„Nein, bitte nicht …, nicht schon wieder …!“
Eiskalt lief es mir den Rücken runter. Ohne, dass die anderen Frauen auch nur ansatzweise ahnen konnten, warum, sprang ich auf und rannte, den Tränen nahe, ins Haus.
Fast wäre ich über Chris gestolpert, weil er mir mit einem Tablet mit frisch gemachter Limonade entgegenkam. Gläser, Tablett, Limonade …, alles flog im hohen Bogen durch die Luft und verteilte sich in tausend Teilen und mehreren Pfützen auf dem Marmor. Hilfesuchend klammerte ich mich an meinen Schatz, der sofort seine Arme schützend um mich legte.
„Hey, hey, mal langsam mit den jungen Pferden! Was ist dir denn passiert?“, flüsterte er in mein Ohr, während er mich sanft hin- und her wiegte. Ich weinte, laut, rang nach Luft und stammelte unverständliches Zeug.
„Die Entführer …, sie haben sich wieder gemeldet!“
„Wie jetzt, wann … und was wollten sie?“
„Auf meinem Handy, vor zwei Minuten. ,‘Ihr seid tot‘, haben sie gesagt!“
„Tot? Josie, beruhige dich doch bitte und erzähl‘ erst mal.“
„Ich mich beruhigen? Das war eine eiskalte Morddrohung, du Arsch. Die Software funktioniert nicht und löst sich langsam, aber sicher auf, so, wie du es vorhergesagt hattest. ‚Sie würden sich nicht verarschen lassen‘, meinte er. ‚Ihr seid tot‘, Chris, hat er gesagt, bevor er aufgelegt hat.“
„Damit habe ich gerechnet. Setz dich erst mal und versuche wenigstens etwas runterzukommen. Hier bist du sicher, genau wie Falk, Franzi und ich. Sie werden uns nicht töten, dann bekommen sie die ‚richtige‘ Software nie. Aber wenn du gleich wieder auf die Terrasse gehst, lasse dir bitte nichts anmerken!“
„‘Die richtige‘ ..., dass hast du jetzt nicht gesagt, oder? Verstehe ich das richtig, du hast wissentlich und kaltherzig Falks Leben aufs Spiel gesetzt? Spinnst du jetzt völlig? Und ich dachte, du hättest uns veräppelt. Es stimmt also? Darüber reden wir noch mein Freund. Ich mich beruhigen …? Man droht uns mit Mord und du tust gerade so, als könnte dir nichts passieren?! Da fehlen mir echt die Worte.“
„Wie gesagt: Ich habe damit gerechnet!“
Chris schob mich sanft von sich, hob mein Kinn an, so dass ich ihn ansehen musste und küsste mich zärtlich auf die Stirn.
„Mach dir keine Sorgen, Schatz, ich kümmere mich darum, versprochen.“, flüsterte er.
„Du hast leicht reden. Wehe wenn nicht …! Da setzt der tatsächlich unser Leben aufs Spiel … tz, ich fass das nicht!“
Franzi war vom Scheppern und Klirren aufgeschreckt und kam durch die große Glastür, die nach draußen führte.
„Au weia, ich hole Putzzeug.“
„Ruf lieber in der Irrenanstalt an, das ist jetzt wichtiger.“, blaffte ich sie an.
„Was … wieso?“
„Frag den kranken Herrn da, der weiß besser Bescheid.“, erklärte ich und beschoss Chris mit giftigen Blicken.
„Chris? Was hat der nun schon wieder angestellt?“
„Ich kann da nicht drüber reden. Frag ihn!“
Dann drehte ich mich um und ging wutschnaubend zu Lydia und Manuela zurück. Äußerlich versuchte ich ruhig zu wirken, aber innerlich war ich kurz davor zu explodieren.
„Alles ok?“, fragte Manuela, die jüngere von beiden, denen mein Gesichtsausdruck natürlich nicht entgangen war.
„Ja, ja, alles bestens. Hab nur eben eine riesen Sauerei veranstaltet.“
Die beiden Frauen sahen sich kurz fragend an, waren aber rücksichtsvoll genug, die Sache auf sich beruhen zu lassen. Ich für meinen Teil wäre am liebsten abgehauen, weg von Chris. Seine Nähe hätte mich nur noch wütender machen, das wusste ich genau.
