Weihnachten blüht der Jasmin

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Weihnachten blüht der Jasmin

Weihnachten blüht der Jasmin

Eva Wittmann

"Hast du die Sendung gehört?" Tomaso wurde übertönt von "Teddy y Sabor Latino!"
Minni schreckte auf, machte einen Buckel und hörte erst auf zu fauchen, als der Lautsprecherwagen um die Ecke bog. Oh du Fröhliche! Es war der 23. Dezember.
"Und morgen, Tomaso Acosta proudly presents! Klassisch, you know -"
"Zum Beispiel ein paar Anekdoten aus dem Theater?"
"Preciosa, du kennst mich erschreckend gut."
Tomaso setzte sich in den Sessel neben der Anlage vis a vis und stellte die Teetasse ab.
"Mit Verlaub, du siehst bezaubernd aus."
Dann lehnte er sich zurück, schlug die Beine übereinander und strich das Haar zurück.
"Anders."
Er fuhr über das akkurate Oberlippenbärtchen. -
"Etwas verträumt. Nahezu fremd. - Ich liebe es Unbekanntes zu entdecken."
Luisa lachte. "Verrückter."
Es ließ sie auf der Stelle alle Übel vergessen. Seit sie ihn kannte, waren sie knapp bei Kasse. Seit sie ihn kannte, setzte er auf den nächsten genialen Einfall. - Herrgott, so verzieh sie ihm jeden Reinfall. Tomaso setzte die Kopfhörer auf und oben aus dem offenen Fenster wehten Bandoneonmelodien. Ihr fiel die nächtliche Fahrt kurz nach der Ankunft ein. Weißes Leder. Warmer Fahrtwind. Emilio am Steuer. Sie neben Tomaso auf dem Rücksitz. Luisa klappte ihr Buch zu. Dabei fiel die Stromrechnung raus. Aufdringliche Ziffer auf schnödem Grau. Ein Sakrileg gegenüber den Welten, die Tomaso verstand ihr zu öffnen. Von einer plötzlichen Eingebung beflügelt, nahm sie ihm die Kopfhörer wieder ab und strich ihm die undisziplinierte Strähne aus der Stirn.
"Lass uns morgen feiern."
"Gut. Seht gut. - Aber wieso eigentlich erst morgen?"
Wie ein freches Reptil öffnete seine Zunge ihre Lippen. Die Liebe ist Kunst, die Kunst Liebe. Eine Lebensphilosophie, von der sie sich immer wieder gerne überzeugen ließ. Luisas Weg führte gleich am Morgen in den dritten Stock. Auch wenn Emilios Lebemannhabitus eine verbindliche Zusage nicht zuließ, er würde kommen. Und zwar in Begleitung. Die Leidenschaft, die Leidenschaft. Ihre Einkäufe erledigte Luisa gleich in der Straße und obwohl vor der eigenen Tür der Jasmin üppig blühte, kaufte sie dem kleinen Indio ein duftendes Sträußchen ab. - Wegen der Erinnerung.
"Großes Ehrenwort, keine Sekunde werde ich von der Sendung verpassen," verabschiedete sie Tomaso, um darauf verschmähte Schätze zu inspizieren - Damals.
Strümpfe, Schuhe, Dessous. Geschenke Tomasos. In Hemden hatte sie rebelliert. Nicht Tomaso, ihren Vorgängerinnen gegenüber. Luisa erhob sich von der Bettkante und betrachtete ihr Spiegelbild. Als ob der Bildhauer die Form klarer herausgearbeitet hatte. Dabei fühlte sie sich runder. Tomaso, der Rolle, eigener Weiblichkeit eher gewachsen. Luisa fischte zwei einzelne Seidenstrümpfe aus der unteren Schublade. Zusammennehmen, über den Fuß legen, vorsichtig hochrollen. . . Gekonnt!
Sie stieg in die Schuhe aus samtigem Leder und lackierte sich rasch die Fingernägel. Erst dann erlaubte sie sich den zweiten Blick in den Spiegel. Zufrieden begann sie in der kleinen Küche ihre Vorbereitungen zu treffen. Pünktlich schaltete sie das Transistorradio ein. An Kunstschnee bei Hochsommertemperaturen hatte sie sich nie gewöhnen können, doch ertappte sie sich dabei, wie sie innehielt. Das mit der Illusion hatte er raus. Klar, bei der Stimme! Die hatte gleich gewirkt und mit zu dem wahnsinnigen Entschluss geführt. Kurz vor Weihnachten waren sie in Buenos Aires angekommen. Üppig hatte da auch ihre die Fantasie geblüht. Luisa gab sich mit dem Bariton der Erinnerung hin. Hoffnungen, die sich nicht erfüllt hatten, sicher nie erfüllen würden und die doch da waren. Noch immer!
Mit drei Minuten Verspätung stand Emilio klein und rund vor der Tür. Ein Pfiff.
"Luisa! -Traum meiner schlaflosen Nächte!"
"Pardon", kurzerhand schob sich Tomaso dazwischen.
"Caramba!" Sein Hände rutschten in die ausladende Kurve, hielten an , packten zu und wollten dann den Seitenschlitz erforschen.
"Halt!" Mit gespielter Entrüstung wehrte sie ab. Sie nahmen vor weißem Damast Platz und stießen in Gläsern mit Kunstschliff aus Großmutters Nachlass an. Die Lampions lachten, die Grillen zirpen, der Jasmin duftete, was mehr? Zwischen Patio und Küche nahm Luisa die Würdigungen ihrer Reize entgegen. Tomasos äußerten sich unverschämt beiläufig. Beiläufig streichelte er ihr Gesäß, beiläufig den Strumpf durch den Schlitz. Besitzerstolz gönnte sie ihm, gönnte ihn sich, doch sollte Emilio auch nicht darben. Sie beugte sich vor. Darauf hob Emilio das Glas:
