Mit der Zeit beruhigt sie sich halbwegs, hört auf zu heulen, dreht sich sogar wieder zu ihm hin, will wissen, ob jetzt wirklich nichts mehr ginge, ob sie es nicht doch noch einmal versuchen sollten. Bei diesen Worten wird sie zum zweiten Mal an diesem Abend zärtlich, fängt an, ihn zu streicheln, sich an ihn zu schmiegen, mit ihren Lippen seine Brust zu erforschen. Nein, er ist deprimiert, fühlt sich als Versager, schämt sich, zweifelt an sich selbst. Nein, jetzt gehe wirklich nichts mehr, vielleicht später, vielleicht morgen, jetzt aber nicht. Sie will immer noch nicht aus dem rosaroten Himmelreich in die triste Realität zurückkehren, fängt wieder an zu zetern und zu hadern, aber nicht mehr so laut und nur kurz. Dann wird sie ganz ruhig, hört auf zu schluchzen und zu schniefen, atmet tief durch und findet sogar ein paar Worte der Entschuldigung, weil sie so dummes Zeug geredet habe. Für das Gerede könne sie nichts, so sei sie eben, sie könne einfach nicht genug kriegen, wenn mal ein Mann bei ihr sei, dann würde das immer passieren, da könnte der Mann so gut sein, wie er wolle. Die blöde Sache hätte nichts mit ihm zu tun, nur mit ihren heftigen Emotionen, er sei ja ganz gut gewesen, nach dem Schock am Nachmittag und den vielen Verletzungen und weil er sie ja gar nicht kenne. Dann hört sie auf zu reden, richtet sich auf und befindet, dass sie jetzt eine Pause machen sollten, jetzt sei auch das Huhn fertig und sie könnten mit dem Essen anfangen und dann könnten sie es ja vielleicht noch einmal versuchen, wenn er sich erholt habe und gestärkt sei. Sie steht auf, nimmt einen verschlissenen, blauen Morgenrock, der an der Wand hängt und geht in die Küche. Er solle sich erholen, sie würde ihn rufen. Er ist froh, dass er etwas Zeit für sich hat, bleibt erschöpft liegen und fragt sich die ganze Zeit, warum es so schlecht gelaufen sei, warum er diese wilde Frau nicht bändigen oder befriedigen konnte und ob das Desaster vielleicht am Alter liegt. Dann schaut er sich in dem Zimmer um, dessen Einrichtung er bei dem stürmischen Betreten gar nicht richtig wahrnehmen konnte. Das Bett ist groß, ein Ehebett mit harten, durchgelegenen Matratzen, einem mittlerweile zerwühlten Laken, einer Decke, die neben dem Bett auf dem Fußboden liegt, daneben ein Kopfkissen mit Blümchenmuster, das dem auf ihrem kurzen Rock ähnelt. Über dem Kopfende des Betts hängt ein Teppich, ein gewebtes Bild. Es zeigt eine Bergszene mit einem kraftstrotzenden, röhrenden Hirsch. Es sind dieselben schmuddeligem Grün- und Brauntöne, wie draußen in der Pampa, in der Einsamkeit, in der diese liebeshungrige Frau zu leben gezwungen ist. Nachdenklich schaut er sich das Bild an, während er aufsteht und sich anzieht und fragt sich, was noch alles auf ihn zukommen würde, in dieser Nacht, außer dem geschmorten Hühnchen. Dann sieht er das noch fast volle Glas mit Rotwein auf dem Fußboden und trinkt es aus.