Sollte ich mich einfach in meinen Audi setzen, aus dem Hoftor fahren und mir möglicherweise gleich eine Kugel einfangen? Was das anging, hatte Chris natürlich recht, hier in der Villa waren wir nahezu sicher. Allerdings, die Kaltherzigkeit, die Abgebrühtheit, mit der Chris vorgegangen war, erschreckte mich aufs neue, ließ ihn mir für den Moment wieder fremd vorkommen.
Jedenfalls sollte es mir schwer fallen ihm nahe zu sein, geschweige denn, neben ihm im Bett die Nacht zu verbringen. Mindestens vierzehn Tage Sexentzug sollten als Strafe angemessen sein. Mir war natürlich klar, dass ich damit mehr mich als ihn bestrafen würde, schon deshalb schied das aus. Musste er ja nicht wissen, nicht sofort.
Unter den Blicken der stutzig gewordenen Frauen, gönnte ich mir ein Glas Sekt auf ex. Den kleinen, unschönen Rülpser danach konnte ich mir nicht verkneifen. Manuela war es schließlich, die aus ihrem Herzen keine Mördergrube machte.
„Geht es wieder um die Entführung?“, fragte sie offen.
„Klar, jetzt wollen sie uns sogar umbringen, weil Chris sie beschissen hat.“
„Was hat Chris getan?“
Ich hatte nicht bemerkt, dass Franzi wieder auf die Terrasse gekommen war. Ich schreckte herum und fuhr sie direkt scharf an.
„Ich habe dir doch gesagt, du sollst Chris danach fragen.“, meckerte ich.
„Der sagt ja nichts.“, antwortete sie betreten.
„Aus gutem Grund. Der hat den Entführern einen Programmstand mit Fehlern zugespielt. Und einen Virus hat er auch noch reinprogrammiert. Ich dachte, er verarscht uns, als er das letztens gesagt hat. Aber es stimmt. Und das, ohne Rücksicht auf Falk zu nehmen!“
„Was wollten die haben, Software?“, fragte Manuela erstaunt.
„Ach, dass wusstet ihr noch gar nicht? Ja, die Software für die Lenkwaffen. Iris steckt mit drin.“, klärte ich die Runde auf.
„Iris, die Eule aus der Anmeldung? Ach, deshalb ist sie so plötzlich verschwunden, und keiner weiß wohin! Nicht mal die Müller aus der Kantine, mit der sie sich immer so gut verstanden hat.“, wunderte sich Lydia.
Jetzt war ich diejenige, die erstaunt in die Runde blickte. „Iris und die Müller? Quatsch, ihr verarscht mich doch jetzt.“
„Neee, ich glaube sogar, die hatten was miteinander. Vielleicht tut die Müller auch nur so, als wenn sie nichts weiß, und steckt mit drin. Zutrauen würde ich der das.“, ereiferte sich Manuela.
Ich musste zu Chris, sofort! Es könnte eine wichtige Information für die Polizei sein, dass zwischen Iris und der Müller was läuft. So etwas hatte er mir gegenüber nie erwähnt. Wahrscheinlich wusste er es genauso wenig wie ich. Stimmt schon, was Lydia und Manuela so sagten, getuschelt haben Iris und die Müller schon auffallend oft. Aber auf die Idee, dass sie so dicke miteinander waren, wäre ich nie gekommen.
„Hört zu Mädels, ich möchte euch wirklich darum bitten, dass dieses Gespräch unter uns bleibt, dass müsst ihr mir hoch und heilig versprechen. Kein Wort zu niemanden, ok?“
„Josie, ich weiß, dass ich hier auch für Manuela sprechen kann, auf uns kannst du dich hundertprozentig verlassen! Sowieso wollte ich dir schon lange mal sagen, dass ich toll finde, wie du, trotz der Beziehung zu Chris und all den tollen
Annehmlichkeiten, auf dem Boden geblieben bist. Wirklich! Und es ist toll, dass wir uns so gut verstehen.“, sagte Lydia und wurde sogar leicht rot dabei.
„Dem kann ich mich nur anschließen! Ich wäre froh, eine Freundin wie dich zu haben. Leider gibt es keine.“, antwortete Manuela darauf.
„Wer sagt das, Manuela? Ich wäre gern deine Freundin. Und deine auch Lydia.“
„Dann ist es besiegelt.“, strahlte Manuela, kam um den Tisch herum und knuddelte mich herzlich.
Franzi hatte die Sektgläser zwischenzeitlich schon angefüllt und das Tablett herumgereicht.
„Auf uns!“, ließen wir die Gläser klingen. „Ich weiß, ich wiederhole mich, bitte, wirklich zu keinem ein Wort, sonst sind die Ermittlungen gefährdet, versprochen?“
„Versprochen!“, betonten beide gleichzeitig.
