Zurück im Alltag

Eine nicht alltägliche Familie - Teil 54

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Grauhaariger

"Eine nicht alltägliche Familie“ ist die dritte Staffel der Geschichten um die Pilotin Olivia Andersson. Aufbauend auf „Eine nicht alltägliche Beziehung“ und "Eine nicht alltägliche Ehe".

Beim Frühstück überraschte Clara ihre Mama mit der Frage, warum eigentlich Schäni und Caro keine Männer haben?
In Windeseile suchte Olivia nach einer für Kinder verständlichen Erklärung. „Weißt Du,“ begann sie zu antworten, „Die Beiden mögen sich so sehr, dass sie keine Männer brauchen.“
Liv merkte, wie es in Claras Kopf rumorte. „Und so wie Du Papa hast, hat Jeanine die Caro?“
Olivia war froh über die Erkenntnis ihrer Tochter und bestätigte ihr: „genauso ist es!“
Scheinbar differenzierte die Sechsjährige die Geschlechterrollen. Denn so wie bei den Anderssons Olivia, so ist bei den Schweizerinnen Jeanine die „weiblichere“. Oder war es reiner Zufall, wie Clara die Zuteilung getroffen hatte?

*****

Leon (ein kurzes Portrait):
Leon ist ein aufgeweckter Junge und mit seiner liebenswert-frechen Art versteht er es blendend, Leute um den Finger zu wickeln. Dass seine Erinnerung an seine leibliche Mutter zusehends schwand, stellten in letzter Zeit nicht nur seine Adoptiveltern fest.
Der Blondschopf fühlte sich pudelwohl bei den Anderssons und genoss nun seine Kindheit. Die Streitigkeiten im Kinderheim um Spielzeug und andere Dinge, die einem Drei- beziehungsweise mittlerweile Vierjährigen wichtig erschienen, waren ebenso aus seinem Gedächtnis verflogen wie die ärmlichen Umstände seiner ersten Lebensjahre.
Es war schrecklich und absolut unverständlich für den damals Dreijährigen, dass er nicht mehr nach Hause durfte und dass seine Mama plötzlich weg war. Überall fragte er nach ihr, aber niemand konnte oder wollte ihm sagen, wann sie wiederkommt. Er kam mit seiner Schwester zusammen in ein Haus mit vielen anderen Kindern. Immerhin ließ man ihn mit Clara zusammen ein Zimmer bewohnen. Mit ein wenig von seinem Spielzeug.
Clara. Viele Male lagen sie zusammen in einem Bett. Seine Schwester versuchte ihm beizubringen, dass ihre Mutter gestorben sei und sie nur noch sich haben würden. Wie oft hatte er Wutausbrüche und war traurig? Frau Müller, sie war ganz nett und hatte viel und oft mit ihm gesprochen. Aber verstehen konnte er nicht, was passiert war. Und dann war da plötzlich Livia. Wie aus dem Nichts. Diese Frau interessierte sich für ihn und für seine Schwester. Sie ging mit ihnen Einkaufen und er durfte sich Dinge aussuchen. Den Bagger zum Beispiel. Der war sicher teuer. Aber Olivia sagte zu ihm: „Wenn Du ihn willst, dann bekommst Du ihn auch!“ Livia versuchte Leon und Clara gleich zu behandeln. Und auch seine Schwester war nicht mehr so traurig. Sie gingen zusammen in den Zoo. Und in einen Freizeitpark! Er durfte Zugfahren und es gab Popcorn. Dann kam der Tag, an dem Martin ihn und seine Schwester abholte aus diesem Heim. Dass er nicht gleich ein eigenes Zimmer bekam, war Leon dabei nicht so wichtig.
Clara hatte einen Stein ausgesucht. Für das Grab. Angeblich würde seine Mama dort liegen. Da waren ein paar Blumen und so ein kleiner Busch. Da gingen sie öfter mal zum Gießen hin. Aber Mama war da nirgends.
Seine neuen Eltern waren toll! Je länger er sie kannte, umso wohler fühlte er sich. Martin hatte eine Riesenfirma. Dort arbeitete auch Pat. Ja, die mochte er gleich! Und er war sich sicher, dass sie ihn auch mochte! Und seine neue Mama, die steuerte Flugzeuge. Richtig große! Mehrmals war er mit Martin und seiner Schwester auf dem Aussichtshügel am Flughafen, wo man die Flieger beobachten konnte. Und sein Daddy, endlich hatte er auch einen Vater, zeigte ihm immer genau den Flieger, in dem Livia saß.
Dann war da noch Daniela. Aber alle sagen immer nur Ela. Sie hat immer zu ihm geholfen, egal was er auch ausgefressen hatte. Sie motivierte ihn und fragte, ob er schwimmen lernen wollte. Klar wollte er! Das Ergebnis ist hinlänglich bekannt.

