Wo ist Falk?

Josie

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Wo ist Falk?

Wo ist Falk?

Gero Hard

„Ich liebe dich so sehr, mein Schatz.“, flüsterte er. „So sehr … so sehr.“
„Ich dich auch, mein Liebling, das weißt du doch! Aber was ist passiert? Ist was mit Falk? Hat alles geklappt?“, fragte ich nun doch aufgeregt.
„Du hast es verloren, mein Schatz … unser Kind.“
„Was hab ich? Kind verloren? Du spinnst doch, ich war nicht schwanger, das hätte ich ja wohl gemerkt.“
„Wahrscheinlich nicht, wegen der ganzen Aufregung. Aber Chris hat recht, Josie, der Arzt hat es uns gerade bestätigt.“, rückte nun Franzi etwas dichter an mich heran und streichelte meinen nackten Arm, in dem eine Nadel steckte, durch die mir Flüssigkeit aus einem Beutel eingeflößt wurde. Und wieso nackter Arm, warum der Beutel, wo war ich überhaupt?
Undeutlich kamen die Bilder in meinen Kopf zurück. Die Krämpfe, die gefühlt zehnte Kotzerei in dieser Woche …, der Pfropfen. Und mit den Bildern kamen die Tränen. Erst nur ein paar, dann immer mehr, bis ich in einen Weinkrampf ausbrach.
Chris hatte sich neben mich gelegt und an seine Brust gedrückt, Franzi sich einen Stuhl neben das Bett gezogen und sah mir traurig zu, bis ich mich etwas beruhigt hatte. Die ganze Zeit hielt sie meine Hand.
„Schatz, ich wußte es nicht … ehrlich! Bitte verzeih mir …! Wieso …, wieso konnte ich es nicht halten?“
„Die Woche war einfach zu viel für dich. Dazu die vielen starken Medikamente, Beruhigungsmittel, Schlafmittel, der ganze Mist. Nichts gegessen, zu wenig getrunken, kaum Schlaf. Und ich war viel zu sehr mit mir selbst beschäftigt und habe dich vernachlässigt. Mir tut es leid, dass ich nicht bemerkt habe, wie schlecht es dir wirklich ging. Du schienst so stark zu sein.“
„Ich wollte für uns zusammen stark sein. Einer musste es ja sein und du hast dir um deinen Sohn Sorgen gemacht. Wenn ich nur gewusst hätte, …!“ 
„Liebling, nun mach dir keine Vorwürfe deshalb. Ich bin es, der sich Vorwürfe machen muss.“, weinte nun auch wieder Chris in das Nachthemd, dass man mir übergezogen hatte.
„Wie bin ich hierher gekommen?“
„Ich habe dich gefunden, als ich von der Übergabe zurückkam. Nachdem ich dich gerufen hatte und keine Antwort bekam, fand ich dich bewusstlos im Bad mit heruntergelassener, vollgebluteter Hose. Der Notarzt und der Krankenwagen waren schnell da.“
„Die Übergabe …, Scheisse, ist alles klar gegangen? Habt ihr das Schwein geschnappt?“
„Nicht direkt. ‚Unsere‘ Iris hat das Päckchen abgeholt und die Kripo ist ihr nach. Mehr weiß ich auch noch nicht.“
„Was, die Schnepfe aus der Anmeldung steckt da mit drin? Die mochte ich noch nie. War von Anfang an komisch zu mir.“
„Weil sie eifersüchtig auf dich war. Die umgarnt mich schon seit der ersten Minute. Die Polizei denkt nun, dass sie sich so an mir rächen wollte. Nur ist noch nicht klar, wie sie an die Kontakte der Konkurrenz gekommen ist. Man vermutet, die hätten sie mit Geld geködert und auf ihre Seite gelockt. Tja, und die Rache kam ihr ganz gelegen.“
„Blöde Fotze!“, platzte es prompt aus mir heraus.
„Josie!“, wenn Franzi’s Blicke Messer gewesen wären … au weia. Chris lachte nur. Er war da deutlich lockerer.
Die Stille, die dann den Raum erfüllte, machte mich schwermütig. Ich fühlte mich, als hätte ich Chris um etwas sehr
Wertvolles betrogen, was eindeutig ihm gehörte. Hatte es Unwiederbringlich zerstört, und ich war schuld daran. Ich hatte es verdorben, war unfähig, mit ihm das zu teilen, was wir beide zusammen mit unserer Liebe erschaffen hatten.
Ich legte den Kopf zu Seite, sah aus dem Fenster und entzog mich so seinen Blicken. Verbarg die dicken Tränen, die den kurzen Weg über meine Wange in das Kissen fanden.
Chris wäre nicht Chris gewesen, wenn er durch sein Gespür nicht bemerkt hätte, was in mir vorging. Mit seinem Zeigefinger zog er meinen Kopf am Kinn zu sich zurück.
„Liebling, du bist nicht schuld. Rede dir das bitte nicht ein. Die Natur hat es nicht gewollt, hielt es zu diesem Zeitpunkt für nicht passend. Bitte Josie, tu das nicht! Mach dich nicht dafür verantwortlich ... bitte nicht!“ 
„Du wirst mich nicht mehr lieben, wenn Falk wieder da ist und alles wieder seinen Gang geht.“
„So einen ausgemachten Unsinn hab‘ ich selten gehört. Im Ernst, Josie, ich liebe dich trotzdem. Daran wird sich nie etwas ändern … niemals, das schwöre ich!“
„Das sagst du jetzt, weil du mich beruhigen willst. Ich möchte jetzt bitte allein sein! Würdet ihr bitte beide gehen und diesen Mistkerl schnappen helfen!“
„Josie, bitte glaub mir doch. Ich liebe dich! Natürlich hätte ich mich gefreut, wenn du es ausgetragen hättest. Aber das hier ändert nichts an meiner Liebe zu dir.“
Ich sah die Tränen bei ihm und Franzi. Sah sie, aber sie berührten mein Herz nicht, das schwer in meiner Brust lag und müde vor sich hin pumpte.
„Bitte geht. Bitte.“

