Die Frau stand in der Küche, beugte sich über die Spüle und putzte Gemüse. Dabei lauschte sie auf das ständige Gesäusel und Gejammer, das stetige Rauschen und Pfeifen und das gelegentliche Aufheulen des Windes, Geräusche, die ihr durchaus vertraut waren und die an diesem Spätnachmittag eher verhalten erklangen. Es gab Tage, da brüllte der Sturm und sie fürchtete um das Dach ihres kleinen Hauses. Aber heute war ein sanfter, sonniger Tag, an dem nur die dahineilenden Wolken die Kraft des stetigen Windes ahnen ließen. Gelegentlich hob sie den Kopf und sah aus dem Fenster, betrachtete das kleine Grundstück am Fluss, ihre Welt, ihr Zuhause. Ihr Blick schweifte über den Lattenzaun, der den Gemüsegarten abgrenzte, hin zu den niedrigen Bäumen, die von dem ewigen Wind gebeugt und fast auf den Boden gedrückt waren, aber immer noch das Haus vor den ärgsten Sturmattacken schützten und dann weiter zu den Wiesen mit dem gelblichen Gras, die sich, von zerzausten, verdruckt wirkenden Büschen durchsetzt, an das Ufer des Flusses schmiegten und seinen Windungen folgten. Auch auf der anderen Seite des Flusses sah man nur Wiesen, Büsche, Bäume und dann das flache, öde Land. Sie sah ganz am Rande auch noch den Wall, auf dem sich die Landstraße befand, die in die Stadt führte. Um den kleinen Weg mit den Treppenstufen, der vom Wall zu ihrem Haus führte, einsehen zu können, hätte sie in den Salon oder in ihr Schlafzimmer gehen und dort aus dem Fenster schauen müssen, oder gleich vor die Haustür. Aber viel mehr hätte sie auch draußen nicht sehen können, in der einen Richtung der Wall mit der Landstraße, darüber der weite Himmel. Die Straße selbst sah man wegen ihrer erhöhten Lage nicht, obwohl sie kaum hundert Meter entfernt war. Nur wenn Lastwagen oder Busse vorbei fuhren, konnte man sehen, wie ihre Aufbauten dahin schwebten. Das einzig Bemerkenswerte in der ganzen Gegend war ihr Haus. Obwohl weit und breit kein Nachbar angrenzte, hatte der Zaun um den Vorgarten in Richtung Straße und um den Gemüsegarten in Richtung Fluss ein paar wichtige Funktionen. Er bildete die Grenze zwischen öffentlichem und privatem Besitz, jedem war klar, wo der Privatbesitz begann, den man nicht nach Belieben betreten durfte, wo man nicht einfach seine Notdurft verrichten konnte oder etwas, das herumlag, einfach mitnehmen konnte. Der Privatbereich wurde von einem großen, schwarzen Hund bewacht, dessen Hütte sich im Vorgarten neben der Treppe zur Haustür befand. Er war nicht angekettet und verließ auch nie den eingezäunten Bereich, das Gebiet, das er zu bewachen hatte. Und das tat er ganz gut, selbst wenn er meistens vor sich hin döste und nur manchmal eifrig um das Haus herum rannte und die Hühner aufscheuchte. Zum Fluss hin hatte der Zaun eine weitere wichtige Funktion. An manchen Tagen, wenn es heiß war, kamen Leute vorbei, meistens Familien mit Kindern, die auf den Wiesen lagerten und picknickten. Einige badeten oder schwammen sogar in dem kalten Wasser. Es war, um genau zu sein, eigentlich die einzige Stelle weit und breit, an der man gefahrlos baden und angenehm lagern konnte, weil das Ufer sanft und der Fluss flach war. Es war gut, das Gemüse gegen unbefugte Eindringlinge zu schützen, besonders die Kinder mussten abgehalten werden, im Garten herumtrampeln, Mohrrüben herauszureißen, die Pflanzen zu beschädigen oder die Hühner in Aufregung versetzen. Der Zaun und der Hund waren beide notwendig, um solche Schäden zu vermeiden. An diesen Sommertagen hatte die Frau nicht nur Gesellschaft, konnte tratschen und erfuhr Neuigkeiten, die eigentlich schon längst keine mehr waren, sie konnte auch durch den Verkauf von selbst gebackenen Kuchen und selbst angesetzter Limonade ihr spärliches Einkommen ein wenig aufbessern. Man muss aber auch wissen, dass längst nicht jeder, der zum Baden an den Fluss kam, mit ihr redete. Manche waren auch besorgt, ihre Kinder von ihr fernzuhalten und die mussten dann zu ihrem Leidwesen auf die wirklich gute Limonade verzichten. Auch heute hatten sich ein paar Leute eingefunden und sie hatte sogar Kaffee und einen ganzen Kuchen verkauft, aber jetzt, als die Sonne kurz davor war, den Horizont zu erreichen, waren sie schon alle wieder weg. Menschen kamen jedoch nicht nur an den hellen Vormittagen oder den warmen Nachmittagen, manche fanden den Weg zu dem abgelegenen Häuschen am Fluss erst am Abend oder sogar noch später, wenn es schon Nacht war. Diese Leute, es waren ausschließlich Männer, kamen nicht, um zu lagern oder zu schwimmen. Es waren Männer, die genau wussten, was sie wollten und das bekamen, was sie suchten.
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