Willkommen in meinem Reich

Feenzauber - Teil 2

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Willkommen in meinem Reich

Willkommen in meinem Reich

Peter Hu

...Als Egidius erwachte, fühlte er sich seltsam leicht. Nicht etwa, dass dies unangenehm war. Er schien einfach so zu schweben, ohne die unangenehmen Nebeneffekte eines herkömmlichen Rausches.
Als er verwirrt die Augen aufschlug, war sein nackter Körper war nur mit einem einzigen Eichenblatt bedeckt. Gleißendes Licht flutete den Eingang einer Höhle, die ihm wohl als Ruhestätte gedient hatte. Es roch aus allen Richtungen frischem Laub.
Der Landvermesser begriff zunächst nichts. Er glaubte zunächst noch immer, irgendwo in einem fahrenden Zug zu sitzen; ...zu schlafen, ...vielleicht ein bisschen ausgefallen, ganz sicher auch ziemlich feucht zu träumen.
‚Schade, dass auch diese rasiermesserscharfe Blondine nur ein Traumbild war‘, ...ging es ihm noch während der Aufwachphase durch den Kopf.
‚Doch halt! ...Irgend etwas stimmt hier nicht.‘

Jetzt schlug er die Augen auf und starrte zur Decke. Sie war rau, ein wenig feucht; ...erinnerte frappierend an die Rinde eines Baumes. Er erinnerte sich unterbewusst an jene Baumritzen, in die er als Kind so oft hineingespäht hatte, wenn er mit seinen Eltern im Wald spazieren ging.
Damals hatte er noch an Märchen geglaubt. Insgeheim hoffte er auf diesen Ausflügen, irgendwann mal eine Fee, einen Elf, oder gar einen „Grünen Jäger“ in einer dieser Spalten zu entdecken.
‚Kinderkram‘, ...hatte er sich irgendwann beim älter werden nur noch gedacht.
Das Schulsystem hatte ihm solche Flausen schließlich weitgehend ausgetrieben. Nüchterne Zahlen schienen fürs Leben doch weitaus wichtiger zu sein….
Und die Institution formte ihre Schüler. Ein paar Jahre später war Egidius zu einem perfekten Roboter herangereift. Wenn er nun einen Baum erblickte, erkannte er kaum mehr seine Schönheit. Vielmehr berechnete sein geschultes Hirn seine Masse, die Anzahl der Bretter, die man aus ihm sägen konnte, ...bestenfalls noch den Benzinverbrauch der Kettensäge, ...und nicht zuletzt den finanziellen Gewinn.

Bei all diesen Erinnerungen kam es dem Landvermesser erst gar nicht in den Sinn, dass er vielleicht wirklich wach, ...und einfach nur geschrumpft worden sein könnte.

„Willkommen in Tiefwalden.“ ...drang da plötzlich ein zartes Stimmchen an sein Ohr.
„Gefällt es dir in meinem Palast?“
„Verzeih, dass ich dich für einen Augenblick allein gelassen habe. Aber du hast so tief und fest geschlafen, dass ich es einfach nicht mehr ausgehalten habe. Ich war so lange fort und wollte unbedingt mein Volk begrüßen.“
„Aber du warst keinen Augenblick lang allein. Die Bienen haben mir gesummt, dass du erwacht bist. Da habe ich mich sofort wieder auf den Weg gemacht. Denn es ist gefährlich, einen Fremden, der das nicht gewohnt ist, in dieser schwindelnden Höhe allein zu lassen. Manch einer ist schon vor Schreck in die Tiefe gestürzt. Das hätte ich mir in deinem Fall gewiss nie verziehen. Zumal ich noch viel mit dir vorhabe. ...Und den Schock der Dimensionen-Änderung, verdauen auch die wenigsten auf Anhieb ohne Beistand.“

