S. ist eine typische Agglomerationsgemeinde. Sie könnte sich im Randbezirk einer jeden Schweizer Grossstadt befinden. Ländlich, aber nicht genug, um rural zu sein – städtisch, aber nicht genug, um urban zu sein. Depressive Mittelschullehrer um die Vierzig siedeln sich hier an, mit ihren Kleinfamilien, und bewohnen Reiheneinfamilienhäuser aus den späten 1980er Jahren. Hohlwangige ex-68er findet man – die sind in einer Zeit zugezogen, als hier noch Land war. Unberührtes, saftiges, nach Kuhfladen stinkendes Schweizer Bauernland. Und, ja, hier, genau hier, hat sich vor fünf Jahren Barbaras Damenriege angesiedelt.
Eine „Riege“ in helvetischem Sinne ist ein „Verein“ im allgemeinen, ein „Turnverein“ im speziellen. In der Mädchenriege üben Kinder einmal die Woche an Ringen, mit Bällen und an Klettergerüsten, in der Knabenriege wird gefussballt, die Männerriege frönt dem Volleyball. Die Damenriege, jetzt aber alle Achtung, frönt der Erotik. Nö, zugeben würde das keine. Fast alle sind sie Familienmütter, mit mindestens einem Töchterchen oder einem Sohn, alle sorgen sie dafür, dass für den Herrn des Hauses mindestens ein gekühltes Bier im Schrank steht. Sie jonglieren Bälle zu Musik von Abba und Taylor Swift, sie lassen bunte Ringe um ihre appetitlichen Hüften kreisen, und sie tragen an den Turnfesten im Bierzelt billige, fluoreszierende, ultraknappe und supernuttige Kleidchen – violett, pink, hellblau oder so.
Oh ja, und sie haben Fantasien, diese Frauen. Gerade dieses spiessige Niemandsland, diese Nobodies von Männern an ihrer Seite, dieses „es-fast-schaffen-aber-doch-nie-ganz“ macht sie zu spitzen, geilen, frechen Hühnern. Die Damenriege in J. besteht aus zehn Frauen zwischen 18 und 35. Sie einigen sich jeweils unter der Aegide der charismatischen und gut gebauten Barbara auf ein Festprogramm, das jährlich im Schlosspark zu sehen ist. Frauen in diesem Alter sind erstaunlich kompromissbereit – sie finden sich rasch zusammen unter dem musikalischen Dach der Scorpions oder demjenigen einer Billie Eilish. Die Choreographie ist immer sehr einfach – Barbara, Frau eines Filialleiters, weiss, worauf es ankommt. Sie ist illusionslos geworden in all den Jahren, in denen sie die Damenriege geleitet hat. Von Zelt zu Zelt, von Bühne zu Bühne: Es geht ja doch nur darum, Männeraugen zu sättigen mit dem „Mut zur Lücke“, der sichtbaren Spalte unter den Lycra Tights, schwabbelnden Brüsten, vollem, frisch gewaschenem Haar und kecken Bewegungen, die auch schon mal den Blick freigeben auf die frisch rasierten Achseln der Post-Schalterbeamtin oder zwischen die Schenkel der Konditorei-Lehrtochter.
Man(n) steht ja heute keineswegs mehr auf Playboy-Hochglanz-Modelle, die wirken, als seien sie, Makrelen gleich, zum Verspeisen zubereitet. „Men Only“, die britische Pornopostille, hat ebenfalls ausgedient. Diese gönnte, im Gegensatz zum „Playboy“, den berühmten Blick auf die andernorts verhüllten „Bits“, die Geschlechtsteile also. Vulven, grosse und kleine Labien, mit viel Glück die Cliti, dann und wann sichtbar gemacht.
Heute steht Man(n) auf Amateurmodels. Schülerinnen. Nachbarinnen. Verkäuferinnen. Krankenschwestern. Mülleimerleererinnen. Serviererinnen. Friseusen. Genau das gab es in Barbaras Damenriege zu sehen, von ganz nah… und erst noch unschuldig, im Verbund der Familie und der Berufskollegen.
