Eine Minute später schlenderte Raul durch die beschattete Hälfte der Gasse zwischen den Jahrmarktsbuden. Je näher der Abend rückte, desto mehr belebte sich der Rummelplatz. Menschen aller Altersgruppen, aber vor allem Kinder und Jugendliche bevölkerten die staubigen Wege und ließen sich sinnenfreudig von den lautstark angepriesenen Attraktionen anlocken. Aus zahllosen Lautsprechern erklang aufdringliche Musik, meist bekannte Gassenhauer, vermischt mit dem Klingeln, Tröten, Tuten, Quäken, Rasseln und Trommeln der einzelnen Buden und Fahrgeschäfte, deren Besitzer nicht müde wurden, ihre Zugnummern, Knüller und Attraktionen unüberhörbar anzupreisen.
„…hereinspaziert!…sensationell!…brandneu!…noch nie zuvor gezeigt!…nur bei uns!...“
Raul achtete nicht auf die Sprüche. Sie waren ihm seit er denken konnte vertraut, er nahm sie längst nicht mehr wahr. Nur die Wohlgerüche, die die Wurst-, Delikatessen- und Süßwarenbuden verströmten, erinnerten ihn an seinen knurrenden Magen. Er freute sich auf das Abendessen zusammen mit seiner Freundin Teresa. Heute waren ihm sogar die von den jungen Frauen und Mädchen verstohlen nachgeworfenen Blicke gleichgültig. Ihre freizügigen Tops und T-shirts würdigte er kaum eines Blickes. Zielsicher lenkte der zwanzigjährige seine Schritte durch die Menschenmenge in Richtung Riesenrad, das im Zentrum des Rummelplatzes majestätisch rotierte.
Raul stieg die hölzernen Stufen zum Kassenhäuschen hinauf. Schon von weitem erkannte er Teresas anmutiges Gesicht hinter der Glasscheibe. Spaßeshalber reihte er sich in die Warteschlange ein und beobachtete sein Mädchen heimlich von der Seite. Sie hatte ihre glatten, dunkelbraunen Haare mit einem Gummiband zu einem Pferdeschwanz gebündelt. Freundlich lächelnd bediente sie die Kundschaft, gab Hinweise, beantwortete Fragen und beruhigte nicht ganz schwindelfreie Fahrgastaspiranten. Als Raul vor dem Schalter auftauchte, verwandelte sich ihr geschäftsmäßiges Lächeln in ein fröhliches Lachen.
„Raul!“ strahlte sie ihn an. „Warum kommst du nicht herein?“
„Warum kommst du nicht heraus?“
„Ich habe noch nicht Feierabend.“ erinnerte sie ihn mit leichtem Tadel in der Stimme. „In einer Viertelstunde löst mich Mama ab. Komm doch solange herein.“
Raul nahm die Sonnenbrille ab, ging um das gläserne Kassenhäuschen herum und betrat das Innere des Schalters. Hier war es nicht ganz so heiß wie in seiner Bretterbude, aber immer noch warm genug, um trotz des Deckenventilators ins Transpirieren zu geraten.
Raul hob einen Karton mit Reklameflyern von einem abgewetzten Holzschemel und setzte sich. Er schlug die Beine übereinander und sah seiner zwei Jahre jüngeren Freundin bei der Arbeit zu. Dünne Ringe aus Sterlingsilber, so groß wie Armreifen, zierten Teresas Ohren und betonten ihr schönes Antlitz mit dem südländischen Teint. Mit ihren vollen, sinnlichen Lippen und ihren grünen Augen sah sie Adriana Lima fast zum Verwechseln ähnlich. Sie trug ein weinrotes, kurzes, sehr weit geschnittenes, luftiges Sommerkleid aus satinähnlichem, mattglänzendem Stoff, das ihr ständig von einer Schulter rutschte. Die sehr kurzen, aber dafür umso weiteren Ärmel erlaubten unter der rasierten Achsel hindurch erregende Einblicke auf einen blassroten, entzückend durchsichtigen Büstenhalter. Ihre makellosen, von den Oberschenkeln an unbedeckten Beine und ihre zierlichen, in Riemchensandalen steckenden Füße waren zum Ergötzen schön. Raul spürte, wie der anfänglich in seinem Magen rumorende Hunger von einem eine Etage tiefer sitzenden Gefühl langsam dominiert wurde. Zwischen seinen Beinen begann sich etwas zu rühren, was nicht eher Ruhe geben würde, bis es erhielt, was es begehrte.
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