Mit diesen Worten erschien ein Schatten im Höhleneingang. Ihm folgte eine völlig nackte Violette, die sich ungeniert, und ziemlich erregend, vor ihm ausstreckte. Erst auf den zweiten Blick fielen ihm die beinahe durchscheinenden Libellenflügel auf ihrem Rücken auf. Hatte er sich doch zu sehr von ihrem entzückenden Arsch und den frechen Spitzbrüstchen ablenken lassen. Kokett stolzierte sie jedenfalls jetzt auf Zehenspitzen auf und ab, ...und genoss seine volle Aufmerksamkeit.
Schlaftrunken kam Egidius auf die Beine; noch immer hypnotisiert vom Wippen ihrer rosigen Spitzen. Ein Ideechen zu lange nur, hatte er wohl darauf gestarrt. Denn plötzlich trat sein Fuß ins Leere.
Im letzten Augenblick stieß ihn die Fee in den Eingang zurück. Wenn das noch immer ein Traum sein sollte, war der verdammt realistisch…
Erschreckt blickte unser Landvermesser von der höchsten Eiche des Forstes, in eine erschreckend gellende Tiefe. Unter ihm lag ein gewaltiger, undurchdringlicher Wald.

„Willkommen in meinem Reich,“ ...begrüßte sie ihn abermals mit stolz ausholender Geste.
„Ist dieser Anblick nicht herrlich? Wie kann man den Wert eines Forstes nur in Holz oder Grundstückspreisen bemessen? Hier ist alles voller Leben, voller Wachstum und Gedeihen. Und ohne seine frische Luft, würde uns allen der Atem vergehen.“

„Ja, wirklich herrlich.“ ...stotterte Egidius, nun im vollen Bewusstsein der gigantischen Tiefe vor seinen Füßen. Einer Tiefe, die ihn schwindeln und frösteln ließ. Seine Augen tasteten nach sichererem Halt…
...sie fanden ihn in den Kniekellen dieser äußerst verführerischen Fee, die sich zum Glück gerade wieder in die sichere, tiefe der Baumhöhle zurückzog. Begehrlich umfasste er ihre zierliche Hüfte.

„Nicht so gierig, Egidius Landvermesser!“ ...schalt sie ihn in freundlicher Bestimmtheit.
„Es freut mich zwar sehr, dass ich dein Begehren wecke. Aber bisher hast du noch keine meiner Fragen beantwortet. Außerdem, das sollst du wissen, habe ich dich nicht ausschließlich zum Vögeln eingefangen. Du sollst hier etwas lernen.“
„Nur wenn du hübsch gelehrig bist, werde ich dir zur Belohnung noch einmal eine Kostprobe meiner Gunst gewähren. Aber wisse: Ich bin die Königin der Feen. Du hingegen, nur ein einfacher, augenblicklich etwas geschrumpfter, nimmersatter Mensch. Mein Schoß kann tausendfaches Leben spenden; ...millionenfache Freuden dem, der Freuden verdient. Aber er kann auch verschlingen, ...und die Sterblichen an die Sterblichkeit erinnern, sollten sie mich enttäuschen oder gar betrügen.“

„Was den Moment angeht, genieße ihn und tritt erneut mit mir an die Pforte. Fürchte dich nicht, ich lasse nicht zu, dass du stürzt. Erfreue dich an diesem Ausblick. Es gibt nur noch wenige deiner Art, die etwas derart Göttliches überhaupt schauen dürfen. Und wenn ich mich in dir geirrt habe, wird es das alles schon bald nicht mehr geben. Auch mit euch Menschen wäre es dann schnell vorbei. Aber das wollt ihr einfach nicht begreifen. Selbst wenn man euch mit Gewalt darauf stößt. Ihr habt vergessen, dass die Erde auch eure Mutter ist. Sie ernährt euch, ...stillt euren Durst und gibt euch die Luft zum Atmen. Selbst die wärmende Kraft des Feuers hat sie euch geschenkt. Und was habt ihr damit angestellt?“

„Folge mir ins Innere. Denn jetzt will ich dir die Zukunft zeigen. Eine Zukunft, die nicht eintreten muss, ...die aber eintreten wird, wenn du nicht hilfst, sie zu verhindern. Folge mir aufs Bett, sonst wird es dich von den Füßen reißen.“
...Die Fee streckte sich in ihrer nackten Pracht vor ihm aus. Und wieder regte sich die Gier in ihm. Während die Feenkönigin weiter sprach, kamen die Bilder...