"Mi Vida, la vida! - Aiiii", er seufzte. "La vida, la vida!"
Es galt denen, die auf breiten Rücksitzen den warmen Fahrwind genossen. Es galt der Liebe, der Leidenschaft, der Weiblichkeit an sich und veranlasste Luisa sich an Tomasos Wange zu reiben. Für Emilio die Aufforderung zum Bandoneon zu greifen. Erste Töne. Verhalten. Gedanken untermalend, die irgendwie mit Flan und Karamelsoße zu tun haben mussten. Versonnen netzte Emilio sich die Lippen, um dann plötzlich in die Tasten zu greifen. Er sank zusammen, verharrte. Luisa atmete auf, als er in die Harmonie überging. Sie löste sich von Tomaso, um die Szene von der Tür aus zu betrachten. Schon stand Tomaso auf.
"Teuerste, ich hoffe es ist klar, was du da mit mir machst?"
Unmerklich drückte er sie gegen den Türrahmen, suchte wieder den Schlitz. Langsam fuhr er von der Kniekehle zum Band, verweilte, überschritt die Grenze zur Haut. Ein flüchtiger Kuss. Er verschwand in der Küche und Emilio spielte versunken von Paris und dem alten Berlin. Als Luisa gesalzene Pistazienkerne nachfüllte, nutzte Tomaso die Gelegenheit und zog sie auf den Schoß. Emilio hob das Glas und zwinkerte Tomaso zu:
"Aiii la vida!"
Er ging über zu einer anderen Melodie, spielte für sie. Für sie und Tomaso spielte er jetzt. Spielte von Träumen, die am Rio de la Plata anlegten, von der Sehnsucht, die durch die Haare strich. Tomasos Nase an ihrem Hals wie schnaubende Nüstern. Endlich die Rezitation! Eine sehr schöne Gabe, die immer wieder für ergreifende Momente sorgte. "Weihnachtsfriede" passte insofern zum Tango, weil Tomaso den Takt anpasste und seinen Unterleib dezent als Metronom einsetzte.
"Wenn der klare Klang der Glocken, in das Herz so leise dringt."
Schön! Emilio hatte den Klang der Glocken dann auch vernommen und fuhr einfühlsam die Musik raus. . .
Bald darauf ging das Licht im dritten Stock an. Nein, die Illusion ließ er nicht erlöschen. Die Illusion war ja für Luisa. Romeo und Julio im leeren Theatersaal. Der Beleuchter hatte schon die Lichter gelöscht. Aber es gab einen alten Hausmeister in Puschen. Der hatte die beiden entdeckt und dann noch mal leise Musik angestellt, weil Romeo sich gerade über Julia beugte.
"Und der klare Klang der Glocken, in das Herz so leise dringt. . ."
Tomaso küsste sich den Hals runter in den Ausschnitt. Auf dem schweren runden Tisch brachte er Luisa in die Waagerechte. Und die Hand war gut. Gut war die Hand. Ihren Spann streicheln, ihre Fessel packend. Er ließ wieder los, huldigte der Seide. Unendlich sanft. Der ganzen Länge ihres dunkelbestrumpften Beines. Dann arrangierte er auf zwei Gartenstühlen ihre Beine. Er beugte sich vor und löste ihr Haar. Luisa schloss die Augen. Und während sie sich vorstellte, welches Bild sie ihm bot, sie mit jeder losen Haarnadel eine andere wurde, schob sich die Hand unter ihr Kleid.
"Herrgott, was machst du mit mir?" Ein Griff.
"Aua, der Tisch!"
"Es gibt keine Lage, die man nicht veredeln könnte durch Leisten und Dulden. - Goethe."
Tomaso öffnete die Hose. Und es war nicht ihre Scham, nicht mehr seine Hand. Glühende Blöße zwischen den Strümpfen. Sie wusste, ihr Anblick reizte ihn unglaublich. Doch würde er sich zurückhalten. Auskosten würde er. Jeden Impuls, jede Regung. Und sie weiter betrachten. Wie in einem offenen Buch würde er in ihr lesen.
"-Gestatten?"
Er zog ihren Ausschnitt tiefer. - "Göttlich!"
Kreisende Daumen um dunkle Höfe. Und er sah zu, wie sie sich zusammenzogen, wie aus Warzen Nippel wurden. Sich gierig ihm entgegenreckend.
"Himmlisch!"
Seine Berührung war flüchtig. So flüchtig, dass es sie heiß durchzuckte. Fließen zwischen den Strümpfen. Und Emilio erzählte Geschichten. Weit weg, als wiegte er ihr Boot, bis Tomaso es stürmisch bestieg. Die ungeahnte Leidenschaft versetzte Luisa einen Stich. Es rebellierte. Nicht Tomaso, ihren Vorgängerinnen, - Dessous gegenüber. Emilo fuhr in die Tasten, schürte die Glut . . .
Luisa atmete auf, als Tomaso mit ihm in piano überging. Die Grillen zirpten, der Jasmin dufte -
"Preciosa!"
Alles schien wieder möglich. Der Rücksitz war breiter, der Fahrtwind warm und sie trug solche Strümpfe. - Ja, Beine würde sie zeigen. Und dann würden sie tanzen. Roter Teppich oder spiegelndes Parkett.
Luisa schlang die Beine um seine Hüften. Durstig. Und er während er sie nahm, nannte er sie Teuerste. . . nannte sie Schönste. . . nannte sie Liebste. . .
"Aiii, la vida! - La vida, la vida."
Oben schloss sich der Vorhang und unten läuteten die Glocken.
Himmel, wie duftete dieses Jahr der Jasmin.

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