Wild verfolgt

(für Marc)

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Wild verfolgt

Wild verfolgt

Tina Devot

Sie sieht ihn dort stehen, völlig unerwartet. Er betankt gerade sein Auto, als sie auf die Kreuzung zufährt und verlangsamt. Er schaut auf. Sie sehen sich an. Nur Sekunden, aber tief und direkt. Sie fährt unbeirrt vorbei, aber in ihr beginnt es zu toben. Sie stellt sich vor, wie er jetzt ins Auto steigt und ihr nachsetzt. In rasender Fahrt. Das würde er niemals tun, denkt sie. Dazu ist er viel zu beherrscht. Sie lacht über sich selbst. Sie fährt langsamer. Versucht, wieder ruhiger zu werden. Aber vor ihren Augen, küsst er sie wieder, wie vor drei Tagen. Zurückhaltend, als wäre sie zerbrechlich. So schüchtern, dass sie spürt, wie sie ihn kontrollieren kann. Sie bestimmt, wie die Geschichte weitergeht und ob sie weitergeht.

Im nächsten Dorf fährt sie schon viel ruhiger. Die Selbstkontrolle kehrt zurück. Vielleicht war er es gar nicht. Ihre Fantasie ist mit ihr durchgegangen, mehr nicht. Wieso sollte er sonntags tanken gehen. Das macht doch keinen Sinn. Kurz vor Ende der 50er-Zone schaut sie in den Rückspiegel. Sieht wie sich ein dunkles Fahrzeug schnell nähert. Das ist er nicht, denkt sie, aber drückt dennoch sofort aufs Gas. Schon ist das Auto hinter ihr. Sie beschleunigt wieder. Weil innerlich, weiß sie es längst. Er ist es. Aber sie möchte nicht akzeptieren, was hier gerade passiert.

Beide Wagen jagen sich durch die Kurven, vorbei an Feldern, näher zum Wald. Hier steigt sie in die Eisen. Die Kurve durch den Wald ist eng. Sie möchte nicht, aber schaut trotzdem in den Rückspiegel. Er direkt hinter hier, ganz nah dran. Sein Auto klebt praktisch an ihrem Heck. Er fixiert sie im Spiegel mit seinem Blick. Ihr Herz klopft wie verrückt. Sie fühlt sich gejagt. Ein Freiwild. Aus der Kurve drückt sie das Gas durch. Der Wagen springt nach vorn, aber er jagt ihr unerbittlich hinterher. Sie hat keine Chance. Er ist der bessere Fahrer und riskiert mehr. Seine Augen sind verengt. Er wirkt konzentriert. Seine Haltung am Steuer wirkt absolut unerbittlich.

Nach einer langen Geraden kommt wieder ein Waldstück. Sie bremst an. Etwas in ihr gibt auf und ergibt sich. Verlangsamt wie hypnotisiert. Lenkt den Wagen nach links auf den Ausstellplatz. Überquert ihn langsam, rollt aus, näher hin zum Wald. Ganz hinten, wo sich ein kleiner Pfad im Schatten davonstiehlt. Der zweite Wagen direkt hinter ihr. Sie hört, wie Räder auf Schotter knirschen. Die Geräusche wirken surreal laut in ihren Ohren. Was tust du, schreit die innere Stimme. Du weißt, was gleich passiert. Du möchtest das doch gar nicht. Aber sie ist wie in Trance. Bringt den Wagen zum Stehen. Dreht den Schlüssel. Hände aufs Lenkrad. Den Blick gesenkt.

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