Zu Dritt

Tinas Geschichte - Teil 21

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Zu Dritt

Zu Dritt

Stayhungry

Jacqueline saß an meiner Seite und über manches hatten wir uns köstlich amüsiert. Albert trug es mit Gelassenheit, ein liebevoller Spott hatte ihn noch nie verletzt. Jacqueline und ich lümmelten in der Sitzgruppe und schütteten uns aus vor Lachen, da trafen sich unsere Blicke und die Heiterkeit machte einem kraftvollem Gefühl Platz. Sie legte ihre Stirn in Falten und sah von mir zu ihm, ein diebisches Lächeln auf den Lippen. Es brauchte keine weiteren Worte, wir erhoben uns fast synchron und umrundeten den Couchtisch von beiden Seiten.

Albert wusste, was auf ihn zukam, ließ den Kopf zurückfallen und stöhnte verhalten. Sein Gesichtsausdruck verriet, dass es ihn nicht schreckte. Ich kannte diese entspannte Glückseligkeit in seinem Lächeln, dann konnte er genießen. Die Ahnung seiner kommenden Leiden ließen wir ihn auskosten, bewegten uns langsam, lasziv, mit hoch erhobenem Haupt auf ihn zu, zwei langhaarige erregte Grazien, das Objekt ihrer Begierde fest im Blick. Seine Augen wechselten, verdreht nach oben, von einer Dame zur anderen. Seine Hände wanderten unsere Schenkel, Hüften, Taillen hoch zu den Brüsten. Er hatte Sehnsucht und wir auch. Meine enge Jeans war an sich schon geeignet, wohlige Gefühle zu unterstützen, was ich sonst noch trug, umso mehr. Seine Hand aber ließ mich dahin schmelzen. Jacqueline erging es ähnlich, seine andere Hand befand sich unter ihrem Kleid, massierte zwischen ihren Beinen. Ich sank neben ihn und sie ebenso. Wir drückten uns an ihn, überdeckten ihn mit Küssen. In mir wuchs sie wieder, die Energie der ungezügelten Erregung. In diesem Augenblick war mir alles an Umständen egal. Es war schön, nicht zu denken, nur zu fühlen.

Diese ménage à trois hatte nichts gemein mit jener unbeschwerten Leichtigkeit, mit der ich mich vor langer Zeit an Yves' Seite so unbekümmert der Sinnlichkeit jenseits der Zweisamkeit hingegeben hatte. Jacqueline war nicht irgendwer.

Für sie hatte Albert mich verlassen.

*

Jacqueline, das war die junge Architektin, mit der wir fast in einer Art WG gelebt hatten, die sich auch um die Kinder kümmerte, wenn wir beide weg mussten. Sie hatte nach ein paar Jahren gekündigt, wir hielten aber noch weiter freundschaftlichen Kontakt. Ich wusste schon lange um ihre Gefühle für meinen Mann und Albert vermied jeden Flirt mit ihr, obwohl er den ansonsten virtuos beherrscht, eben um sie nicht zu ermutigen. Ein größeres Projekt hatte er zusammen mit ihr bearbeitet und in dieser intensiven Zusammenarbeit entdeckten sie mehr Übereinstimmung. Die Qual war endlos, nachdem der große Schweiger endlich gesprochen hatte. Zu bestimmend sei ich, zu sehr unter Strom, zu hoch meine Ansprüche an mich selbst und ihn. Unterhalb des wirklich Besonderen sei nichts meiner würdig. Das sei sehr anziehend gewesen, habe ihn angezogen, angespornt, beflügelt. Doch irgendwann sehnte er sich mehr nach Geborgenheit. Er könne nicht immer unter Strom stehen, jeden Morgen um zehn Häuserblocks rennen. Er suche Ruhe und wolle dabei seine Pflichten nicht vernachlässigen. Bedauerlicherweise sei damit dann eben im Bereich der erotischen Beziehung nicht mehr genug Energie vorhanden. Ich verstand genau, was er meinte, auch wenn meine Gefühle den seinen nicht entsprachen.