Das Hühnchen schmeckt ausgezeichnet, beide essen mit Appetit und Behagen. Die Frau hatte in den Schmortopf Kartoffeln und Gemüse dazu gegeben und einige Kräuter und Gewürze und so eine delikate Beilage mitsamt Soße gezaubert. Zudem hatte sie, wohl in der Zeit, als er noch im Bett lag, sogar einen Nachtisch zubereitet, eine Zabaione aus rohem Eigelb, viel Zucker und einem Schuss Rotwein, dekoriert mit seinen Schokoladestückchen. Leider ist er von dem er Nachtisch nicht so recht begeistert, er ist viel zu süß und er braucht etlichen Rotwein, um das Zeug hinunterzuspülen, aber er will ja nicht unhöflich sein. Sie trinken den Rotwein aus den Wassergläsern, aus denen sie auch schon den Gin getrunken haben, vermutlich die einzigen Gläser der Gastgeberin. Die angebrochene Flasche Malbec reichte gerade für das Huhn, für den Nachtisch öffnet er die zweite. Während der Pegel in der Flasche abnimmt, werden beide immer lauter, immer fröhlicher und bald plappern sie nur noch unsinniges Zeug. Als auch die zweite Flasche leer ist, kocht sie einen Kaffee und er füllt die Gläser mit dem gnadenlos harten Gin, Cognac oder Whisky gibt es in dem Grand Hotel leider nicht, er sei gerade ausgegangen, ruft die Frau gut gelaunt aus der Küche und anschließend sind sie vollends aufgekratzt und in bester Stimmung. Leider hält diese nicht sehr lange vor, denn auf einmal beginnt der Wein und das gute Essen und die angenehme Wärme im Raum und die mittlerweile vertraute Nähe und Zweisamkeit zu wirken und macht sie schläfrig. Zuerst wird die Frau müde. Sie hat sich breitbeinig auf das Sofa gesetzt, streckt alle Viere von sich, räkelt sie sich ziemlich ungeniert, ihr blassblauer Morgenmantel klafft auf, sie merkt es nicht oder es stört sie nicht und er sieht, mit neuem Interesse, ihren Busen und diesen unglaublich dicken, tiefschwarzen Busch. Dann gähnt sie mehrfach, reißt den Mund weit auf, ohne die Hand davor zu halten und stößt jedes mal einen satten, zufriedenen, irgendwie wollüstigen Laut aus. Nach jedem Gähnanfall wischt sie sich Tränen aus den Augen und hat anschließend gehörige Schwierigkeiten, die Augen offen zu halten. Auch er fühlt, wie eine wohlige Müdigkeit in ihm aufkommt, ihn umgarnt, ihn einlullt, ihn zu vereinnahmen sucht. Aber noch ist es viel zu früh, um schlafen zu gehen, denn dann steht er mitten in der Nacht auf der Matte, er kennt sich doch. Und außerdem ist ja noch gar nicht geklärt, wo er überhaupt sein Haupt betten soll. Im Schlafzimmer? Lieber nicht. Dort schläft ja sie und er fürchtet, trotz der leise aufkeimenden Lust beim Anblick am Morgenrock vorbei, dass sie trotz der Müdigkeit das Spiel, wie angedroht fortsetzen könnte und sein Stehvermögen erneut prüfen würde und dazu fühlt er sich im Moment absolut nicht in der Lage, nach dem opulenten Essen und dem vielen Rotwein und Gin. Er fühlt sich nur schlaff und schläfrig und ist alles andere alles paarungswillig. Auf das Sofa kann er auch nicht, da hat sie sich breit gemacht und wenn er sie vertreibt, kommt sie womöglich genau auf diese Gedanken. Was soll er tun, um sich abzulenken und um die Zeit zu vertreiben? Da kommt ihm die Idee, die Frau und ihre Wohnung in ein paar Bildern festzuhalten. Jetzt bietet sich eine prima Gelegenheit, die will er nicht ungenutzt verstreichen lassen. Er nimmt den Fotoapparat aus der Parka, schaltet ihn ein und schaut prüfend auf das Objektiv. Dann drückt er ab und betrachtet das Monitorbildchen: das grüne Sofa, auf diesem mit breiten Beinen, den bläulichen Bademantel mehr als halb geöffnet, die müde Frau. Ein Bild einerseits voller Erotik, andererseits voller Tristesse und ohne jeden Charme. Trotzdem ein guter Schnappschuss, denkt er und stellt zugleich befriedigt fest, dass die Kamera den Sturz in den Busch ohne Schaden überstanden hat. Er steht auf und beginnt zu fotografieren. Als erstes noch ein paar Bilder von der dösenden Frau, dann den Wohnraum, die Küche und schließlich das Schlafzimmer mit dem röhrenden Hirsch und dem zerwühlten Bett, ein etwas zweifelhaftes Erinnerungsfoto, findet er.