„Ist die Uschi, die am Samstag das Schulhaus reinigt, unter ihrem Gymnastikdress totalrasiert?“ „Hat Leni Müller, bei der ich eben erst Briefmarken gekauft habe, Nippel, so prall wie Marillenknödel?“ „Sind Erikas Schenkel tatsächlich so fest, wie ich das erahne?“ Das, und nichts anderes als das, sind die Fragen, die in den Männerhirnen umhertorkeln. Und, wie gesagt, die Mitglieder der Damenrige haben Fantasien. Diese Fantasien kreisen eindeutig um eine bestimmte Gruppe von Männern: Die Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr von S. Kichernd hat Steffi neulich unter der Dusche ihren Kolleginnen von einem Traum erzählt. Sie sei, ganz in weiss gekleidet, neben einem brennenden Haus gesessen. Die Typen kamen mit dem Schlauch an und hätten nicht etwa den Brand gelöscht, sondern Steffi so lange bespritzt, bis ihr Kleidchen ganz durchsichtig geworden sei. Hihihihi… Barbara quittierte Steffis Traum mit keinem Wort, wusste aber im selben Moment, was sie da in der Hand hatte: Eine Horde geiler, naiver Hühnchen, mit denen sie am nächsten Schlossfest dem ganzen Dorf mächtig einheizen würde. Heirassa!
Die Feuerwehrmänner waren rasch überzeugt. Mit Herzklopfen sprach Barbara tags darauf in der Dorfschenke vor, wo sie alle vorfand, friedlich am Stammtisch vereint: Rudi, den Metzger, Walter, den Posthalter, Michel, den Bauern vom Unterhof, Theo, den Bauern vom Oberhof, Klaus-Heinz, den Automechaniker und Reto, den Sigrist. Die sechs Männer waren nicht mehr ganz nüchtern und beäugten die schöne Barbara gierig-geil. Sie widerstand den Röntgenblicken und überlegte sich kurze Zeit, ob diese Horde im Ernstfall überhaupt fähig sein würde, einen Brand zu löschen. Dann trug sie ihren Vorschlag vor. Es war Juni, und in einem Monat würde das nächste Schlossfest stattfinden. Ob sie Lust hätten, im Rahmen einer Darbietung „ihre“ zehn Frauen ein wenig zu bespritzen? Der zweideutige Charakter ihrer Frage war ihr im Moment gar nicht bewusst. „Wenn Du willst, können wir Deine Damenriege zuerst besteigen und anschliessend bespritzen“, grölte Rudi, der Metzger. Er war für seinen deftigen Humor bekannt, tat aber keiner Fliege etwas zuleide. Schweine, Rinder und Kühe mal ausgenommen. Man wurde sich handelseinig – vor dem grossen Auftritt würden zwei Proben stattfinden.
Eine Woche später machte Barbara „ihre“ zehn Frauen mit den Plänen vertraut. „Wir studieren einen Tanz ein. Was Langsames. Dann, fürs Publikum völlig unerwartet, betreten die uniformierten Feuerwehrmänner die Bühne und bespritzen uns mit ihren Schläuchen. „Was für Schläuche denn?“ fragte Lora, angehende Krankenschwester, mit schalkhaftem Augenaufschlag. Nervöses Kichern machte sich breit. Die Frauen liiiiiebten Fantasien, in denen Feuerwehrmänner vorkamen. Jede hatte sich schon mal vorgestellt, einer würde sie aus dem Flammenmeer erretten und hinaustragen in die Frische der Nacht, auf ein verlassenes Feld, und ihren hungernden Körper dort mit kleinen Küssen übersäen. Die Realität: Ein paar Zentimeter links von ihr schnarchte Hugo, der Mittelschullehrer, oder Wunibald, der Kürschner.
Bald darauf trafen die sechs Feuerwehrmänner und die zehn Riege-Frauen zum ersten Mal aufeinander. Sie kannten sich zumindest vom Sehen, klar. Auf eigentümliche Weise traf Fiktion auf Realität. Cornelia, die Gärtnerin, hatte sich neulich im Traum von Klaus-Heinz, dem Automechaniker, ficken lassen, und zwar auf ihrem Küchentisch. Heissa, war da die Post abgegangen. Nora, Full-Time-Hausfrau mit vier Kindern, hatte Reto, dem Sigrist, einen geblasen. Neben ihr schnarchte ahnungslos Robert, der Gemeindepräsident. Sehnsüchtig hatte sie sich tags darauf auf dem Weg zur kleinen Kirche gemacht. Und, meinerseel, da stand er, der Sigrist, in seiner vollen Grösse, und grüsste sie mit wissendem Lächeln und mit Namen! Die siebzehn Personen, sechs Feuerwehrmänner, zehn Riege-Frauen und Barbara, verstanden sich auf Anhieb recht gut und tranken sich Mut zu. Dann gings ins Schulhaus zur Garderobe. Barbara hatte nicht bedacht, dass eigentlich Geschlechtertrennung angesagt war, weil es sich nicht gehörte, dass Rudi, der Metzger Lina, die Frau von Walter, dem Posthalter, in Unterwäsche oder womöglich sogar splitternackt sehen konnte. Der Einfachheit halber machte sich aber der ganze Pulk in der kleinen Schülerinnengarderobe breit, und man hörte Reissverschlüsse zippen, Knöpfe klacken und Socken ripsen. Es wurde beäugt, begafft, geblödelt, gesabbert und gelitten. Walter, der Posthalter, war ausgesprochen eifersüchtig und ertrug es nicht, dass seine Feuerwehrkollegen seine geliebte Lina in giftgrüner Unterwäsche sehen konnten. Aber die moralischen Standards wurden weitestgehend eingehalten, und am Schluss standen sich sechs perfekt uniformierte Feuerwehrmänner und zehn Riege-Frauen in sexy weissen Kleidchen gegenüber.
