Wie ich Mr. Garcia kennenlernte

Tinas Geschichte - Teil 18

33 6-10 Minuten 0 Kommentare
Wie ich Mr. Garcia kennenlernte

Wie ich Mr. Garcia kennenlernte

Stayhungry

Nach meiner Babypause war ich in eine Rechtsanwaltskanzlei eingetreten. Margarete, meine neue Chefin, war nicht nur eine hervorragende Juristin, sie interessierte sich auch sehr für Kunst, Kultur und Politik. Sie besaß eine gute Menschenkenntnis und blickte beruflich und privat gerne mal hinter den Vorhang, gab sich nicht einfach zufrieden, etwas formal abzuhandeln, ein solide gemachter Job war für sie mehr. Ganz gegen meine zurückhaltende Art beim Eingehen neuer Beziehungen wurde sie bald eine vertraute Freundin und war in vielen persönlichen Dingen eine gute Zuhörerin und Ratgeberin. Wie ich einst liebte sie die stilvolle erotische Eskapade mit Niveau, und mit ihr lernte ich auch in dieser Hinsicht interessante Leute kennen. Ihr Unfalltod vier Jahre später, sie war gerade vierzig geworden, war ein schwerer Schlag für mich. Mit ihr hatte ich eine wirklich tiefe Beziehung, was ich bisher nicht oft mit meinen Frauenfreundschaften erleben durfte.

Hinsichtlich erotischer Abenteuer hatte ich mich zunächst sehr zurückgehalten. Ich wollte weder überstürzt in neue Bindungen geraten noch waren belanglose Erlebnisse, die mich schon in der Anbahnung frustrierten, es wert, den bei meiner neuen Rolle als überwiegend allein erziehende Mutter einen früher nicht gekannten organisatorischen Aufwand zu betreiben. So ganz zufrieden war ich damit nicht, und Margarete, die allein lebte, erging es, wenn auch aus anderen Gründen, ähnlich. Ohne in wortreichen Tratsch abzugleiten, weihten wir einander in unsere Geheimnisse ein und von ihr erfuhr ich über den einen oder anderen Bewerber in diskreter, zuverlässiger Beschreibung oft genug, um die Finger davon zu lassen.

Dafür forderte sie mich auf, sie zu begleiten, wenn es lohnend zu werden schien. Das konnte einfach ein Abend mit netten Leuten sein, aber auch ihr Interesse an aktuellem kulturellem Geschehen versprach Kurzweil. Irgendwann konnte sich ein charmanter Begleiter ganz offenkundig nicht entscheiden, wen von uns beiden er nun nachhaltig umwerben sollte und so hatte ich meine erste Menage a trois seit Ewigkeiten. Dabei empfand ich Margaretes Anwesenheit als anregender als die des Liebhabers, der sich gern verwöhnen ließ, im Übrigen vor allem ein respektables Durchhaltevermögen, weniger aber eine phantasievolle eigene Choreographie entfaltete. Wir haben es nur ein einziges weiteres Mal mit einem neuen bereitwilligen Objekt unserer Begierde versucht, aber ich konnte dem seltsamer Weise wiederum weniger abgewinnen als Margarete, so dass sie mich von sich aus nicht mehr in diese Situation brachte.

Interessanter war da als exotisches Erlebnis schon unsere gemeinsame Teilnahme an einem privaten Treffen im Zeichen abwegiger Lüste. Es handelte sich um ein klein wenig gepflegten Sadomaso in edlem Ambiente, nichts, was wirklich aufwühlt, nur anregend als ästhetische Inszenierung. Mehr hätte ich wohl auch nicht ertragen, und es hat mich nicht wirklich befriedigt. Ich merkte, dass mich mittlerweile jegliche Form der Öffentlichkeit, und als solche empfand ich diese distinguierte Orgie, mehr ernüchtert als erregt. Vorbei waren die Zeiten, in denen ich mich heiter-ausgelassen in Yves' Begleitung ungeniert der Wollust hingegeben hatte. Und Gott sei Dank waren auch die Zeiten vorbei, in denen ein Mann wie Juan bedingungslos über mich verfügen konnte und mich öffentlich von vielen Unbekannten hatte besteigen lassen. Meine unbefangene Schamlosigkeit mochte ich nur noch im vertrauten Zusammensein Weniger ausleben und am liebsten war es mir allein zu zweit. Doch es war meine eigene Aufgabe, aus den Angeboten, die mir meine liebe Freundin präsentierte, das Geeignete auszuwählen oder selbst nach Möglichkeiten zu suchen. Da waren ihr großer Bekanntenkreis und ihre vielfältigen Kontakte außerhalb unseres Berufes schon ein attraktives Umfeld.