Erotik gab mir die Energie zurück, die mir der Tag und die Pflicht entzogen. Und dass ich mich fit hielt, brauchte ich mir nun wahrlich nicht hinreiben lassen! Ich hätte Iosschreien können, was ich denn dafür könne, dass mein Verlangen nach ihm sich noch nicht verabschiedet hat. Andere wären froh, wenn ihre Ehe diese Möglichkeiten noch bieten würde! Aber ich wollte ihn nicht mit meinem Redefluß verstummen lassen, auch wenn ich mich wie geohrfeigt fühlte. Jetzt, wo das viel zu spät ausgesprochen war, traf es mich tief. Ich hatte mich für abgeklärt gehalten, modern und weltoffen. Nun krampfte sich mein Magen zusammen, mir war übel, in meinem Kopf pochte es heiß, obwohl mich fröstelte. Nach langem Schweigen, in dem er nicht versuchte, mich zu trösten, mir zu helfen, mit dem allem klar zu kommen, fragte ich: Und wie geht es weiter? Er antwortete nur mit einem ratlosen Schulterzucken. Da wusste ich, es war ernst.

Mit seiner Offenbarung kamen mir die Tränen, ein Strom von Tränen. Nun endlich setzte er sich neben mich und nahm mich kraftlos in den Arm. Ich stieß ihn weg, wollte kein Erbarmen haben mit seiner Hilflosigkeit, doch im nächsten Moment fiel ich ihm um den Hals und heulte und heulte. Und seine Arme taten gut, seit langer Zeit war es wieder eine ehrliche Umarmung. Der Weinkrampf schüttelte mich, die Anspannung, die lange gewahrte Fassung lösten sich und ich hatte keinen Halt mehr in mir selbst. Alles lag so klar und unabänderlich vor mir. Ich fühlte mich schuldig, war mir selbst im Weg gewesen und hätte doch keine andere sein können. Wir wussten nicht weiter, und er konnte weder einen Wunsch oder eine Perspektive nennen oder gar eine Entscheidung treffen. Irgendwann gingen wir zu Bett und hielten uns hilflos und ohne Trost in den Armen. Bleiern lag das Unglück auf uns und wiederholt schreckte ich auf aus dem Schlaf, nur um die elende Gewißheit zu gewinnen, dass ich nicht geträumt hatte.

*

Jacqueline erschrak, als sie die Tür öffnete, aber irgendwie hatte sie mit mir gerechnet. Komm rein, sagte sie etwas betreten. Ihre Wohnung, in der ich mich schon oft auf Einladung fröhlich und unbeschwert aufgehalten hatte, hatte nun eine ganz andere Wirkung auf mich. Ich fühlte mich als Fremdkörper, dies war sein Zufluchtsort, sein Liebeslager, seine Quelle neuer Kraft. Es tut mir leid, sagte sie, hin und her gerissen zwischen schlechtem Gewissen und dem Wunsch, sich ihr endlich gefundenes Glück nicht streitig machen zu lassen. Ich hätte sie verletzen können, sie beschädigen, aber es hätte nichts genützt, denn damit kann man Liebe nicht zurückgewinnen und eigentlich fühlte ich auch keinen Hass. Niemand kann in eine Beziehung eindringen, wenn dieser begehrte Mensch es nicht zulässt. Dieser hat sich zu rechtfertigen. Ach, Mädchen, ich hab dich ja gern, sagte ich und legte noch im Flur den Arm um sie. Sie lehnte ihren Kopf an meine Schulter und stellte sanft und ohne Trotz richtig: Ich bin kein Mädchen mehr, deshalb ist es ja passiert.

Genau das war es. Tut mir leid, sagte ich und löste unsere versöhnliche Umarmung, ich wollte nicht überheblich sein. Dass er sich in dich verliebt hat, kann ich ja verstehen. Es wäre leichter für mich, wenn es eine dumme Zicke wäre! Aber so bin einfach furchtbar traurig. Wir setzten uns und bekannten einander unsere Ratlosigkeit. Sie war frisch verliebt, nein falsch, frisch war die Erfüllung ihrer Sehnsucht nach ihm. Sie war gefangen im Wunsch, ihr Glück zu vollenden, aber doch dem Geschehen mehr ausgeliefert, als dass sie es hätte gestalten können. Sie wollte nicht ausschließen, dass er zu mir zurückkehren würde, irgendwann. Er war schweigsam, auch bei ihr, aber es zog ihn zu ihr, sie musste ihn nicht auffordern. Möglicherweise würde es so kommen, vielleicht aber auch nicht. Es war eine Sache, sich den Geliebten in den Armen einer anderen vorzustellen oder von dieser aufrichtig geschildert zu bekommen, wie es ihn nach ihr verlangte. Es war mir sicher anzumerken, aber meine Betroffenheit behielt ich für mich. Ich war zu ihr gekommen, um Schaden von uns abzuwenden. Ich konnte gleich damit anfangen, mich zu beherrschen. Einen Vorlauf zum Üben sollte es nicht geben.