Irgendwann merkt die Frau doch, was er da so treibt. Sie ist sofort hellwach und höchst interessiert. Warum er nicht schon früher seine Kamera gezeigt habe. Ob er jetzt Bilder von ihr gemacht habe. Ob sie die sehen könne. Er zeigt er ihr die Bilder auf dem kleinen Monitor. Sie ist entsetzt und begeistert. Ach Gott wie schrecklich, so müde, so zerzaust und der offene Morgenrock, ach wie schrecklich. Ob er nicht bessere Bilder von ihr machen könne. Sie so auf dem Sofa zu knipsen, dass hätte er nicht machen dürfen. Er fürchtet schon, zu weit gegangen zu sein, sie in ihrem Schamgefühl verletzt zu haben und murmelt etwas von Entschuldigung und steckt die Kamera wieder in die Parka. Nein, ruft sie, er solle nicht aufhören, sie doch nicht prüde und zu verbergen hätte sich nichts. Es sei nur wegen des alten Bademantels, der würde ihr nicht gefallen und weil sie eben so müde war, so hässlich, ungekämmt und ohne Schminke, einfach nicht schön genug. Sie sei doch nicht hässlich, oder? Sie sei doch immer noch ganz hübsch, oder? Er stimmt eifrig zu. Wenn er wolle, fährt sie fort, könne er ruhig mehr Bilder von ihr machen, aber ohne den Bademantel. Noch während sie das sagt, steht sie auf, zieht den zerschlissenen Mantel aus, wirft ihn auf den Fußboden und steht nun nackt und bloß vor ihm und fängt sofort an zu posieren. Er macht ein paar Bilder, dann sagt sie, er solle warten, geht in die Küche, kämmt sich, fährt die Lippen nach, wühlt in dem Kleiderschrank und zieht sich, er ist ehrlich erstaunt, sehr rasant wirkende Unterwäsche an, einen roten Tangaslip und einen sehr knappen, dazu passenden Push-BH. Sie sieht richtig gut aus, gar nicht mehr wie eine verdorrte Pflanze in der Einsamkeit der Pampa, fast wie eine Professionelle aus den einschlägigen Vierteln von Buenos Aires. Nun nimmt sie alle möglichen Stellungen ein, stehend, auf dem Sofa sitzend, auf dem Sofa liegend, sich auf dem alten Fußbodenteppich wälzend. Und er nimmt sie in all diesen Positionen auf, fotografiert sie von vorne, von hinten, von oben, von unten, frontal, von der Seite, en gros und en detail. Sie hat die Ideen, zieht sich verschiedene Kleidungsstücke an, enge Jeans, sogar eine Art Braukleid, dann wieder Gummistiefel und Latzhose. Sie weiß sich in allen Rollen zu präsentieren und genießt ihre Rolle als Fotomodell, als ob sie schon immer darauf gewartet hätte, eine Rolle, die sie sicher noch nie gespielt hat und vermutlich nie mehr spielen wird. Er genießt es, wenn sie schmollend, schmunzelnd, schmachtend, lachend in die Kamera schaut, läuft ihr nach, wenn sie durch das Zimmer hüpft, legt sich auf den Boden, wenn sie hin und her springt, baut sich frontal vor ihr auf, wenn sie sich dreht und wendet und die Arme hinter dem Nacken verschränkt. Er sucht Abstand, wenn er sie Format füllend aufnehmen will, wie sie herumtänzelt, dabei mit ihrem Hintern wackelt und den Busen hoch reckt. Und er rückt ihr dicht auf die Pelle, wenn nur ihre Augen, ihr Mund, dieser Reckbusen oder der Wackelhintern das Bild ausfüllen sollen. Sie hat die Ideen, sie agiert, er feuert sie lauthals an, noch mehr zu tun, immer mehr zu geben, immer mehr zu zeigen. Sie tut es, lacht dabei, ihr kehliges Lachen, ist ausgelassen und fröhlich. Ihm bleibt nur, abzudrücken, immer wieder abzudrücken und zu bedauern, dass er keine bessere Kamera dabei hat, eine mit der man wirklich gute Bilder machen könnte, nicht nur diese Schnappschüsse. Aber die Qualität der Bilder und die fehlende Profikamera stellen für die Frau überhaupt kein Problem dar. Sie weiß vermutlich nicht einmal, dass es bessere Kameras gibt oder dass man noch bessere Bilder machen könnte, denn zwischendurch, wenn sie eine Pause machen und er ihr die Bilder auf dem Monitor zeigt, ist sie stets aufs Neue selig und entzückt. Sie äußert sich in höchsten Tönen, mit spitzen, kleinen Schreien, auch wenn, wegen des schlechten Lichts, nur helle und dunkle Streifen und diffuse Schatten zu erkennen sind.