Die angeregte Unterhaltung über die Entführung brach plötzlich ab. Chris war durch die Glastür gekommen und setzte sich zu uns.
„Na, über was habt ihr euch unterhalten, was ich nicht wissen darf?“, lachte er.
„Nichts Wichtiges.“, versuchte Lydia zu beschwichtigen.
Nun wäre Chris nicht Chris, wenn er nicht sofort gemerkt hätte, dass das nicht die ganze Wahrheit, genaugenommen sogar ganz weit davon entfernt war.
„Schatz, ich war eben etwas aufgebracht, und in meiner Rage hab ich Lydia und Manuela ein paar Interna von der Entführung erzählt. Das mit der Software zum Beispiel.“, will ich die Sache wieder in Ordnung bringen.
„Man Josie, du weißt genau, wie sensibel diese Details sind. Was hast du dir dabei gedacht?“
„Nichts! Dabei hab ich mir gar nichts gedacht! Und ich bin mir sehr sicher, dass unsere Geheimnisse diesbezüglich, bei den beiden völlig sicher sind. Außerdem hat das eben noch einen guten Nebeneffekt gehabt. Oder hast du gewusst, dass die Iris ziemlich eng mit der Müller aus der Kantine ist?“
„Du meinst die Dicke mit den fettigen Haaren, die immer so unappetitlich müffelt?“
„Genau die! Wo man den Kittel allein in die Ecke stellen könnte.“
„Ne, dass höre ich zum ersten Mal. Interessant! Mal abgesehen davon, dass die mit ihrer Hygiene überhaupt nicht in der Kantine arbeiten dürfte. Beinahe ekelig ist die, da vergeht mir alles. Aber danke für die Info, sowas könnte wirklich wichtig sein.“
„Ach Schatzi, hättest du was dagegen, wenn Lydia, Manuela und ich künftig mehr miteinander Unternehmen würden. Wir sind gerade dabei, uns anzufreunden.“
„Nö, finde ich sogar gut. Dann kommst du wenigstens auf andere Gedanken, weg von Sven …!“
„Schatz, echt, das hätte jetzt nicht sein müssen! Ich dachte, wir hätten das besprochen.“„Du hast recht, entschuldige bitte.“
Chris stand auf, drückte mir einen butterweichen Schmusekuss auf die Wange und verschwand mit seinem Handy im Garten. Mir war klar, dass er mit der Polizei telefonierte, um die Neuigkeiten weiterzugeben.
Es dauerte, bis er zurückkam, aber kurz danach wieder im Haus verschwand.
Irgendwie war in der Frauenrunde nach Chris’ Auftritt die Luft raus. Lydia sah Manuela an und ohne Worte waren sich die beiden einig, zu gehen. Es war auch später Nachmittag, und vor allem Manuela musste sich ja noch um ihre zwei Kinder kümmern. Mit dem Versprechen, dass man sich ja am Montag wiedersehen würde, begleitete ich meine neuen Freundinnen zu ihren Autos und drückte auf die Fernbedienung für das schmiedeeiserne Tor.
****
Erst eineinhalb Stunden später sah ich Chris wieder. Ich fand ihn nach kurzem Suchen in seinem Arbeitszimmer, über einer Personalakte brütend. Es war die von Frau Müller, wie ich schnell feststellen konnte.
Frau Müller musste sich im Laufe der Zeit ziemlich verändert haben, denn an dem Umschlag war ein Bild angeheftet. Das abgebildete Gesicht und der Oberkörper darauf, hatten kaum noch Ähnlichkeit mit der Frau Müller, die ich kannte.
„Oh Gott, Schatz, was ist denn mit der Frau passiert?“, fragte ich entsetzt, wobei ich meinem Liebling eine Hand auf die Schulter gelegt hatte. Die aufkommende Wut von vorhin war längst wieder verraucht.
„Ich weiß es nicht, Hase! Es muss was Schlimmes sein, wie kann man sich sonst derart verändern? Sieh nur, wie schlank sie mal war, diese wunderschönen langen Haare, nichts ist davon geblieben. Ich hab den Detektiv schon angerufen, der soll sich mal schlaumachen.“
Mit geübtem Blick ließ ich meinen Blick über den riesigen Schreibtisch wandern. Dort lag nicht nur die Akte von Frau Müller, sondern auch die von Iris, meine, und eine von Sven. Genau, von DEM Sven!
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