Den Weg zurück lief ich. Eine wilde Sucht nach Leben wuchs in mir, Trotz, der Protest gegen jede Konvention, der Wille alles auszukosten ohne Frage nach Regeln, Zulässigkeit von Gefühlen, Akzeptanz durch ein gesellschaftliches Umfeld, das sich tolerant gab, aber meist doch nur ergötzte an banalem Tratsch. Ich hatte ihn so einfach lieben können, weil er aus freiem Entschluß bei mir war. Der Moment, wenn wir uns wirklich nahe kamen, hatte etwas Göttliches. Wenn sein Verlangen nach mir sich nochmals regte, warum sollte ich es einsperren in eine Hoffnung, die diese Regung als Versprechen auf ein Mehr verstand statt es zu nehmen ohne zu fragen und ohne zu fordern?

In der Hitze der Nacht wird getanzt und gelacht, wird das Leben geliebt und die Liebe gelebt. Nimm meine Hand, spring über den Rand zum Tanz auf dem Vulkan! Diesen lustvollen Mut schreit sich Gerd Köster aus der Seele und mit diesen Worten und Klängen in meinem Inneren, dem heftig schlagenden Herzen, dem jagenden Puls stellten sich meine Nackenhaare auf, wie wenn ein Liebender mich berührte. Ich fühlte, wie die Lebenskräfte in mich zurückkehrten. Ich spürte Zuversicht ohne jede konkrete Vorstellung, als ich nach Hause kam.

*

Die Heimlichkeit war beendet. Gequält, aber durchaus nicht kleinlaut setzte er mich spät abends, nachdem die Jungs ins Bett gegangen waren und Johanna noch über ihren Hausaufgaben saß, darüber in Kenntnis, dass er zu ihr gehe. Seine Umarmung wies ich zurück, seinem Kuß verwehrte ich meinen Mund. Ich setzte mich ins Wohnzimmer, wo wir abends meist ein wenig Musik zusammen hörten. Nun war ich wirklich allein, allein mit meinen Gedanken, Gefühlen, meiner Trauer, meiner keimenden Wut, meiner Ratlosigkeit. Mein Blick wanderte über Bilder, Möbel, Vorhänge, Vasen, verweilte auf dem Grün der großen Trauerweide im Garten, die ich so liebte. All das hier war mein Zuhaus geworden und nun fragte ich mich, ob ich noch hierher gehörte, ob ich hier bleiben konnte. Still weinte ich meine Tränen.

Wo ist Papa? Ich schreckte hoch aus meinen Gedanken. Johanna stand in der Tür zum Wohnzimmer. Papa sagte sie nur, wenn es ihr ernst war, sie niemanden provozieren wollte, dann war sie noch ganz Kind. Daddy nannte sie ihn, wenn sie ihn auf den Arm nehmen, sich selbst als ja so erwachsen und selbständig darstellen wollte, mit il padrone versuchte sie, seine Autorität kokett in Frage zu stellen. Kinder spüren Veränderungen in der Beziehung ihrer Eltern, auch wenn sie mit den Auseinandersetzungen nicht konfrontiert sind. Kinder, die schon gar keine richtigen Kinder mehr sind, durchschauen dich. Was ist los mit Dir, Mama? Warum weinst Du, habt ihr gestritten? Ich tat es ab, aber sie wollte sich nicht damit abspeisen lassen. Meine kleine Wilde war groß geworden, ein bisschen junge Dame schon, frühreif, impulsiv, aber auch klug, mit einem guten Instinkt.

