Mit der flachen Hand schlug sie auf die Glasscheibe. „Verdammte Kiste“, schimpfte sie. Weg war die Kugel, nur weil sie einen Moment in Gedanken war. Noch einen Tritt gegen den Flipper, und der nächste Fünfer wanderte in den Schlitz. Der letzte für Heute sollte es sein. Nur noch 2 Gestalten hingen an der Theke rum. Es war schon nach eins. „Eh Luna, jetzt ist Ende“, hatte ihr Bert schon beim drittletzten Fünfer zugerufen. Luna überzieht immer, bei Allem. In den letzten Wochen hatte sie den Flipper reichlich gefüttert. Und wenn sie nicht spielte, hockte sie an der Theke, rauchte, trank und schwieg. Bert ist nicht der große Schnellmerker, aber das Luna nicht gut drauf ist, war selbst ihm nicht entgangen. Als er sie danach fragte, hatte sie ihn nur unwillig angegiftet. Er würde nicht mehr fragen. Verrücktes Weibstück, dachte er. Dieses Attribut erhielt sie von ihm schon wenige Tage nach dem sie zum ersten Mal in die „Spundwand“ kam. Im letzten Sommer war das, an einem heißen Tag. Zusammen mit Eager kam sie damals, bestellte ein Mineralwasser, und goß es sich über den Kopf. Er konnte damals gar nicht aufhören auf ihre wohlgeformten Titten zu starren, die sich unter dem durchnässten T-Shirt abzeichneten. Irgendwie war Eager seit dem nie weit weg, wenn Luna da war. Bis zu diesem Abend vor 2 Monaten.
Wenn Bert „verrücktes Weibstück“ denkt, liegt darin so was wie Bewunderung und Respekt. Jedenfalls für Weibstück. Verrückt ist für ihn der unverständliche, der unberechenbare Teil von Luna. Für ihn ist sie eine Femme Fatale ohne deren bewußte Attitüden. Luna kann alle Temperamente an einem Abend in Reinform leben. Nein, halt, hysterisch wird sie nie. Einem allzu vorwitzigen Typen, der nicht aufhören wollte zu graben, biß sie mal ins Ohr bis das Blut spritzte. Eager, der sich schon vorher einmischen wollte, hatte sie zurückgepfiffen. „Das ist mein Ding“, sagte sie bestimmt, und Eager kuschte. Luna redet in geraden Sätzen und deutlichen Worten. Die leichte Konversation ist nicht ihre Welt. Mehr als Worte sagen Lunas Augen und ihre Mimik. Wird sie überschwenglich, redet ihr ganzer Körper. Sieht man ihr strahlendes Lachen, zweifelt niemand an ihrer Freude. Oft ist sie verschlossen und ernst. Dann ist sie kaum zu erreichen, auch von Eager nicht.
Würde Bert gefragt, was Luna mit Eager verbindet, er könnte es nicht sagen. Als er Luna mal danach fragte, gönnte sie ihm nur einen Gesichtsausdruck, der mehr Fragen aufwarf, als Erklärungen zu liefern. Bei Eager war das anders; der redete. Der Eager war ziemlich verschossen in Luna. Ein paar Wochen bevor er hier mit Luna aufkreuzte, hatte das angefangen. Breit gegrinst bis zu den Ohren hatte Eager, als er Bert von seiner neuen Flamme erzählte. Etwas zickig sei sie ja, aber das wird noch, meinte er. Er hat immer seltener gegrinst im Laufe der Zeit. Und an dem Abend vor 2 Monaten ist er dann mit Anja abgezogen.
Oft saß Luna in sich versunken neben Eager an der Theke. Anfangs hatte er dann versucht ihr ein Gespräch aufzudrängen. Wollte sie entgegenkommend sein, bewegte sie leicht den Kopf in seine Richtung, wenn sie knapp und tonlos antwortete, ansonsten blieb die Kopfbewegung aus. Manchmal stand sie den ganzen Abend am Flipper oder am Geldspielautomaten. Eager konnte das zur Verzweiflung bringen. Auch wenn sie plötzlich aufstand, und mit einem „Wir sehn uns“ die Kneipe verließ, wäre er am liebsten ausgerastet. Immer wenn sie ging, berührte sie ihn leicht an der Schulter oder am Arm, flüchtig, fast wie zufällig. Ganz selten strich sie ihm mit zwei Fingern über die Wange. Wenn sie das tat, schaute sie ihm für einen Moment in die Augen. Was das bedeutete, was in dem Moment in ihr vorging.......keine Ahnung. Er wußte sehr wenig von Luna. Nur den oberflächlichen Kram eben. Irgendwer mußte ihr heftig in der Seele rumgetrampelt sein. Eager konnte dran packen, aber er fühlte sich so hilflos. Diese Berührungen jedenfalls waren das Höchstmaß an Zuwendung, zu der sie in der Öffentlichkeit fähig war. Besitz demonstrierendes Händchen halten oder in den Arm nehmen mag Luna überhaupt nicht. Oh Mann, da hatte sich Eager schon herbe Sprüche eingefangen, wenn er das versuchte.