Während der Aufnahmen geraten beide in immer größere Erregung. Er wird immer hibbeliger, wenn sie sich rücklings, mit gespreizten Beinen auf einen Stuhl setzt, sich ausgiebig auf dem Sofa wälzt oder ihren Busen mit einer Art durchsichtigen Gardine kaum verhüllt. Sie erregt sich bei jeder neuen Pose, die er beklatscht, bei jeder Aufforderung, noch mehr zu geben und bei jedem Lob, wie gut, wie einmalig sie sei. Nachdem sie alle möglichen Posen durchgespielt haben, sind beide ein wenig außer Atem und auch ein wenig ratlos und wissen nicht so recht, was sie noch tun sollen. Die Frau schlägt sogar vor, in das kalte Wasser der Badewanne zu steigen und als Nixe zu posieren. Das kalte Wasser mache ihr nichts aus, versichert sie und er glaubt es sogar. Aber nach einem Blick auf den verbliebenen Speicherplatz muss er ihren Vorschlag bedauernd ablehnen, alle Speicherkarten, die er dabei hat, sind voll und er hat keine Möglichkeit, sie wieder leer zu machen. Sie versteht sein Problem nicht so ganz und schlägt vor, einfach den Film zu wechselt. Er quittiert ihren zweiten Vorschlag mit einem müden Lächeln, geht nicht weiter darauf ein und fängt auch nicht an zu erklären, dass bei digitalen Kameras alles anders sei. Aber auch sie hat anscheinend genug gegeben, denn unverhofft, noch echauffiert von dem unverhofften Glück, das ihr widerfuhr, immer noch ein wenig atemlos von dem wilden agieren, mit gerötetem Gesicht und flackerndem Blick macht sie einen ganz anderen Vorschlag. Komm, sagt sie, dann versuchen wir es noch einmal, fasst ihn bei der Hand, zerrt ihn erneut in das Schlafzimmer, drückt ihn wieder auf das breite Ehebett mit dem zerwühlten Laken. Er ist wieder überrumpelt, hat kaum Zeit, die Kamera auf den Fußboden zu legen und schon geht das ungestüme Spiel unter dem röhrenden Hirsch erneut los, dasselbe gierige Grapschen nach Männerfleisch, dieselben ungeduldigen Versuche, eine Wiedervereinigung zu erzwingen. Doch es gibt nichts zu vereinen, es gibt nichts, was sich in ihm regt, es geht einfach nichts mehr und durch diesen Überfall schon gar nicht. Das Strohfeuer der Erregung, das ihn beim Bademantelblick und dann bei ihren freizügigen Posen gepackt hatte, ist verlöscht. Er ist zu einem zweiten Ritt einfach nicht in der Lage, er ist schlichtweg überfordert und alle wilden, verzweifelten Anstrengungen seiner Nachtbraut, seiner heißblütigen Geliebten einer Nacht sind vergebens. Keuchend, erschöpft und frustriert lässt sie nach einer Weile von ihm ab, hört auf, ihn zu bestürmen und zu besteigen, vergisst sogar ihn zu beschimpfen. Mag sein, dass ihre Resignation schon zu groß ist, mag sein, dass sie nach dem Rotwein und dem wilden Fotografieren nun auch zu müde ist. Sie lässt jedenfalls von ihm ab, legt sich neben ihn und kurz darauf ist sie eingeschlafen.