*****

Überall wo sich etwas tut, ist Leon ganz vorn mit dabei. Der Poolbau war für den Jungen das Größte! Bagger, Lastwagen, es wurde betoniert und Leitungen verlegt. Viele Arbeiter und alle waren freundlich zu ihm! Sie luden ihn ein, zum Brotzeitmachen, schaufeln, mit anpacken oder zum Mitfahren! Im Garten rund um die Villa gibt es bestimmt keine Ecke, die Leon nicht kennt. Die Erzählungen seiner Schwester von ihrer leiblichen Mutter tat der Junge zumeist mit einem Schulterzucken ab. Clara konnte das richtig wütend machen, was aber niemals lange anhielt. Natürlich wusste er, wer die Frau auf den zwei Bildern unten im Hausgang war. Aber es schien ihn nicht mehr zu tangieren, dass diese Frau, seine eigentliche Mutter, nicht mehr zugegen war.
Für Leon ist Olivia die Mama und Martin sein Papa. Er liebt sie beide, wie ein Kind seine Eltern nur lieben kann. Aber auch Daniela, Anne Richter und Patricia sind wichtige Bezugspersonen. Und seine Schwester? Manchmal fand er sie blöd und sie ging ihm auf die Nerven. Aber er wusste ganz genau, dass sie da ist und zu ihm stand. Auch wenn sie ihn manchmal in ihrer kindlichen Art zu schimpfen pflegte.
Leon hatte seinen eigenen Kopf. Wenn er etwas nicht einsah, konnte er stur sein wie ein Esel. Ihm böse sein? Nein das konnte niemand längere Zeit! Mit Jannik, seinem Freund, war er ganz dicke! Die zwei hielten zusammen wie Pech und Schwefel!
Heute war ein Donnerstagnachmittag und für den Monat November ein relativ schöner Tag. Leon tobte im Garten herum, während seine Schwester am Esstisch Hausaufgaben erledigte. Da Olivia erst für den Sonntag nach Boston disponiert war, hatte Frau Richter heute frei. Liv und ihre Tochter zuckten zusammen, als draußen ein Kind schrie, als würde man es aufspießen.
„Leon!“, platzte es aus Clara heraus, was auch ihre Mama vermutete. Olivia rannte voraus in den Garten. Das Schreien kam eindeutig aus der Ecke, in der Leons Spielhaus stand. Tatsächlich saß der Junge im Gras, hielt seinen Arm und schrie lauthals.
„Wo tut’s weh?“ Liv erkannte an der Art seines Schreiens sofort, dass Leon tatsächlich verletzt war.
Tränenüberströmt hielt der Junge seine Hand ein kleines bisschen höher. Bei der geringsten Berührung schrie er sofort wieder los.
„Handgelenk;“ war Olivias erste Diagnose.
Clara stand kreidebleich und stocksteif neben ihrem Bruder. „Ich bin da runtergeflogen;“ berichtete er seiner fragenden Mama und schaute hoch zu seinem Spielhaus.
„Vom Haus oder vom Baum?“ Olivia ahnte, dass Leon versucht hatte, den Baum hochzuklettern.
„An dem einen Ast bin ich abgerutscht…“
„Kannst Du laufen?“
Mit seinem Arm in größtmöglicher Schonhaltung half Olivia ihrem Sohn beim Aufstehen. Langsam gingen die Drei zurück zum Haus.
Beide, Olivia und Clara, durften im Rettungswagen mit in die Klinik fahren. Die Untersuchung ergab, dass Leons Handgelenk angebrochen war, er aber keinerlei weitere Verletzungen und auch keine Gehirnerschütterung davongetragen hatte.
„Glück gehabt, junger Mann!“ mahnte der Arzt und entließ Leon in die Obhut seiner Mama.
„Wie hast Du das denn angestellt?“, war Martins erste Frage, als sein Junior mit Olivia aus dem Behandlungstrakt herauskam.
Leon, mittlerweile wieder ganz obenauf, hielt stolz seinen eingegipsten Arm nach oben. „Vier Wochen mindestens…!“, verkündete er.
„Ich wollte halt weiter hoch (er meinte als nur auf das Dach seines Spielhauses) und bin abgerutscht!“
„Da hast Du aber Glück gehabt…!“, mahnte auch Martin.
„Das hat der Doc auch gesagt!“, trötete Leon wieder ganz munter. Er hatte eigentlich eine Standpauke erwartet. Aber Martin als auch Olivia war völlig klar, dass dies überhaupt nichts ändern würde. Er hatte seine Lektion gelernt und auch den Schaden davongetragen. Warum sollte man ihn auch schimpfen? „Du hast uns einen ganz schönen Schreck eingejagt!“, war das Einzige, was er von Livia mahnend zu hören bekam. Was Leon erfahrungsgemäß aber nicht davon abhalten wird, es wieder zu versuchen.
„Du zuerst!“ Leon hielt seiner Schwester einen Faserschreiber hin. Sie sollte die erste sein, die ihren Namen auf dem Gips verewigen durfte.
„Ihr auch…!“ Olivia, Martin, Daniela, Anne und neben Jannik auch ein paar seiner Kameraden aus der Kita mussten natürlich auch ihren Servus draufmalen.
Mit Pat gab es einen Videocall, die, nicht vorgewarnt, ihn ganz entsetzt angesehen hat. Aber Leon, mit seinem frechen Grinsen, konnte dem Unfall sogar noch etwas Gutes abgewinnen, indem er heldenhaft mit der Fallhöhe übertrieb. Patricia bat ihn jedoch eindringlich, so etwas nicht noch einmal zu veranstalten.

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