Andere Männer jedenfalls berührte Luna nie. Aber wenn sie mit anderen sprach, lachte sie mehr. So schien es Eager zumindest. Oh Mann, wie er kochte, wenn er es beobachtete. Ein Horn hätte er ihnen hauen können. Er war sich nicht mal sicher gegen wen sich seine Aggressionen eigentlich richten. Mehr gegen Luna als gegen die Typen sicher. Auch gegen sich selbst. Warum schaffte er es bloß nicht diese Zicke abzuschießen? Gabs da was abzuschießen in dieser seltsamen Beziehung? Eager fielen 1000 Gründe ein, warum er Luna liebte. Aber muß man Liebe begründen können? Was war mit den 1000 Gründen für die er Luna zum Mond wünschte? Sie reichten offenbar nicht aus. Vielleicht ist es das; sie tippte an einen Teil von ihm, der im Unbewußten schlummerte.
Manchmal schliefen sie zusammen. Im Auto, am Ufer des Kanals, nur wenige Schritte von der Kneipe entfernt oder bei ihr. Dann war alles anders. Luna konnte so unglaublich zärtlich sein, und gleichzeitig hemmungslos triebhaft. Sie verlor sich dann total in Eager. Dann, in diesen Momenten, die sie vorbehaltlos ihren Sinnen ließ, zweifelte Eager nicht. Aber anschließend wollte sie immer sofort weg. Sie duldete nie, daß er über Nacht blieb. Manchmal sah er dann Tränen in ihren Augen. „Es ist nichts“, sagte sie nur, wenn er fragte warum. Und sie sagte es so, daß er nicht weiter fragte. Fick mich, aber nur keine Intimitäten? Da waren sie wieder die Fragezeichen hinter seiner Stirn. Einmal, als sie zusammen am Flipper standen, strich sie ihm über die Wange und sagte: „Ich fühle mich gut, wenn du in der Nähe bist“. Er wollte sie dafür in den Arm nehmen, aber da hatte sie sich schon abgewandt.
Irgendwann kam Anja ins Spiel. Wenn Luna flipperte, stand sie auffällig oft neben Eager an der Theke. Unschwer zu erkennen, daß sie ihn anhimmelte. Eager gefiel das. Vielen hätte es gefallen von Anja angehimmelt zu werden. Luna konnte mit Anja nichts anfangen. Sie fand deren ewiges Gekicher einfach nervig. Luna konnte mit keiner Frau in der Spundwand etwas anfangen. Den anderen Frauen ging es umgekehrt mit Luna auch nicht anders. Sie hatten ihre gepuderten Nasen in den Wind gehalten als sie Luna begegneten, und diese undefinierbare Witterung als suspekt eingestuft. Eines Abends jedenfalls, als Luna mal wieder frühzeitig gegangen war, sah Bert die Funken stieben zwischen Anja und Eager. Ja, und dann verschwanden sie zusammen. Seither waren weder Anja noch Eager wieder in der Spundwand aufgetaucht. Das war´s dann wohl zwischen Luna und Eager, dachte Bert damals. Luna kam weiter regelmäßig. Keine Fragen, alles wie immer. Nur wer genau hinschaute, konnte bemerken wie sie sich jedes Mal umdrehte, wenn jemand zur Tür herein kam.
Bert hatte die Gläser gespült und die Theke geputzt. Die beiden anderen Figuren an der Theke waren gegangen. „Du Bert, ich brauch noch ein Bier und einen Wodka“. Schnaps trank Luna fast nie. „Wenn du dich besaufen willst, hättest du früher anfangen sollen. Schau mal auf die Uhr“. Schon vor einer Stunde wollte Bert den Laden zumachen. Sein Widerstand blieb schwach. In Lunas Blick lag etwas Flehentliches. Er nuschelte irgendwas Unverständliches, aber er zapfte das Bier. Wer weiß schon, was in diesem Weibstück vorgeht, dachte er wieder.
Diesmal drehte sich Luna nicht um, als die Eingangstür sich öffnete, und ein später Gast hereinkam. Erst als Eager neben ihr an der Theke stand, wortlos und dem „arme Dier“ Ausdruck im Gesicht, drehte sie sich zur Seite, strich ihm fast beiläufig über die Wange und lächelte. „Laß uns flippern“, sagte sie dann.
Wer kennt sich schon aus mit den Seelen
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