Er hat natürlich schon wieder oder immer noch ein schlechtes Gewissen, fühlt sich als Spielverderber und Versager, als seniler Greis oder impotente Schwuchtel, jedenfalls als einer, der eine Frau nicht mehr befriedigen kann. Aber mehr noch als diese Schmach, treibt ihn die Versagensangst vor dem nächsten Mal um. Ihm wird schlecht bei der Aussicht, dass das ganze Spiel am nächsten Morgen noch einmal stattfinden könnte. Als er nun zur Ruhe kommt, schlägt sich die Angst auf Magen und Darm und es fängt in ihm an zu brodeln und zu rumoren. Solche psychosomatischen Effekte auf den Verdauungstrakt sollen ja alles andere als selten sein, hat er einmal gelesen. Doch dass sie so rasch, so heftig werden können, hätte er nicht gedacht. Da fällt ihm ein, dass ihn eigentlich schon die ganze Zeit eine leicht Unpässlichkeit geplagt hat. Schon während des Herumalberns und des Fotografierens hatte er gespürt, wie es in seinem Bauch grummelte, das Gefühl aber erfolgreich verdrängt. Sind die immer heftiger werdenden Konvulsionen doch auf das Essen zurückzuführen? War es das Huhn oder war es die unsägliche, beschissene Zabaione aus rohen Eiern, die er besser verschmäht hätte und die ihm sowieso nicht geschmeckt hatte. Rohe Eier denkt er, na klar, ich Idiot.. Er muss ganz dringend das Separée neben dem Hühnerstall aufsuchen. Das Huhn fliegt mit Radau durch seine Gedärme und will raus, raus aus dem mit Rotwein geschwängerten, durch die Zabaione versauten Gefängnis, egal, ob oben oder unten. Er steht eilends auf, sucht die Taschenlampe, schlüpft in die Hose und die Schuhe, streift den Pulli über und zieht, bereits im Freien, den Parka über. Er rennt an dem träumenden Hund und den schlafenden Schwestern seiner tobenden Henne vorbei und erreicht gerade noch rechtzeitig den Abtritt, um sein Geschäft lautstark, aber ordnungsgemäß und nicht vorzeitig zu erledigen. Danach bleibt er erleichtert in der stressfreien Zone sitzen, bis ihn die Kälte der Nacht und der Wind, der immer wieder durch die undichte Brettertür bläst, zurück in das Haus treiben. Erleichtert stellt er fest, dass die Frau immer noch tief und fest schläft, überlegt sodann, ob er sich nicht vorsichtshalber doch auf dem Sofa einquartieren soll, zieht es dann jedoch vor, sich in ein warmes Bett zu legen. Sie wird ja wohl mitten in der Nacht nicht noch einmal mit ihren unersättlichen Spielchen anfangen, denkt er und zieht die Parka aus. Dann liegt er neben ihr und will sich sogar an sie schmiegen, was gibt es schöneres wenn man aus der Kälte kommt, als ein warmer Frauenkörper. Er braucht dringend ein wenig Wärme, nach der langen Sitzung auf dem Abtritt, aber die Angeschmiegte wendet sich von ihm ab, vielleicht unbewusst im Schlaf oder weil sie keinen Eisblock neben sich haben will. Immerhin dreht sie ihm den drallen Hintern zu und er umfasst diesen mit beiden Händen und wärmt wenigstens diese an ihrem heißen Körper.