*

So hätte ich es gerne gesehen und erzählt – doch so einfach war die Sache nicht. Die kraftvollen selbstbewussten Typen, mit denen ich mich immer am liebsten gemessen hatte, ließen in mir alle Alarmglocken schrillen. Die Angst, wieder an einen durchgeknallten Irren wie Juan zu geraten, saß wesentlich tiefer als ich mir eingestehen wollte. Ich ging also auf Nummer Sicher und gab dem Werben charmanter Männer nach, denen alles Zwanghafte erkennbar fehlte. Anfangs war es einfach nur gut, wieder Sex zu haben. Bloß waren mir die netten Lover bald zu nett und entfachten nicht das Feuer der Leidenschaft, nach dem ich mich so sehnte. Der eine zog selbst schnell Leine, weil ich ihm zu kompliziert und zu wenig beziehungsorientiert war, von einem anderen zog ich mich schnell zurück, weil der schnell in eine auch für ihn schmerzhaften Anhänglichkeit zu verfallen drohte, die ich von K. noch zu gut in Erinnerung hatte. Und mit meinem Kind konnten diese großen Jungs ohnehin nichts anfangen. So blieb mir der gelegentliche One-Night-Stand, den ich früher unbekümmert mitgenommen hatte und der mich heute –  ja genau, mich, die ich einst so ein lüsternes Biest gewesen war –  immer auch an die Schwelle der Panik brachte. Es war unerquicklich, aber ich wollte mich nicht auch jetzt noch Juan geschlagen geben. Ich würde es schaffen, die Dämonen der Vergangenheit aus meiner Seele zu verbannen, das schwor ich mir! Heute ist mir klar, dass ich einfach die fachliche Hilfe einer Psychotherapie hätte suchen sollen. Doch mit meinem Selbstbild einer immer starken Frau hatte ich das Gefühl, Juan hätte immer noch Macht über mich. Ich wollte es allein schaffen! Ausschließlich ich wollte die Macht dieses Wahnsinnigen in mir besiegen!

So sehr ich Margarete vertraute, sie wusste nichts um meine traumatische Vorgeschichte. Sie erfuhr nur Dinge aus meiner Gegenwart – wenn sie nichts mit meinem Trauma zu tun hatten. Mein selbstbewusstes Auftreten in Beruf und Privatleben ließ mich ihr als souveräne moderne Frau erscheinen, die schon in jungen Jahren viel von ihr selbst hatte, die sie mitten im Leben stand. Ich hatte keinen Grund gehabt, ihr von Juan zu erzählen, denn ich wollte ja nach vorne blicken und ich genoss mein neues Leben wirklich. So wusste sie nicht, in welch heikle Umgebung sie mich mit ihrer Einladung in Agnes' Haus gebracht hatte. Nur meinte ich, an ihrer Seite könnte ich mich einer solchen, mehr der stylishen Illusion geschuldeten Umgebung ohne Gefahr aussetzen.

Anfangs hatte Margarete mich noch im Blick, sicherlich aus Neugier, wie ich mit der vermeintlich ungewohnten Situation zu Recht käme. Und hier wirkte meine Fassade noch sehr perfekt, denn ich empfand tatsächlich nur Anregung und glaubte, das Entsetzen im Angesicht von Ausgeliefertsein und Grenzüberschreitung überwunden zu haben. Als sich aber Männer sehr direkt fordernd und dominant verhielten mir gegenüber, fühlte ich mich plötzlich mehr als unwohl. Natürlich ließ sich dieses noble Ambiente eines gepflegten Sado-Maso nicht mit den versifften Fabrikhallen vergleichen, in denen Juan mich angekettet und wildfremden Kerlen verfügbar gemacht hatte. Aber ich merkte, wie die Panik schleichend in mir hochstieg.

Noch bevor irgendetwas geschehen konnte, lenkte die Hausherrin alle Aufmerksamkeit auf sich, brachte sich ein in das Geschehen und ich war nicht mehr von Interesse. Denn Agnes war der unangefochtene Star dieses Etablissements, das hatte Margarete mit schon im Vorfeld beeindruckt geschildert und so nahm ich die Gelegenheit wahr, mich unauffällig an die Bar der Lounge zurückzuziehen. Dort konnte ich weitere Avancen mit der Notlüge, bereits geschafft zu sein, ins Leere laufen lassen. Ich hatte mich nach außen hin schnell wieder in der Gewalt und als Agnes und Margarete vergnügt aus der Suite staksten, bewies mir Agnes lächelndes, aufmunterndes Augenzwinkern, dass sie mich bewusst gerettet, aber nicht verraten hatte. Von Margarete verabschiedete ich mich derart, dass sie tatsächlich keinen Verdacht schöpfte. Irgendwann würde ich mit ihr darüber sprechen, aber nicht jetzt. Jetzt war ich noch dabei, meinen Weg zu finden.