Der Sportplatz war ausnahmsweise leer, die Bühne musste man sich einfach hinzudenken. Aus einem kleinen Cassettenrecorder erscholl ein lasziver Tango; die Frauen setzten sich in Bewegung. „Die eine ist schöner als die andere, ich wage einfach nicht abzuspritzen“, witzelte Michel, der Bauer vom Unterhof. Das Wasser in den Schläuchen war warm, der Abend sommerlich und angenehm. Auf Barbaras Kommando hin zielten die sechs Männer auf die sich im Rhythmus wiegenden Frauen, und das Wasser spritzte zwischen den kreischenden Frauen hindurch. „Stop, so nicht“, fuhr Barbara dazwischen und brachte ihre Riege erneut in Position. Nach dem vierten Versuch machte sich eine gewisse Coolness breit, die Frauen tanzten zwischen den Wasserstrahlen ungerührt weiter. Erst als Klaus-Heinz, der Automechaniker, seinen Wasserstrahl exakt zwischen den Beinen von Claudia, der Krankengymnastin, hindurchzischen liess, kam es kurz zu Unruhe. Die beiden Gruppen gewöhnten sich aber aneinander und arbeiteten fieberhaft auf ihren Auftritt hin. Claudia liess es sich nicht nehmen, das Gefühl, das der warme Wasserstrahl zwischen ihren Schenkeln auslöste, mit lasziven Hüftbewegungen zu intensivieren. Es sah aus als reite sie auf einem farblosen Regenbogen. So entstand auch der Name für die bevorstehende Show: „Colourless Rainbow“. Es gab mittlerweile nichts, was die zehn Frauen unter ihren hautengen weissen Kleidchen verbergen konnten. Es war einfach alles zu sehen: Claudias „Camel Toe“ zwischen den Beinen und ihre kleinen, spitzen Brustwarzen, Noras Orangenhaut an den Oberschenkeln, Cornelias schwere Titten, ihre Speckringe an den Hüften und ihr tiefschwarzes Schamhaar, Linas Bauchnabel…
Zurück in der Garderobe, waren die Feuerwehrmänner derart strunzgeil, dass sie kaum mehr an sich halten konnten. Wie gern, wie brennend gern hätte der eine oder andere hier einen Arsch, da ein Fötzchen, dort ein Nippelchen berührt oder zumindest daran gelutscht… Aber daraus wurde nichts – Barbara überwachte den Raum mit strengem Blick und duldete höchstens verbale Anmache.
Dann, endlich, war es so weit. „Licht aus, Spot an - The Colourless Rainbow Show“ krächzte Willi, der Moderator, ins Mikrofon, und Barbaras Riege betrat die Bühne. Wie schön diese Dorffrauen waren, mit bunten Blumen im Haar, silbernen Armreifen und ihren frechen weissen Kleidchen, die kaum etwas verbargen. Die Musik setzte ein, und die Frauen begannen sich zu bewegen. Das Dorfpublikum hielt den Atem an. Etwa mitten im Stück betraten die Feuerwehrmänner gemessenen Schritts den vorderen Bühnenrand. Ein jeder hatte einen schillernden Schlauch in der Hand, und auf Barbaras Kommando zielten sie auf die Frauen, und zwar exakt auf deren Scham. Alle atmeten tief durch – das Publikum, die wackeren Feuerwehrmänner und die Riegedamen. Allmählich wurden die Kleidchen durchsichtig, und das Dorf konnte sehen, was es schon lange hatte sehen wollen: Das kecke Haardreieck oder die glatt rasierte Spalte von ganz gewöhnlichen Hausfrauen, Krankenschwestern und Postbeamtinnen. Lasziv schoben sie ihre Hüften vor- und zurück, vor- und zurück, waren für einen kurzen Moment in ihrem eintönigen Leben Vamp, Prinzessin, Madonna und Paris Hilton in einem.
Die Blasenentzündung kam einen Tag später.
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