Die Kinder freuten sich riesig. Natürlich auch über die mitgebrachten Geschenke!
Apropos Geschenke: Leon besaß ja alles an Fahrzeugen, die er in seinem Alter irgendwie bewegen konnte. Traktor, Bagger, Laufrad, Roller und ein Fahrrad. Und jetzt zu Weihnachten bekam er ein neues Fahrrad. Fast ein bisschen zu groß, Mountainbike ähnlich, mit zwei Handbremsen und Siebengangschaltung!
Alle mussten mit raus und nach kurzer Einweisung durch Martin, der auch den Sattel blitzschnell einstellen konnte, fuhr Leon damit los. Als hätte er nie ein anderes Rad besessen! Das Schalten würde er ganz schnell in den Griff bekommen, da waren sich Eltern und Großeltern einig.
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„Wir fliegen aber am 27ten nach Helsinki mit Daniela und den Kindern!“ Liv versuchte ihren Eltern beizubringen, dass sie gleich nach dem zweiten Weihnachtsfeiertag für ein paar Tage verreisen würden. „Ihr könnt selbstverständlich hierbleiben, euch entspannen und den Pool nutzen.“
„Deine Freundin wandert aus?“ Vor allem Mareike bedauerte Olivia für den Verlust. Was die Situation allerdings nicht verbesserte. Olivia ging das schon nahe! Insgeheim…, nein, Olivia gönnte ihrer Geliebten dieses neue Leben von ganzem Herzen!
„Und ab!“, trötete Leon, als die Triebwerke hochdrehten und die Maschine sich in Bewegung setzte. Er konnte sich noch ganz genau an die Durchsage seiner Mama von den Urlaubsflügen von und nach Kos erinnern.
„Darf ich Sie ganz persönlich bei uns an Bord begrüßen, Frau Andersson?“ Der Kapitän der finnischen Airline war nach etwa einer halben Stunde Flug auf Olivia zugegangen und reichte ihr die Hand.
„Wie komme ich denn zu der Ehre?“ fragte Liv und nahm seine Hand entgegen.
„Nun, wer ihren Namen nicht kennt, der lebt nicht in der Welt der Fliegerei! Schon allein, dass Sie den Hersteller dazu bewegen konnten, die Software für die 350 zu überarbeiten, hat uns aufhorchen lassen. Wir fliegen den Typ nämlich auch.“
Olivia grinste: „Oh, das war spannend!“ Sie verriet, dass sie den Flieger zweimal beinahe zum Absturz bringen musste, um den Softwarebug zu beweisen.“
„Ja, und den Herrn Radke kenne ich auch…!“
„Micha? Oh, wie schön!“ Olivia dachte kurz daran zurück, wie er von den Stewardessen am Leben gehalten wurde und sie alles Menschenmögliche unternahm, um die Maschine schnellstmöglich auf den Boden zu bringen. „Dem geht es wieder gut!“
„Wenn Sie möchten, dürfen sie gerne vorne Platznehmen und weiterfliegen…“ offerierte der finnische Flugkapitän seiner deutschen Kollegin.
„Tatsächlich habe ich sogar noch die Zulassung für die A320;“ entgegnete die blonde Pilotin dem finnischen PiC. „Aber danke für das Angebot! Ich bleibe lieber hier bei meiner Familie!“
Der Kapitän sprach Leon an, der direkt neben Olivia saß: „Du hast eine tolle Mama!“
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„Da liegt ja richtig viel Schnee!“, erkannte Leon schon vom Flieger aus. Die erste Schneeballschlacht lieferten sich klein und groß bereits auf dem Weg zu dem von Gerhard gemieteten VW Bus. „Für sechs Leute und Gepäck brauchst Du den schon“, bestätigte auch Martin. Der Flughafen lag am Rande von Helsinki. Die Fahrt dauerte etwa eine halbe Stunde, bis sie vor einem, man möchte fast sagen typisch finnischen Haus anhielten.
„Die Vorbesitzer sind erst kurz vor Weihnachten ausgezogen in eine Seniorenresidenz;“ erklärte Danielas Mann. „Und wir haben uns sofort in das Haus und die Gegend verliebt!“, fügte Ela an. „Kommt rein…“
Leon durfte als Erster. Er schaute sich ganz genau um. Jede Ecke und in jedes Zimmer. Daniela öffnete die Terrassentüre und die beiden Frauen gingen hinaus.
„Schön hier…“ gab Olivia neidlos zu.
„Mir blutet auch das Herz…,“ Das musste Ela einfach loswerden und drückte ihrer Geliebten ganz sanft ein Küsschen seitlich auf den Hals.
Beide bedauerten, dass sie nicht einmal die Zeit hatten, sich so richtig zu verabschieden. „Dass meine Eltern auftauchen würden, habe ich nicht mal geahnt!“
Die Männer brachten inzwischen das Gepäck ins Haus.
„Wo ist eigentlich Clara?“
„Die ist draußen und spielt mit der Nachbarskatze;“ antwortete Martin.
„So eine ganz normale Graugetigerte mit Halsband?“
„Ja, ich glaube schon.“
„Das ist unsere…!“ Daniela lachte und erklärte, dass sie den Vorbesitzern versprochen hatten, das Tier zu übernehmen und weiter zu versorgen.
Bei Kaffee und Säften für die Kinder begeisterte man sich für die Schönheiten dieses Landes und der Gegend hier. „Wir werden die Möbel, wenigstens zum Teil, sicherlich erneuern;“ erzählten Gerhard und Daniela beinahe gleichzeitig. „Wir möchten die Wände neu streichen und es uns so richtig gemütlich machen!“ Daniela schien dieser Neustart wirklich zu begeistern.
Da Olivia darauf bestand, die Penthousewohnung wenigstens für ein Jahr für die befreundete Familie freizuhalten sollte das Projekt Finnland schiefgehen, blieben die Möbel der Grubers in Hallbergmoos zurück.
Gerhard stellte dann die Frage der Fragen: „Nun, Leon. Darf deine Freundin hierbleiben?“
Der Junge schaute Daniela mit breitem Grinsen an. „Ist Okay! Aber wir dürfen euch öfter mal besuchen?“
„Natürlich Leon! Ihr und eure Eltern seid jederzeit willkommen!“
„Und Du, Clara? Was sagst Du?“ Gerhard wollte auch die Zustimmung des Mädchens.
„Leon und ich kommen euch besuchen! Und die Katze!“ Clara rutschte vom Stuhl und ging auf eine der Taschen zu. Zurück kam sie mit einem gerahmten Bild. „Damit ihr uns nicht vergesst!“ Abgebildet waren alle vier Mitglieder der Familie Andersson.
Dann ging es um die Verteilung der Schlafplätze für die Nacht. Das Haus sah zwar schick aus, es gab aber neben dem Vorratsraum nur ein Schlaf- sowie ein Gäste- bzw. Kinderzimmer, ein großes Bad, eine extra Toilette und die kombinierte Wohnküche. Das tollste, will man Leon glauben, war die großzügige, bis zum First reichende Glasfront Richtung Süden des Küchen- und Wohnbereiches.
Die erste Nacht wollte weder Martin noch Olivia die neuen Hausbesitzer aus dem Schlafzimmer vertreiben. Beide bestanden darauf, auf der Eck-Couch im Wohnzimmer zu schlafen. Daniela war das überhaupt nicht recht, aber Gerhard konnte sie dann doch überzeugen.
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