Trotz der Wärme und der entspannten Nähe kann er lange nicht einschlafen. Die Gedanken an diesen seltsamen Tag halten ihn wach. Was für ein Wind! Was für eine Gewalt der Elemente! Welch Glück, dass diese verdammte Böe nicht sein Auto während der Fahrt erfasst und irgendwo hin getrieben hat. Welch Glück, dass dieser verdammte Stachelstrauch ihn in seine Arme genommen hat. Er lauscht dem ruhigen, regelmäßigen Atem der Frau. Ab und zu zuckt ihr Körper, aber sie behält ihr Lage bei, der Hintern ragt in seine Richtung. Er kuschelt sich nun doch an sie, drückt seinen Leib an diesen Hintern, legt eine Hand auf ihren Bauch und seinen Kopf an ihren Nacken. Er fühlt die Geborgenheit der Zweisamkeit, aber schlafen kann er trotzdem nicht. Er ist es einfach nicht gewohnt, eine ganze Nacht bei einer anderen Frau zu sein, das kommt eigentlich nie vor. Kurze Begegnungen, ja, aber ganze Nächte, nein. Was für ein Glück, auch in dieser Hinsicht, diese Frau getroffen zu haben. Was für eine neue Erfahrung und natürlich, welch Geschenk des Himmels, ihre Hilfsbereitschaft und ihre Gastfreundschaft zu genießen, dafür kann man auch diese Belästigungen ertragen, diesen verzweifelten Hunger nach Liebe und so unangenehm kann Liebe niemals sein, als dass man sie nicht doch ersehne und etrüge. So zufrieden er mit dem Ausgang seines Unfalls ist, so froh er ist, eine Samariterin gefunden zu haben, so sehr er es schätzt, die Nacht bei einer Frau verbringen zu können, trotz ihrer Wildheit, ihrer unbeherrschten Gier, so unzufrieden ist er mit sich selbst. Die Gedanken, die ihm schon während der misslungenen Akte durch den Kopf gegangen waren, obwohl beim zweiten Mal sein Gehirn schon so umnebelt war, dass er kaum noch denken konnte, diese Gedanken, kommen nun, in der Phase der Ruhe und der Rückbesinnung, mit aller Macht zurück. Er hatte versagt, in den entscheidenden Momenten versagt, da gab es keinen Zweifel. Beim ersten Mal, als alles viel zu schnell ging und auch beim zweiten Anlauf, als er eigentlich bereit war und selbst wollte. Oder lag das Versagen doch am Alkohol? Hatte er einfach zu viel gesoffen und sich dadurch lahm gelegt? Oder war er mittlerweile zu alt für diese Art von Liebe? Oder es hatte nicht geklappt, weil er zu aufgeregt war, zu unkonzentriert, zu überrascht war? Oder waren es die Schmerzen an den Händen und den Knien, das verdammte Jod, die Gott verdammten Sturmfolgen, die ihn zu sehr abgelenkt hatten? Oder hatte ihn diese Frau, die wie ein Tropengewitter über ihn hereingebrochen war, die ihn umgeschmissen hatte, wie dieser ewig heulende Pampawind, wie die Böe, die ihn gepackt und geschüttelt und niedergeknüppelt hatte, hatte diese Urfrau ihn schlicht und einfach überfordert, ihn, mit anderen Worten, schlicht und einfach vergewaltigt? Hätte er sich vorbereiten sollen und die blauen Pillen, die Glückspillen, rechtzeitig schlucken müssen, die er für alle Fälle dabei, aber noch nie verwendet hat? Aber was heißt unvorbereitet? Solche Ereignisse plant man doch nicht, solche Erlebnisse kommen unvorbereitet, sie überkommen einen. Während seine Gedanken so dahin schweifen, zuckt die Frau an seiner Seite plötzlich zusammen und verändert ihre Stellung, nun presst auch sie sich an ihn, drückt ihren Hintern an seine Seite. Das scheint sie zu beruhigen, denn sie fängt an zu schnarchen, recht laut zu schnarchen, obwohl sie immer noch auf der Seite liegt. Doch kaum dass er die neue Lage, die neue Intimität genießt, fällt ihm plötzlich etwas Schreckliches ein, etwas, das er bisher ganz verdrängt hatte.