Was sollte ich ihr sagen? Es war nicht gut, Kinder mit Sorgen zu belasten, die noch nicht spruchreif waren, hier tragen Eltern schon Verantwortung. Aber konnte ich sie belügen? Das würde ihr Vertrauen in mich erschüttern, sie war zu alt, als dass ich das später noch hätte hinbiegen können. Ich erzählte ihr, was geschehen war und ich war ganz ruhig dabei, hatte meine Fassung wieder gefunden. Entsetzt war sie, die mit ihrem Stiefvater mittlerweile besser klar als mit mir. Mich schimpften meine Kinder immer Frau Richterin, wenn ihnen nicht alles durchging. Alberts Erziehung war wie seine Arbeit als Architekt, er unterbreitete Entwürfe, schlug vor, änderte ab, bot Alternativen, überließ die Entscheidung aber weitgehend den Kindern. Meines Erachtens ließ er sich immer wieder über den Tisch ziehen. Besonders Johanna umgarnte ihn. Im Falle einer Trennung konnte es leicht sein, dass sie wird bei ihm bleiben wollte. Ich hatte Angst. Meine Juanita brachte Ordnung in ihre widerstreitenden Gefühle, indem sie die Schuldfrage klar entschied: Du hast ihn zu ihr getrieben! Du bist so unfehlbar, so streng, so herrschsüchtig! Ihre Wut tat mir besonders weh. Denn um sie zu beschützen vor einem Leben im Chaos, hatte ich wirklich kämpfen, mich aus den Fesseln ihres Vaters befreien müssen.

Michael und Andreas waren mit der Erklärungen ihres Vaters überfordert. Sie wurden schwierig, reagierten in ihrer Hilflosigkeit mit Destruktivität, kaputte Scheiben, abgebrochene Autoantennen, Prügeleien in der Schule waren schnell die Folge. Wir mussten unsere schwierigen Verhältnisse lösen, Ruhe in die Familie bringen, der Kinder wegen und auch für uns selbst. So fiel ausgerechnet mir die Rolle zu, vermittelnd zu wirken, Verständnis für den Vater zu wecken, denn meine kleinen Ritter ergriffen Partei für mich. Johanna wurde gequält von der vermeintlichen Pflicht, sich entscheiden zu müssen, schwer, denn als Stiefvater hatte sie ihn nie empfunden. Aber diese Aufgabe half auch mir, einen Rosenkrieg in irgendeiner Form wollte ich nicht. Ich musste meinen Standpunkt finden, er jedenfalls war mir keine Hilfe.

Verbissener als sonst rannte ich frühmorgens durch den Park, aber die frische Luft, das Pulsieren des Lebens in meinem Körper, das Gefühl, Kräfte in mir mobilisieren zu können, brachte meinen Lebenswillen wieder nach oben. Ich wollte mich der Herausforderung stellen, und wenn es sich nicht wieder einrenken ließ, was ja noch nicht abschließend geklärt war, wollte ich eine Lösung finden, die meinen Kindern keine allzu chaotischen Familienverhältnisse beschert. Die Villa war groß genug mit ihren drei Stockwerken. Das Dachgeschoß war dem Grunde nach zur Wohnung ausgebaut, aber nur vollgestellt mit einigen der üblichen Fitnessgeräte, Folterwerkzeuge, zwischenzeitlich überwiegend ungenutzt von ihrem Erwerber. Ich zog ohnehin das Laufen und eine konsequente, von Ausstattung unabhängige Gymnastik vor. Für diesen Krempel war der Heizungskeller gut genug. Wenn er wirklich etwas gegen seinen Bauchansatz tun wollte – wer weiß, wozu junge Liebe sonst noch animiert – konnte er das auch dort tun.

Ich zog nach oben und ging Jacqueline und ihm aus dem Weg. Für meine Kinder war ich aber immer schnell erreichbar, denn ihren Wohnbereich nutzte ich ja weiter. Sein Refugium wollte ich meiden, denn sie würde hier ja regelmäßig verkehren, in jeder Bedeutung des Wortes. Für mich selbst war es nicht einfach, sie ein Stockwerk tiefer, in den Räumen zu wissen, die bis vor kurzem noch meine langjährige Heimat waren. Aber dieses Gefühl kannten ja viele getrennt Lebende und noch waren die Dinge nicht so klar, wie sie schienen. Er stand öfter vor meiner Tür als er in den Monaten davor in meine Hälfte des Ehebettes gefunden hatte, und er fragte nicht nach Butter, Mehl oder Eiern, er wollte mich.

Die ersten Male hatte ich noch verkniffen und etwas getroffen das Weite gesucht, wenn ich sie in der unteren Wohnung antraf, weil ich noch Wäsche der Kinder einsortierte oder nach ihren Hausaufgaben gesehen hatte. Ich wollte Alberts nun neu definierte Privatsphäre zwar achten, aber wir waren übereingekommen, dass ich mich nicht wie eine ungeliebte Nachbarin verhalten müsste. Ich hatte nicht vermutet, dass sie hier wäre, ich hatte Albert wegfahren hören und angenommen, es sei niemand zu Hause.

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