*

An einem schönen Sommerabend befanden wir uns auf einer Vernissage. Sie hatte nur gesagt, ich müsse unbedingt mitkommen, es würde mir gefallen, mehr verrate sie nicht. Bei den Gemälden handelte es sich um wilde Aberrationen einer abstrakten Ästhetik. Zum Smalltalk hierüber fehlte mir der Kunstverstand, aber einige Werke gefielen mir, rein aus dem Bauch heraus, ganz gut. Der Künstler selbst gab sich exzentrisch oder war es auch. Mit einer meiner Fragen hielt er mich für blamiert. Die Antwort, mit der er die Verhältnisse zurecht rückte, machte mich auch nicht schlauer und ich trat den Rückzug an, ohne mir wirklich als Banause vorzukommen. Die Maßstäbe meines ästhetischen Empfindens bestimmte ich immer noch selbst und wer eine komplexe, ernste Botschaft vermitteln will, muß sich selbst um Verständlichkeit seines Mediums bemühen.

Die Galeristin, eine Bekannte Margaretes, hatte da schon mehr diplomatisches Geschick und suchte unaufdringlich den Kontakt mit dem Publikum. Davon war reichlich vorhanden und das gesamte Ensemble der Örtlichkeit erfüllte seinen Zweck, das Werk in den Mittelpunkt des Interesses zu rücken und die Besucher einzuladen, in idealer Weise. Es handelte sich um einen lichten, hellen, großen Raum mit einer sich über eine ganze Raumseite erstreckenden Glasfront, die zum Innenhof geöffnet war. Dort fanden sich zwischen Skulpturen schattige Plätzchen unter ausladenden Schirmen im provencalischen Landhausstil. Dazu bot das Buffet Champagner, raffinierte Häppchen, edlen Wein. Am Rande des freien Bereichs vor den geöffneten Türen standen ein Klavier und ein Kontrabass bereit, es sollte also noch Musik geben.

En passant stellte mir Margarete die ihr bekannten Anwesenden vor, Freunde, Klienten, Kollegen, Prominentencoiffeure, Szenegrößen, Paradiesvögel, interessante Leute, die ich mir merkte, ohne es zu wollen und unscheinbare, die ich so schnell wieder vergaß wie sie mich – und Albert, einen Architekten Mitte Dreißig, Typ der junge Andy Garcia, nur größer. Er hatte diese ernsten Augen, und ich war sofort irgendwie angezogen von ihm, ohne, dass er sich auffällig verhalten hätte. Er war sympathisch, zurückhaltend, ohne langweilig zu sein, der Smalltalk mit ihm angenehm. Er hatte Charme, ohne dass man ihn einen Charmeur nennen konnte. Ohne jede Verlegenheit blieben wir aneinander hängen und in diesem Gewühl etwas Beständigkeit zu finden, war in jedem Fall ein Gewinn. Tatsächlich hatte ich das Geschehen um mich herum nicht mehr aufmerksam verfolgt.

Plötzlich war da diese unvergleichliche Musik. Ich drehte mich abrupt um, versuchte, durch die Menge einen Blick zu erhaschen. Zu den Instrumenten hatten sich Männer in schwarzer Kleidung gesellt, und mit ihnen ein Bandoneonspieler, der die traurige Einleitung eines Tangos spielte. Drei Paare nahmen Aufstellung und mit dem Einsetzen der gesamten Kapelle begannen sie die Darbietung ihres Könnens. Ich seufzte unwillkürlich, hatte diesen fröstelnden Schauer auf dem Rücken und beachtete ihn, meine kurzweilige Abendbegleitung gar nicht mehr, war aufgewühlt, sehnte mich nach starken Armen. Sie atmen so schwer? hörte ich ihn von hinten in mein Ohr flüstern. Er war mir nun ganz nah, zu mir etwas herabgebeugt, an meinem Hals, meinem Nacken. Ich war wie erstarrt, antwortete nicht.

Klicke auf das Herz, wenn
Dir die Geschichte gefällt
Zugriffe gesamt: 5882

Sie müssen sich anmelden, um Kommentare hinzuzufügen.

Gedichte auf den Leib geschrieben