Siedend heiß fällt ihm ein, dass er kein Kondom verwendet hat. Obwohl, beim ersten Mal hätte er den Gummi gar nicht platzieren können, so schnell ging alles, so weich war alles und beim zweiten Mal hätte er ihn gar nicht gebraucht. Was ihn bestürzt, ist die Tatsache, dass er gar nicht dran gedacht hatte, dass er überhaupt nicht erwogen hatte, solch ein Ding zu verwendet, die Idee ist ihm nicht mal im entferntesten gekommen. Dieser Gedanke beunruhigt ihn sehr. Wie konnte diese Nachlässigkeit passieren? Ist das der Anfang von Alzheimer? Nein, das konnte nur passieren, weil ihn diese unersättliche Frau regelrecht überrumpelt hatte. Sie hatte sich auf ihn gestürzt und ihn zum Beischlaf gezwungen. Das fehlende Kondom, so versuchte er sich zu beruhigen, sei für ihn doch gar kein so großes Problem. Es sind doch die Frauen, die Probleme bekommen können, aber die hier, ist ja wohl alt und erfahren genug, um zu wissen was sie tut und was sie lässt. Doch der Gedanke ist zäh, er rumort in seinem Hirn, wie das Huhn in seinem Bauch rumort hatte. Und als er weiter sinniert, noch immer schlaflos, die Hand auf ihrem drallen Hintern, das Schnarchen im Ohr, das zum Glück inzwischen etwas leiser geworden ist, fallen ihm noch ein paar Dinge zu diesem Thema ein, die ihn weiter beunruhigen. Die Frau hatte doch von caballeros gesprochen und dass die nicht mehr kommen würden, seit es die autopista gibt. Damit kann sie doch nur Fernfahrer gemeint haben. Männer, die ihr diese Geschenke brachten und denen sie wohl auch ihre rudimentären Englischkenntnisse verdankt. Wo sollte sie eine fremde Sprache gelernt haben, bei ihrer Herkunft und bei der Gottverlassenheit, in der sie die ganzen Jahre lebt. Vielleicht waren unter den Fernfahrern auch Ausländer. Was transportieren Fernfahrer außer ihre Ladungen? Ja, richtig, Viren. Sie verteilen ihre Waren und zugleich verteilen sie AIDS im Land. Das liest man doch immer wieder. Es gibt doch genug Länder, in den Geschlechtskrankheiten und AIDS durch Fernfahrer und Prostituierte verbreitet werden. Gut, das ist kein Dritte-Welt-Land, aber ein Land mit Fernfahrern und die haben sie womöglich angesteckt, diese Nutte. Aber wie eine richtige Nutte sieht sie doch nicht aus und auch nicht, wie eine HIV-Verdächtige, so gesund und rund und drall, wie sie ist. Bei dem Gedanken, er könnte sich etwas geholt haben, nicht gleich AIDS, aber so ein Schanker reicht ja wohl auch, wird ihm ganz schlecht. Er löst sich von ihr, verlässt seine warme Höhle, geht in den Wohnraum, wühlt im Licht der Taschenlampe in seinem Koffer nach den Pillen und den Kondomen und legt sie neben das Bett, um für den Generalangriff am nächsten Morgen besser gewappnet zu sein. Er überlegt noch, ob es besser wäre, gleich eine der Lustpillen zu nehmen, trotz seiner Angst, trotz all der schrecklichen Gedanken, die gerade durch sein Hirn gefegt sind, so sind nun mal Männer, Weltmeister im Verdrängen, aber er lässt es, vor allem weil er fürchtet, dass die Wirkung zur Unzeit da wäre. Dann endlich, nach vielem Denken und Zweifeln findet er doch noch den ersehnten Schlaf.
Er wacht auf, als der Duft von Kaffee und geröstetem Brot seine Nase umschmeichelt. Er ist allein im Bett, die Tür des Schlafzimmers ist einen Spalt weit geöffnet und er hört, wie die Frau umher geht und herum hantiert. Seine Nachtgedanken, seine Ängste, fallen ihm sofort wieder ein. Soll er die Pille nehmen und warten, bis sie kommt? Soll er aufstehen, sich anziehen und dem Kaffeeduft nachgehen? Einerseits macht ihn der Gedanke an, mit dieser Frau noch einmal zu schlafen, dann aber richtig und wer weiß, vielleicht geht es in der Frühe besser, andererseits solch eine Blamage wie in der Nacht will er nicht noch einmal erleben. Die Angst ist unberechenbar und könnte ihn im entscheidenden Moment überfallen. So beschließt er, erst einmal zu frühstücken, die Lage zu sondieren und dann zu sehen, wie es weiter geht. Die Frau ist angezogen, sie hat dieselben leichten Kleider vom Vortag an und begrüßt ihn eher zurückhaltend, ohne Küsschen, ohne Anspielung auf den Abend und