Franzi ließ nur langsam meine Hand los. Man sah ihr deutlich an, dass ihr noch einiges dazu eingefallen wäre. In den letzten Wochen war sie wie eine mütterliche Freundin geworden. Nach unserem Bootsausflug hatten wir einige ‚Frauengespräche‘ führen können. Sie war mir wichtig geworden. Ihre Meinung auch, die ich respektierte, als wäre sie von meiner Mutter gekommen.
Ich hatte doch nichts Grundsätzliches gegen die beiden, wollte nur jetzt für mich allein sein und darüber nachdenken. Über den Abort, was er mit unserer Liebe machen könnte, und über die Frage: Will ich überhaupt Kinder? Und wenn, konnte ich jetzt noch welche bekommen?
Diese Frucht war höchstens drei Wochen alt. Wenn ich so recht nachrechnete, hätte ich letzte Woche meine Regel bekommen müssen. Ergo war ich etwa eine Woche drüber.
Im Grunde war es also kaum mehr, als ein Zellklumpen, nüchtern und lieblos betrachtet. Aber für mich war es bereits in
diesem frühen Stadium ein Teil von mir, dessen Verlust ich zu verkraften hatte. Es war MEIN Kind, und ich hatte es getötet.
Mit einem letzten Blick von der Tür aus, ließen sie mich und meine Gedanken widerwillig allein. Ich drückte den Klingelknopf neben meinem Bett und hielt es für eine gute Idee, mir so kurz vor Einbruch des Abends ein Beruhigungsmittel geben zu lassen, jetzt war es auch egal.