…„Zum Dank für all diese Gaben, reißt ihr der Mutter die atmende Haut vom Fleisch. Ihr treibt Spieße hinein und zerteilt sie in kleine Parzellen, um sie anschließend gewinnbringend auf den Markt zu tragen. Darauf streut ihr auch noch Salz in die Wunden, ...ja nistet euch wie Maden darin ein. - Doch seit euch gewiss: Der Tag wird kommen, da sie euch vor Schmerz brüllend abwirft. Und dieser Tag ist nicht mehr fern, wenn ihr in eurer parasitären Gier nicht endlich umkehrt!“ ...Zu diesen Worten zeichnete sie magische Zeichen in die Luft. Augenblicklich änderte sich seine Wahrnehmung:

Ihm war plötzlich, als ob sich ihre Haut vom Fleische löste. Als er genauer hinschaute, waren da gewaltige Bagger am Werke, die sich gierig in ihren offenen Bauch fraßen. Schon wuchs eine Fabrik mit stinkenden Schloten aus der frisch geschlagenen Wunde. Schwefliger Ascheregen ergoss sich von einem imaginären Himmel. Das gehäutete Geschöpf wand sich derweil in schrecklicher Qual…

Dann ein zweites Bild. Ungeniert walzten sich jaulende Geländewagen zwischen die wunden Rippen, gruben sich in sinnlosem Rennen bis zu den Lungen in die Tiefe.

...Das erschreckende Schauspiel währte nur wenige Sekunden. Dennoch hatte es Egidius tief ins Mark getroffen.
Mit einer raschen Handbewegung fegte die Fee diese Horrorbilder davon.
Schon stand sie wieder in gewohnter Schönheit vor ihm. Aber bleich und erschüttert, trat er an den Abgrund und erbrach sich in die Tiefe. Dann schnappte er gierig nach der frischen Luft des grünen Waldes. Noch immer lag der Geruch verbrannten Fleisches in seiner Nase.

„Manch ein Mensch braucht einen hässlichen Schock, um wieder den Blick für Schönheit der Natur zu gewinnen. Unser Wald ist die Lunge der Welt...
...„Ja, er ist wirklich wunderschön, genau wie seine Hüterin. Ich glaube, meine Augen öffnen sich langsam. Ich beginne zu begreifen, was du mir sagen willst.“
„Aber was kann ich als kleiner Landvermesser schon gegen diese Zerstörung tun?“ ...zuckte Egidius hilflos mit den Schultern.
„Im Augenblick kannst du nur die Augen aufhalten, lieber steinhart. Lernen deine Sinne wieder zu gebrauchen und auf deine Gefühle zu hören, anstatt dich nur auf deinen mathematisch logischen Verstand zu verlassen. Es gibt noch eine andere Logik, die nicht deinem Hirn, sondern deinem Herzen entspringt.
„Ich habe dir grausame Bilder gezeigt. Und sie haben dich entsetzt. Es war dir nicht gleichgültig, wie mein Leib zerfetzt wurde. Das ehrt dich, ...und macht mir Hoffnung und Zuversicht.“

„Dasselbe Gefühl, solltest du auch für meinen Wald, ...und all die lebendigen Geschöpfe darin zeigen. Denn der Forst, und alles, was in ihm lebt, ist ein Teil von mir. Genau wie ich auch ein Teil von ihm bin. Und auch du, bist ein Teil dieses komplexen Ganzen.“
Bringe dieses neu entdeckte Gefühl zurück in die Menschenwelt. Lasse es dort wirken und sich vermehren, wie ein ansteckendes Virus. Infiziere die verhärteten Menschen durch dein Vorbild. Das war deine erste Lektion. Und damit du dich noch besser an sie erinnerst, ...aber auch den tiefen Schrecken der Bilder verdauen kannst, will ich nun ein kleines Fest zu Deinen Ehren geben. Und nicht zuletzt, um dich meinem Volke vorzustellen. Die „Kleinen Leute“ setzen große Hoffnung in dich. Du wirst sie gewiss bald sehr lieben. Denn wie du schon bei mir bemerkt haben dürftest: Wir sind ein sehr lüsternes Völkchen. Das dürfte dir sehr entgegenkommen. Denn nur was man mit Lust und Freude tut, führt letztendlich zu nachhaltigem Gelingen und fruchtbarem Erfolg...“
Während die Feenkönigin noch so vor sich hin philosophierte, legte sie ihrem Gast auch schon ein erstaunlich leichtes Geschirr an. Daran befestigt, war ein großes, vertrocknetes Eichenblatt, einem Segelfallschirm nicht unähnlich...

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