auf all das, was auch sie bewegt haben muss. Stattdessen erklärt sie, was er ohnehin schon sieht, dass sie gerade Frühstück mache und ob er ein Ei wolle. Dann fügt sie noch hinzu, dass es schon reichlich spät sei. Er nimmt dies als weiteres Signal, dass sie nicht noch einmal ins Bett kommen will und dass seine Ängste unbegründet waren. Während sie schweigend frühstücken, wundert er sich, dass sie so kühl und zurückhaltend ist, dass ihr Heißhunger auf Mann gestillt sein soll, obwohl sich noch eine Gelegenheit böte. Aber sie macht wirklich keinen Versuch, sich ihm zu nähern, sie verhält sich wie die Wirtin einer Pension, die ihrem Gast das Frühstück serviert. Einerseits ist ihm das ganz recht, andererseits wäre es vielleicht doch ganz schön, jetzt noch einmal, da er ausgeruht ist. Ob sie nur auf eine Initiative von ihm wartet? Aber sie sieht nicht danach aus, im Gegenteil, er fragt sich, als er ihr ziemlich finsteres Gesicht sieht, wie das alles am vergangenen Tag geschehen konnte. Sie frühstücken schweigend zu Ende, wie zwei Fremde, die zufällig am selben Frühstückstisch in einem Hotel sitzen. Und das sind sie sich ja auch, Fremde, denkt er. Dann sitzen sie noch ein Weilchen unschlüssig und verlegen herum, bis er meint, dass es nun tatsächlich spät und an der Zeit sei, zu gehen. Sie nickt nur, versucht ihn auch jetzt nicht, zu halten oder zu irgend etwas zu ermuntern. Sie fragt nicht einmal, ob er ihr ein paar Bilder schicken könnte, Bilder für die sie so fantastisch posiert hatte und von denen sie bestimmt gerne Abzüge hätte. Sie nennt weder ihre Adresse, noch fragt sie nach seiner. Verwirrt, irritiert und enttäuscht über diese kühle Distanziertheit, immerhin sind es ja erst ein paar Stunden her, seit sie es heiß und emotionsgeladen miteinander getrieben hatten, bietet auch er nichts dergleichen an. Dafür bietet er ihr etwas anderes an. Er holt aus seiner Hosentasche ein paar Geldscheine, eine Summe, die er im Schlafzimmer vorbereitet hatte und für angemessen hält, angemessen für die all-inclusive Nacht im Grand Hotel, auch ein Ergebnis seines nächtlichen Grübelns und gibt sie ihr. Kommentarlos und selbstverständlich, ohne sich zu bedanken, legt sie das Geld auf den Tisch und beschwert es mit der Kaffeetasse. Erst ein paar Tage später, als er aus seiner Bauchtasche, dem Vorratsbehälter für größere Geldscheine, etwas entnahm, sollte er merken, dass ein paar Scheine fehlten. Geld, das nur diese Frau entwendet haben konnte, nachts, als er endlich eingeschlafen war oder morgens, bevor sie Kaffee kochte. Er ärgerte sich nur kurz, der Verlust war für ihn nicht groß, für sie, für diese Nutte, wie er kurz und grimmig dachte, aber ansehnlich. Dann dachte er aber auch an die Samariterin und wie froh er war, dass sie ihm geholfen hatte und dass er ihr eigentlich viel zu wenig gegeben hatte, weil diese Hilfe alles andere als selbstverständlich gewesen war. Nein, durch diese Kleinigkeit, würde er sich seine Erinnerungen nicht trüben lassen. Auch bei dem zweiten Verlust, den er erst bemerkte, als sich Bedarf ergab, reagierte er gelassen. Er hatte die Kondome und die blauen Pillen im Schlafzimmer liegen lassen.
Aber diese Gedanken bewegen ihn noch nicht, als er ihr im Türrahmen zum Abschied Küsschen auf die Wangen gibt. Er murmelt ein paar Abschiedsfloskeln, sie antwortet genauso emotionslos. Der Hund ist ebenfalls erschienen. Er gähnt und wedelt freundlich mit dem Schwanz, erst als er mit dem Auto langsam auf die Straße rollt, bellt er und zerrt an seiner Kette. Die Frau steht immer noch in der Tür und winkt. Sie sieht genauso aus, wie am Tag vorher, als er sie um Einlass und um Wasser bat. Nur das Wetter ist besser. Die Sonne scheint, ein paar unschuldige Wolken zeigen sich am Himmel, der Wind hat sich fast völlig gelegt. Ein schöner Tag liegt vor ihm.
Diese Erzählung ist als print on demand book und e-book unter dem Titel "Yupag Chinasky - Verirrungen" bei www.epubli.de erschienen und kann im Internet auch bei anderen Anbietern bezogen werden.
Wind 2
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