****

Das leise Knarzen der Zimmertür hatte mich geweckt. Verschlafen zwang ich meine Augenlider nach oben. Über Nacht schien meine Welt orange-rot geworden zu sein. Von der Seite blendete das diffuse Licht der frühen Morgensonne, die das ganze Zimmer einfärbte, und vor mir stand mein Ein und Alles, mit einem riesen Bund roter Rosen.
Behutsam legte er den Strauß auf meinen Bauch und küsste mich.
„Guten Morgen, mein Liebling!“, flüsterte er, „Ich habe es ohne dich zu Hause nicht ausgehalten.“
„Wieso, wie spät ist es denn?“
„Früh!“
„Wie früh ist denn ‚früh‘?“
„Sieben Uhr.“
„Wow, das ist echt früh!“, lachte ich ihn an.
Das Schmerzmittel hatte gewirkt. Meine Unterleibsschmerzen waren weg und die reichliche Portion Schlaf hatte mir gut getan. Fast hätte ich vergessen, warum ich in diesem Bett liegen musste, aber das Zimmer, die Blumen und das Gesicht von Chris erinnerten mich sofort wieder daran.
„Musst du nicht zur Arbeit, Schatz?“, fragte ich ihn.
„Es ist Samstag, Liebling!“
„Samstag? Wie lange habe ich denn geschlafen?“
„Fast 20 Stunden.“
„Chris … das tut mir leid! Wieso … wie konnte …?“
„Weil die Ärzte dich ruhiggestellt haben. Deine Blutung hatte durch die Aufregung wieder begonnen. Es war zu deinem Besten.“
„Aber Chris … und du musstest das alles allein durchstehen?“
„Nicht allein, ich hatte doch Franzi. Außerdem war ich die meiste Zeit bei dir, hab dir beim Schlafen zugesehen, hab auf deinem Schoß geschlafen und deine Hand gehalten. Ich war nie wirklich allein.“
„Du warst die ganze Zeit hier? Und die Arbeit, die Firma, die Software?“
„Da zieht mich nichts hin, Josie! Den beiden wichtigsten Menschen in meinem Leben geht es nicht gut, da ist mir das Büro völlig egal! Ihr seid wichtig für mich, sonst nichts. Ich will jetzt nur noch Falk wieder in die Arme nehmen können.“ 
Er hatte sich meine Hand genommen. Seine Haltung, sein Blick, die Kraft, mit der er meine Hand drückte und die
Entschlossenheit seiner Stimme ließen keinen Zweifel daran, dass es genauso war, wie er sagte.
„Weißt du Schatz, wir haben Geld genug. Die Entführung hat mir gezeigt, wie verletzlich und angreifbar wir sind. Und dieses Risiko will ich nicht mehr eingehen. Ich habe ernsthaft überlegt, den ganzen Scheiß hinzuwerfen und aus Deutschland abzuhauen.“
„Und dann, wo willst du hin? Wovon sollen wir leben?“
„Nach Monaco. Da haben wir alles, was wir brauchen?“
„Monaco? Du meinst, für immer?“
„Die Wohnung dort ist auf jeden Fall groß genug für uns alle. Und ein Boot. Na ja, das Teil ist etwas größer. Eine Yacht sozusagen, und ein Auto.“
„Monaco? Stimmt, du hattest es erwähnt. Ich hatte schon gar nicht mehr daran gedacht, verzeih mir.“
„Weil du es noch nicht gesehen hast. Es ist traumhaft dort, glaub mir! Ich wollte dich damit überraschen. Wollte mit dir und Falk dort Urlaub machen. Das Leben dort genießen. Die Schickeria, die Cote D’Azur, den Lifestyle, die Yacht. Aber dann kam die Entführung dazwischen. Wir werden das schnellstmöglich nachholen, du wirst es lieben, Schatz.“ 
Ich ließ nicht locker! Wollte mehr von diesem unbekannten Ort wissen. Und er beschrieb tapfer, was er mir bis dahin vorenthalten hatte. Er zupfte sein Handy aus dem Sakko und zeigte mir unendlich viele Bilder von allem, was er dort bisher vor mir geheim gehalten hatte. Eine traumhafte Wohnung mit Blick auf den Hafen, vorwiegend in hübschem weiß eingerichtet. Die Yacht, einfach ein Traum, wunderschön, etwa doppelt so groß wie die auf dem Wannsee. Ich kannte sowas nur aus dem Fernsehen, wenn über die Fürstenfamilie, von irgendwelchen Reichen dort, oder von der Formel 1 berichtet wurde. Für mich unvorstellbar, eine wahrhaft surreale Welt, die er mir zeigte.
„Und das ist alles deins?“
„Ja. Aber ich nutze es kaum. Meine Arbeit ist hier. Zumindest war sie das bis letzte Woche.“
„Aber die Villa, die Büros, die Leute … was wird dann daraus? Falk, seine Freunde, sein Kindergarten? Franzi? Willst du den alten Baum noch umpflanzen?“
„Ich würde nie ohne Franzi gehen, nicht ohne Falk, und auch nicht ohne dich!“
Seine Stimme war leise geworden, weich und ruhig, ein wenig nachdenklich vielleicht. So, als wäre er nicht sicher, ob ich das alles mit ihm zusammen machen wollte, oder doch lieber in meiner gewohnten Umgebung in Berlin bleiben wollte, ohne ihn.
Ich war bestimmt nicht zimperlich mit mir und meinem Körper und hatte ihm schon so einiges zugemutet. Aber noch nie so viel, was mir derart auf die Psyche schlug, wie in der letzten Woche.
„Chris, ich schaff das alles nicht. Das ist gerade zuviel für mich. Die Entführung, das Kind und nun das? Was kommt als nächstes, eine Hütte auf dem Mond? Gehört dir vielleicht auch der Mount Everest, der Eifelturm? Chris … was noch?“
Erschöpft und mit fragendem Blick ließ ich mich in die Kissen zurückfallen. Ich war wirklich am Ende meiner Kräfte, körperlich und vor allem psychisch. Sogar die Unterleibsschmerzen kamen wieder. Zwar nur leicht, aber immerhin.
Chris sah mich an. Er wußte genau, dass er einen Fehler gemacht hatte, in dem er mir nicht eher viel mehr davon erzählt und gezeigt hatte. Und auch, dass er diesen Fehler so schnell nicht wiedergutmachen konnte.

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